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Zeit und Geschichte

Eine Verteidigung des Flickenteppichs

Dirk Liesemer
Autor und Journalist
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Dirk LiesemerDienstag, 12.05.2020

Endlich! Ich habe seit Wochen auf solch einen Text gewartet. Und ich hatte auch schon mit mir selbst gewettet: Falls er wirklich erscheinen sollte, dann nicht in einer der Zeitungen der Hauptstadtpresse; und er würde sicher auch nicht von jemanden verfasst sein, der in Berlin wohnt. Wen wundert's: Ich habe meine Wette gewonnen und fühle mich nun einmal mehr darin bestätigt, dass man die Macht des Bundes unbedingt begrenzen muss.

Jürgen Overhoff, Professor für Erziehungswissenschaft in Münster, verteidigt in diesem leider kostenpflichtigen Text den Föderalismus. Dieser werde gerne abschätzig als "Flickenteppich" tituliert – mit dem Ziel, "den Föderalismus als entscheidenden Hemmschuh bei der Bewältigung der jetzt anstehenden Aufgaben" verächtlich zu machen.

Auffällig fand ich jedenfalls, wie sehr in der Coronakrise immer wieder ein Gleichschritt der Bundesländer angemahnt wurde. Diese Forderung kam keineswegs nur aus der Politik, sondern in erschreckendem Ausmaß auch von Kommentatorinnen und Kommentatoren. Sie wurde regelrecht zu einem Gradmesser, um Politik beurteilen zu können. Wer sich diesem Anspruch nicht unterordnete, wurde des Separatismus verdächtigt – ob nur im Scherz, blieb meist offen.

Overhoff untersucht, woher der Schmähbegriff "Flickenteppich" stammt und blickt dabei in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts zurück, als Deutschland durch drei Kriege geformt wurde und die Zentrale immer mehr Macht über die Provinzen an sich zog. Dabei war der deutsche Föderalismus lange zuvor von den Aufklärern und von den Gründervätern der Vereinigten Staaten als eine demokratische Errungenschaft gerühmt worden.

Der Text ist ein paar Tage lang auf Blendle zu finden, danach nur noch über einen FAZ-Login zu erreichen. Wer sollte ihn lesen? Vor allem all jene, die sich partout nicht daran erinnern können, welche beiden deutschen Staaten so gar nichts mit Föderalismus anfangen konnten – und auch die, die von der Politik ein Durchregieren einfordern.

Eine Verteidigung des Flickenteppichs
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Kommentare 7
  1. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor fast 4 Jahre

    Naja, das "Heilige Römische Reich" als Föderalismus zu bezeichnen, ist schon eine sehr spezielle Sicht.

    Zumindest gaben die Gründungsväter der USA neben einer föderalen Struktur ihrem Land eine Hauptstadt, die seit 1800 Washington heißt.

    In Deutschland gibt es eine solche erst seit 1871.

    Die deutsche Literatur ist voll von Beispielen, wie borniert der Flickenteppich war. Kleist "Michael Kohlhaas" sei als ein Beispiel genannt.

    Die 1848er Revolution ging auch um die nationale Frage, dass der Flickenteppich endlich überwunden oder zumindest zurückgedrängt wird. Bismarck war damals für die Beibehaltung von diesem.

    Als er erkannte, dass dieser nicht mehr zu halten war und erkämpfte er in entscheidender Weise den ersten deutschen Nationalstaat.

    Diejenigen 48er, die vor allem diesen wollten, kamen aus dem Exil zurück. Viele arbeiteten schließlich für Bismarck. Als der Zar das kritisierte, immerhin zerstörte Bismarck dauerhaft Teile des Flickenteppisch und brach mit dynastischen Tradtitionen (er vertrieb zum Beispiel den König von Hannover ins Exil) antwortete er nahezu klassisch:

    „Soll Revolution sein, so wollen wir sie lieber machen als erleiden.“

    Selbst Revolutionäre, die mehr als einen Nationalstaat wollten, und die im Exil blieben, erkannten das an. Friedrich Engels zum Beispiel:

    „Wenn das nicht revolutionär ist, so weiß ich nicht, was das Wort bedeutet.“

    1. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor fast 4 Jahre · bearbeitet vor fast 4 Jahre

      Hallo Achim, Föderalismus heißt ja nicht, dass es keine Bundeshauptstadt geben darf; die USA sind ein gutes Beispiel für eine kluge föderalistische Staatsordnung: Dort haben nämlich die Bundesstaaten viel mehr Freiheiten als hierzulande die Länder. Es gibt in Deutschland ohnehin eine alte Tendenz, alles zu vereinheitlichen. Das Grundgesetz hat dem leider nicht vorgebeugt, was ich für sehr problematisch halte: Entscheidungen werden immer mehr aus der Lebenswelt des Bürgers verlagert, womit zugleich seine demokratische Mitsprache schwindet. Das Einfallstor für den Bund ist die grundgesetzliche Forderung nach "gleichwertigen Lebensverhältnissen". Diese erlaubt dem Bund, immer mehr Kompetenzen an sich zu reißen. Besten Gruß, Dirk

    2. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor fast 4 Jahre

      @Dirk Liesemer Hi Dirk,

      aber der Flickenteppich des Heiligen Römischen Reichs war doch kein moderner Föderalismus.

      Wenn die USA sich an etwas orientierten, dann am antiken Rom. Deshalb gibt es dort unter anderem ein Capitol. Für dieses importierte man sogar Marmor aus Italien.

      (Nebenbei: Um diese Verbindung zu verstehen, kann man ein altes Buch neu lesen: https://www.deutschlan...)

      Der erste deutsche Nationalstaat, der 1870/71 aus der Überwindung des Flickenteppichs hervorging, war föderal: so wurde die Staatskasse nicht aus eigenen Steuereinnahmen, sondern aus Mitgliedskontributionen gefüllt.

      Winke, winke
      Achim

    3. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor fast 4 Jahre · bearbeitet vor fast 4 Jahre

      @Achim Engelberg Laut Text orientierten sich die USA an hiesigen Traditionen: "Die Architekten der US-Verfassung, Benjamin Franklin und James Madison, schufen das amerikanische föderale System ausdrücklich auch nach deutschem Vorbild."

      Beim anderen Punkt stimme ich Dir teilweise zu: Es gab zwar im ersten deutschen Nationalstaat durchaus starke föderale Strukturen, aber die Herren im Haus waren der Kaiser und sein Reichskanzler.

      Ganz unabhängig davon frage ich mich, warum es den Bundesländern nicht gestattet sein soll, ein Tempolimit auf ihren Autobahnen zu erlassen. Oder warum München, Frankfurt oder Berlin keine Citymaut einführen dürfen. In England geht das doch auch.

    4. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor fast 4 Jahre

      @Dirk Liesemer Ja, im Text steht das, aber da dein erstes Wort "Endlich" lautet: Hast Du eine zweite Quelle?

      Nicht nur in Washington, sondern auch in der ersten Hauptstadt Philadelphia, die ich besuchte, fand ich deutliche Hinweise auf Rom und seine Provinzen, nicht auf das Heilige Römische Reich.

      Es gibt auch Hinweise auf Preußen, welches aber damals absolutistisch war.

      Zur ersten deutschen Einheit: Wilhelm I. wollte ja gar nicht deutscher Kaiser werden, Bismarck drängte ihn, weil er die Notwendigkeit eines starken Nationalstaats sah. (Gleichzeitig bildeten sich viele solche Gebilde, apropos Rom: Auch Italien.)

      Bismarck war überhaupt nicht an der Aufhebung föderaler Unterschiede interessiert. Nicht nur weil er 1848 noch ein Verteidiger des Flickenteppichs war, sondern weil er soweit den Revolutionären nicht entgegen kommen wollte und konnte. Das wäre zuungunsten seiner ostelbischen Junker gegangen und damit auch gegen ihn. Ziemlich unverblümt bekannte er stets: "Ich bin ein Junker und will auch Vorteile davon haben."

      Warum deutsche Großstädte keine Citymaut einführen dürfen, weiß ich nicht. Gab es den entschiedene Vorstoße von den von Dir genannten Städten?

    5. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor fast 4 Jahre · bearbeitet vor fast 4 Jahre

      @Achim Engelberg Hallo Achim, danke für die interessanten Ausführungen, eine zweite Quelle habe ich jetzt nicht parat. Müsste ich noch mal nachlesen. Kurz zu Deiner letzten Frage: Die Städte dürfen keine Citymaut erheben und auch viele andere Dinge nicht tun, ihnen fehlt dazu die Kompetenz, was sich aber ändern ließe, wenn man ihnen mehr Freiräume gestattete. Eine Frage bleibt gleichwohl: Stimmst Du nicht der Beobachtung zu, dass es seit Jahren einen Hang zu mehr Zentralismus gibt? Ich denke, man hat da im Zuge der Wiedervereinigung viel Chancen verpasst. Besten Gruß, Dirk

    6. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor fast 4 Jahre

      @Dirk Liesemer Offen gestanden ist mir das Problem noch nicht aufgefallen. In Berlin Mitte scheinen aber mautähnliche Parkgebühren zu bestehen; zweimal erlebte ich, dass nach einem Ausstellungsbesuch der motorisierte Begleiter nicht gleich in der Nähe einkehren wollte, sondern zuerst aus Mitte rauszufahren wünschte.

      Verpasste Chancen aufgrund neuer Machtverhältnisse sehe ich durchaus. Sie sind auf einen Nenner zu bringen: Ökonomisierung aller Lebensbereiche.

      Ob die neue Generation Alarm eine Masse für menschenfreundliche Lösungen schafft, wird sich zeigen.

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