Misstrauisch gegenüber einfachen Antworten schiebt man manche böse Vermutung als Verschwörungstheorie zu schnell beiseite. Als einen Fehler benennt das Wolfgang Streeck, bis 2014 Direktor des Max-Planck-Instituts für Gesellschaftsforschung, in diesem bemerkenswerten frei geschalteten Archivstück aus dem Merkur:

Allerdings wird der Bannfluch gegen Verschwörungstheorien bedauerlicherweise von vielen dahingehend verstanden, dass es überhaupt keine verschworenen „Machteliten" gibt oder dass man denen, die man dennoch vorfindet, keine Bedeutung zumessen, sie jedenfalls nicht als solche bezeichnen darf.

Unter besonderer Berücksichtigung von Goldman-Sachs beleuchtet er Grundlagen unserer Gesellschaftsformation, die den Kapitalismus des Fordismus (des Fließbandes und der arbeitsintensiven Fabriken) in unseren Breiten und den Zentren der Welt abgelöst hat. Zugespitzt formuliert er:

Selbstregulierend ... ist der Markt aus der Perspektive von Goldman Sachs nur, wenn Goldman Sachs ihn selbst reguliert.

Seit den 1990er Jahren ließen alle amerikanischen Präsidenten die Finanzmärkte deregulieren. Goldman Sachs stellt(e) dabei Minister und „Experten" — angefangen

von Clintons Finanzminister Robert Rubin, der bis zu seiner Ernennung Chef von Goldman Sachs gewesen war.

Unter dieser Perspektive fällt ein besonderes Licht auf den Untergang des Hauses Lehman Brothers:

Finanzminister unter George W. Bush war seit 2006 Hank Paulsen, einer von Rubins Nachfolgern bei Goldman Sachs; er ließ 2008 Lehman Brothers bankrottgehen, einen der wenigen ernst zunehmenden Konkurrenten seines Stammhauses, und rettete anschließend auf Kosten des amerikanischen Steuerzahlers die Branche, die unter der kombinierten Führung und Aufsicht seiner ehemaligen Bank „too big to fail" geworden war.

Ohne künftigen Historikern vorzugreifen, gibt Wolfgang Streeck illustere Beispiele — von der Krise Südeuropas bis zur Zerschlagung deutscher öffentlich-rechtlicher Landesbanken.