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Volk und Wirtschaft

Vielleicht sind Gießkannen doch besser als ihr Ruf

Jürgen Klute
Theologe, Publizist und Politiker
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Jürgen KluteFreitag, 21.10.2022

Die Unterstützungsmaßnahmen der Bundesregierung in der aktuellen Energiekrise treffen nicht auf ungeteilten Zuspruch. U. a. wurden sie wiederholt wegen ihres Gießkannenprinzips kritisiert. Vor allem der von mir geschätzte Geschäftsführer des Paritätischen Wohlfahrtsverbandes, Ulrich Schneider, hat diese Kritik wiederholt öffentlich vorgetragen. Seine für mich nachvollziehbare Kritik richtet sich darauf, dass bei den einkommensarmen Menschen zu wenig Unterstützungsleistungen ankommen, um die Energiekrise wirtschaftlich überstehen zu können.

Thomas Fricke hat seine neue SPIEGEL-Kolumne der Kritik am sogenannten Gießkannenprinzip gewidmet. Er hat zwar Verständnis für das Anliegen der Kritik an diesem Prinzip, in der Sache hält Fricke diese generelle Kritik am Gießkannenprinzip jedoch nicht für schlüssig. Aus volkswirtschaftlicher Sicht hält er das Gießkannenprinzip für sinnvoll. Dafür über er Kritik an einer ganz anderen Anwendung dieses Prinzips, nämlich bei der Anwendung im Rahmen der Zinspolitik der EZB.

Wen Frickes Argumente interessieren, dem/der sei dieser Artikel empfohlen.

Vielleicht sind Gießkannen doch besser als ihr Ruf

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Kommentare 21
  1. Lutz Müller
    Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr

    Ich bin zuallererst voll bei Ulrich Schneider. Zur Situation der Ärmsten gab es Berichte in einer Talkshow, die ich auf www.piqd.de/seite-eins... empfahl.
    Von der Bekämpfung der Armut sind wir momentan meilenweit entfernt. Die SPIEGEL-Kolumne nennt die Behebung der Ursachen des Übels quasi als Maximalziel einer guten Krisenpolitik. Anders als etwa in der Finanzkrise der 00er Jahre schätze ich, dass jetzt wohl nur eine Abminderung der Folgen zu erwarten sein wird.

    Bei Hartz IV gab es immer eine ausgeprägte Sparsamkeit dahingehend, dass die Aktualisierung des Grundbedarfs aufgrund der Inflation immer mit einem längeren Timelag erfolgte. Gerade die jüngsten Betroffenen werden bei veränderten Bedürfnissen ausgegrenzt, sie können sich dagegen nicht wehren (Beispiel: kürzlich wurde über fehlenden oder unzureichenden Internetzugang für Teilnahme am Onlineunterricht während der Pandemie berichtet). In der Krise müsste ganz schnell etwas am System geändert werden, um Betroffene nicht zu Bittstellern werden zu lassen.

    Geringverdienern unterhalb der Armutsgrenze einen angemessenen Ausgleich zu gewähren, scheitert schon an bürokratischen Hürden. Der Niedriglohnsektor und Kleinstselbstständige sind statistisch erfasst und in der Wirtschafts- und Sozialforschung abgebildet. Auf Ebene der Individualdaten einen gerechten Ausgleich zu schaffen, würde schon an bürokratischen Hürden scheitern. Zwar könnten Finanzämter "die mit Pool" herausfiltern. Eine Entlastung alternativ zum Gießkannenprinzip wäre aber aufgrund des Steuergeheimnisses kaum möglich - die Finanzverwaltung nimmt Steuern ein, teilt aber kein Geld aus.

    Und aus volkswirtschaftlicher Sicht?
    Sicher ist es auch wichtig, die Mittelschicht "bei Laune zu halten", wie der Autor sinngemäß schreibt, um die Folgewirkungen der Energiepreise hin zu einer Rezession zu mindern. Diese wird aber allein wegen der Energie- und daraus resultierender Materialknappheit nicht zu verhindern sein.

    1. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor mehr als ein Jahr

      Deine Beschreibung der Situation in der Bundesrepublik teile ich. Ein paar Nachbarländer sind in den genannten Punkten sehr viel weiter als die BRD. So gib es in Belgien (wo ich überwiegend lebe) eine Indexierung aller Einkommen neben den von Gewerkschaften ausgehandelten Tariflohnerhöhungen. Die Indexierung passt alle Arten der belgischen Einkommen regelmäßig (etwas jährlich) an die Inflationsentwicklung an. Das ist ein zentrales Instrument der belgischen Politik zur Armutsbekämpfung. Während der Eurokrise wollte die deutschen Bundesregierung Belgien zwingen, die Indexierung abzuschaffen. Aber die belgische Regierung hat dem Druck aus Berlin widerstanden. Seit Begin 2022 gibt es in Belgien auf Gas und Strom eine MWSt-Reduzierung und für alle Haushalte eine Pauschale von 300 Euro, die direkt mit den Energielieferanten am Jahresende verrechnet wird. Für einkommensarme Haushalte (etwa 1 Million) gibt es zudem für Gas und Strom die Sozialtarife, die fast die komplette Preissteigerung kompensieren. Um die Staatskassen und die privaten und Unternehmenshaushalte vor den Folgen der Preissteigerung zu schützen (und um Russlands Krieg nicht zu finanzieren), verlangt die belgische Regierung bereits seit Anfang d.J. Preisdeckel an der Börse, weil sie die Preise für künstlich und nicht marktgerecht hält. Verhindert wird das auf EU-Ebene durch den deutschen Bundeskanzler Olaf Scholz. Es gibt dann auch noch das in den NL und Österreich angewandte Modell, eine Grundversorgung allen Haushalten zu einem bezahlbaren Preis zur Verfügung zu stellen. Alles was diesen Grundbedarf übertrifft, kosten den vollen Preis. Auch das ist ein schon lange diskutiertes Modell zur Bekämpfung von Energiearmut. Aber auch damit tut sich die Bundesregierung schwer.

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Jürgen Klute Eigentlich sind ja Preisdeckel künstlich. Wir können natürlich innerhalb Europas, wo es die Hoheit möglich macht die Preise deckeln. Aber natürlich nicht nach außen auf den globalen Märkten. Was Rußland an Preisen erzielt liegt nicht in unserer Hand. Und wir können keinen liefernden Staat zwingen uns Gas oder Öl zu unseren Preisvorstellungen zu liefern. Er wird es tun, wenn er anderswo nicht mehr bekommen kann.

    3. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl Kann man so sehen, dass Preisdeckel auch künstlich sind, vor allem aber sind sie eine politische und bestenfalls eben auch demokratisch legitimierte Entscheidung. Vor allem aber sind und bleiben spekulative Preise künstlich. Es gab im Sommer ja keine reale Gasknappheit. Die kann sich im Winter einstellen. Aber dafür, dass die Preise bereits im Sommer extrem gestiegen sind, gab es ja keine Sachgründe; die Preissteigerungen waren rein spekulativer Natur.

      Das Argument, dass bei einer Preisdeckelung das Gas einfach anderswohin verkauft würde, scheint mir doch ein sehr deutsches und dünnes zu sein. Dieses Argument hat zur Voraussetzung, dass Gas gehandelt werden könnte wie Obst und Gemüse auf dem Wochenmarkt. So ist es aber nicht. Der Transport von Gas erfordert eine aufwendige Infrastruktur: Entweder Pipelines oder Schiffe. Der Bau von Pipelines dauert einige Jahre. Der Gastransport auf Schiffen ist zwar flexibler als der mittels Pipelines. Er erfordert aber auch eine anspruchsvolle Infrastruktur zur Aufbereitung des Gases für den Schiffstransport und entsprechende Lade- und Entladestationen. Diese Infrastruktur lässt sich nicht von einem Tag zum anderen auf- und abbauen.

      Und dann noch eins: Europa ist ein Großabnehmer für Erdgas. Die Mengen an Gas, die Europa verbraucht, lassen sich nicht so einfach auf anderen Märkten verkaufen. Es müsste ja ein Bedarf dafür bestehen. Sonst kauf ja niemand das Gas. Auf den nicht-europäischen Märkten dürfte dann – wenn Europa aufgrund eines Preisdeckels nicht mehr beliefert werden sollte – eher ein Überangebot entstehen, das die Gaspreis nach unten drückt. Schon jetzt kann Russland sein Gas ja nur noch mit erheblichen Preisabschlägen an seine verbliebenen Kunden absetzen.

      Ich halte das Argument, dass im Falle eines EU-Preisdeckels Europa nicht mehr mit Gas beliefert würde, für ein Angst schürendes Lobbyargument, dass SPD und FDP aufgrund ihrer Nähe zur fossilen Wirtschaft bewusst aufgenommen haben und nun bewusst streuen, um eine Preisdeckelung zu verhindern.

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Jürgen Klute So einfach war das doch nicht. Natürlich gab und gibt es eine reale Knappheit. Für Gas aus Russland.“, das über die Pipelines kommt. Unserem
      absoluten Hauptlieferanten. Und eben nicht einfach ersetzt werden kann. Wir müssen nun Flüssiggas (was per se schon teuerer ist) auf Spottmärkten kaufen oder andere Länder aus den Langfristverträgen für viel Geld rauskaufen. Falls das überhaupt geht. Natürlich wird sich das einpendeln. Mit neuen Terminals und Gasschiffen. Auch neue Pipelines wird es geben Alles sehr teuer. Und dauert. Gas ist ja prinzipiell nicht knapp. Also wogegen soll sich der Preisdecklel richten?

    5. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl In diesem Sommer war das Gas noch nicht knapp. Immerhin sind die Speicher ja aufgefüllt worden. Erst im Herbst wurde das Gas knapper und jetzt im Winter kann es je nach Verbrauchsverhalten knapp werden.

      Das Problem im Sommer war eher die öffentliche Debatte in Deutschland und vor allem der unkoordinierte Einkauf von deutscher Seite. Schon Anfang d.J. hat sich der liberale belgische Ministerpräsident Alexander De Croo für einen gemeinsamen Gaseinkauf auf EU-Ebene eingesetzt, damit die einzelnen Mitgliedsstaaten nicht als Konkurrenten auf dem Markt auftreten und die Preise nach oben treiben, sondern dass sie als großer und verhandlungsmächtiger Einkäufer auf den Markt gehen. Das hat die Bundesregierung mit allen Mitteln verhindert und damit die Krise unnötig verschärft. Interessanterweise ist Alexander De Croo als Liberaler und als Unternehmer für korrigierende Markteingriffe auf dem Energiemarkt, der ja tatsächlich nur in einem sehr begrenzten Sinne ein Markt ist (siehe Merit-Order auf dem Strommarkt). De Croo ist als bekennender Anhänger einer freien Marktwirtschaft der Meinung, dass die Energiepreise künstlich sind, weil spekulationsgetrieben und dass es deshalb einer Intervention bedarf. Wenn der Markt der Gesellschaft nicht mehr diene, so wurde De Croo im Sommer im Flanderninfo zitiert, dann funktioniert der Markt nicht mehr. Von Anfang an stand Bundeskanzler Olaf Scholz als Sozialdemokrat gegen diese soziale Position des liberalen belgischen Premierministers.

    6. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Jürgen Klute Ab etwa Juni hat Rußland die Gaslieferungen gedrosselt - in der Jamal-Pipeline und durch Transgas schon eher. Das wir unsere Gasspeicher trotzdem füllen konnten ist kein Zeichen oder Beweis, dass Gas nicht knapp war auf dem Weltmarkt. Sondern dafür, dass Deutschland und Europa koste es was es wolle Gas (Vor allem LNG) dort gekauft haben. Anderen finanzschwächeren Nationen auch weggekauft haben. Wenn auf eingefahrenen Märkten mit begrenzten Vorräten und begrenzter Flexibilität auf einmal sehr große Käufer auftauchen steigen die Preise. Und so war es. Mit dem sinken der russischen Lieferungen und dem steigenden Füllstand gingen die hoch. Das ein gemeinsamer europäischer Einkauf das viel billiger gemacht hätte, ich vermute nicht. Das hätte ja auch nur funktioniert mit den entsprechenden rechtlichen / finanziellen Rahmenbedingungen innerhalb der EU und mit konkreten Verteilungsabkommen. Wo sollten die in einer chaotischen Situation so schnell herkommen. Das hat doch noch nie funktioniert. De Croo und seine Kalküle hin oder her.

    7. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl Dort wo die EU klare Zuständigkeiten hat, läuft es in der Regel gut und reibungslos. Dafür gibt es eine Reihe Beispiele. Schwierig wird es, wenn nationalstaatliche Egoismen zum Tragen kommen können, weil die Zuständigkeiten unklar oder geteilt sind. Deutschland hat ja nicht nur seit Jahren eine katastrophale Energiepolitik betrieben zulasten vieler anderer EU-Mitgliedsstaaten, es hat auch seit vielen Jahren den Aufbau einer Energie-Union blockiert verhindert. Und nun erwartet Deutschland etwas Belgien, dass es einen Teil seines LNG an Deutschland weiterleitet. Vor diesem Hintergrund hat die belgische Regierung erwartete, dass die Bundesregierung nun zumindest alles mitträgt, dass die Gaspreis so niedrig wie möglich hält. Aber die Bundesregierung blockiert wieder, statt nach Lösungen zu suchen. Wer Gas verkauft, will ja auch Kunden und nicht auf seinem Gas sitzen bleiben. Wer über Verhandlungsmacht verfügt, kann eben Einfluss auf die Preisgestaltung nehmen.

      Dass Gaslieferungen rückläufig waren, ist ja nicht ganz neu. Die Drosselung begann ja schon 2021. Richtig hoch gingen die Preise dann nach dem Beginn des russischen Krieges gegen die Ukraine. Durch den Krieg sind allerdings nicht die realen Gewinnungskosten für Gas in die Höhe geschossen, sondern lediglich die Spekulationen. Und Spekulationen kann man – wie die EZB ja 2012 gezeigt hat – auch politisch kontern. Man muss das eben nur machen. Die Bundesregierung ist dazu aber nicht bereit, obgleich die Ankündigung der EU, Maßnahmen ergreifen zu wollen, schon zu Preissenkungen führte, die dann durch die Sprengung der drei Nord Stream-Pipelines vorerst gekontert wurden. Russland scheut sich offensichtlich nicht, mit allen Mitteln die Preise zu manipulieren. Darauf einfach nicht zu reagieren, wie die Bundesregierung, halte ich für einen politischen Fehler, der dazu beiträgt, dass die Preise auf einem irrealem Niveau verbleiben.

    8. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Jürgen Klute Wir reden aneinander vorbei. Natürlich sind die realen Gewinnungskosten nicht in die Höhe geschossen. Aber Rußland verbrennt sein Gas lieber als es zu liefern. Das heißt, es ist nicht genug verfügbares Gas verglichen mit der Nachfrage auf dem globalen Markt. Und es fehlen Infrastrukturen für LNG. Und damit wird es noch teurer das zu wenige aktuell verfügbare Gas ans Ziel zu bringen. Das hat mit Spekulation nichts zu tun. Und das die Bundesregierung darauf einfach nicht reagiert sehe ich eigentlich nicht. Zumal die Medien die Preisentwicklung maßlos übertrieben haben. Und die Preise inzwischen wieder sinken.

      Natürlich gibt es Beispiele, das einiges in der EU reibungslos läuft. Aber es sind fast immer sehr diffizile, langsame und teure Abstimmungsprozesse/Kontrollen notwendig. Ich hab das in der europäischen FuE-Förderung selbst miterlebt. Und unterschiedliche Interessen, unterschiedlich nationale Gegebenheiten sind noch lange keine nationalen Egoismen. Alles von oben aus Brüssel zu dirigieren, alles gemeinsam über einen Kamm ist keine Lösung. Was wir brauchen ist eher mehr Subsidiarität. Eigentlich ein konstituierendes Prinzip, von dem man kaum noch was hört.

    9. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl Na ja, bisher gibt es keine reale Knappheit an Gas. Tut mir Leid, die kann ich nicht erkennen. Bisherige Zurückhaltungen von Gas durch die russische Regierung könnten bisher noch (bei starkem Frost kann sich das durchaus ändern) durch Veränderungen im Verbrauch ausgeglichen werden, ohne dass es zu schmerzhaften Wohlstandsverlusten kommt. Es ist ja nicht nur die bereitgestellte Menge an Gas variabel gestaltbar, sondern bis zu einem gewissen Grad auch der Verbrauch. Auf die Möglichkeiten, den Verbrauch ohne schmerzhafte Einschnitte zu verringern, weisen Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen seit Monaten hin. Eine Geschwindigkeitsbegrenzung wäre die einfachste und bequemste Möglichkeit, mit einer Verbrauchsreduktion anzufangen – ohne Wohlstandverlust und mit etlichen positiven Nebenwirkungen neben der Verbrauchssenkung. Die durch Fehlregulierungen blockierten Stromeinspeisungen aus PV-Anlagen und Windkraftanlagen wären ein zweiter unkomplizierter Schritt. Zimmertemperaturen lassen sich ohne weiteres auf 19 bis 20 Grad regulieren. Usw, usf. Das muss man allerdings politisch wollen. Natürlich gehen Einsparungen zu lasten der Geschäftsmodelle der Stadtwerke und der traditionellen Energieproduzenten und -lieferanten. Aber die Klimakrise erfordert ehe diese Umstellungen so schnell als möglich. Nur zwingt der Krieg Russlands gegen die Ukraine uns dazu, endlich zu handeln. Aus einer klimapolitischen Perspektive ist die aktuelle Energiekrise durchaus positiv zu sehen, da sie zum Handeln zwingt. Andere Ländern schaffen das im Unterschied zu Deutschland.

      Und was die EU betrifft: Ich halte auch nicht viel von einem überbordenden Zentralismus. Nur sieht man gerade, was eine überbordende Subsidiarität verhindert. Gilt ja auch für den Föderalismus in der Bundesrepublik. Interessanterweise funktioniert der noch weit komplexere Föderalismus in Belgien viel reibungsloser. Vielleicht sind die Strukturen viel weniger das Problem als die handelnden Personen bzw. die Kultur, in der die handelnden Personen eingebunden sind. Wie auch immer, nach meiner Erfahrung im EP verfolgt die Bundesrepublik seit etlichen Jahren einen brandgefährlichen nationalegoistischen Kurs. Sonst hätten wir längst eine EU-Energie-Union und wären nie in die Lage gekommen, in der die EU aufgrund der Fehlentscheidungen der Bundesregierung heute steckt. Vielleicht ist die Bundesrepublik wirtschaftlich auch einfach zu übermächtig, als dass sie noch durch die EU eingehegt und gesteuert werden könnte, wie es ursprünglich gedacht war.

    10. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Jürgen Klute Was heißt denn reale Knappheit? Natürlich haben wir im Sommer kaum Gas verbraucht. Das war immer so. Aber die Speicher mußten gefüllt werden. Und die Zeit dafür war/ist begrenzt. Durch Geschwindigkeitsbegrenzung spart man kaum Gas. Durch niedriger Temperaturen schon. Aber je nach Wintertemperaturen eher nicht genug. Also mußte man am Weltmarkt kaufen. Was dort selbstverständlich zur Verknappung geführt hat. Was sich aber allmählich aufzulösen scheint.

      Das mit den angeblichen Fehlregulierung blockierten Einspeisungen der EE trifft nun wirklich nicht den Kern der Sache oder die Lösung. So wichtig EE sind, sie sind wahrscheinlich nicht das allein selig machende Mittel unserer energetischen Zukunft. Auch wenn die EE-Lobby den Eindruck erweckt es sei so. Um so mehr wir davon haben, um so mehr Gas-Back Up werden wir brauchen oder eben andere Quellen. Im übrigen haben auch Stadtwerke inzwischen stark auf EE gesetzt. Insofern sind die Geschäftsmodelle da durchaus komplex. Sicher auch nicht widerspruchsfrei.

      Was die EU betrifft, so ist Deutschland sicher bei weitem nicht das einzige Mitglied, das mehr oder weniger einen nationalegoistischen Kurs fährt.Das ist ja das Problem. Was hätten wir denn für eine europäische Energie-Union bei einem anderen deutschen Verhalten? Eine französische Atom-Union? Auch die Slowakei und Polen setzen auf AKW als eine Säule. Belgien läßt seine Reaktoren noch weiter laufen.

      Und es kann m.E. auch nicht die Aufgabe einer EU sein, einen Mitgliedsstaat einzuhegen. Obwohl die Frage berechtigt ist, wie gut eine freiwillige Union mit ein oder zwei wirtschaftlich sehr dominanten Mitgliedern sein kann. Und das mit so schwierigen Gremien- und Entscheidungsstrukturen.

    11. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl Vielleicht ist deine Herangehensweise an das Thema Teil des Problems. Im EP wurde ich jedenfalls von Kollegen mehr als einmal darauf angesprochen, dass man in Deutschland hervorragend alles problematisieren kann, aber seltenst eine Problemlösung geboten bekommt. Diese Art, Probleme anzugehen, führt dann oft zu Blockaden und überlangen Verhandlungen.

      Was die Fehlregulierungen betrifft: Es sind keineswegs nur Lobbyisten, die das beklagen. KlimawissenschaftlierInnen weisen seit Monaten auf eine Reihe von Einsparmöglichkeiten hin, die in der Summe eben doch eine erheblich Wirkung versprechen. Ob sich die Erwartungen erfüllen, lässt sich halt nur ermitteln, in dem man anfängt Dinge zu ändern.

      Und ja: Eine Funktion der EU war und ist es nach zwei Weltkriegen selbstverständlich, Deutschland einzuhegen. Es geht um deutsche Dominanz, nicht um die kleinen Länder. Die haben Europa nicht zweimal in eine Katastrophe gestürzt. Die beiden Weltkriege und die Rolle Deutschlands ist in den Nachbarländern keineswegs vergessen.

    12. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      @Jürgen Klute Das man in D hervorragend alles problematisieren kann unterschreibe ich sofort. Deswegen ist aber weder alles falsch noch alles richtig, was aus D kommt. Ich halte z.B. die deutsche Energiepolitik für einen Irrweg. Der von vielen anderen Mitgliedern nicht mitgetragen wird. Aber es ist doch wohl ein konkretes Lösungsangebot? Ich höre immer wieder, dass man Deutschland einerseits für einen Besserwisser hält, der meint die Welt retten zu können/müssen. Und allzu offt glaubt man dabei an seine simple Ideallösung. Aber auf der anderen Seite hält man uns für ein Land, dass meint an allem Schuld zu sein. Was ja schlecht zusammenpasst.Wie so vieles ….

      Klimaforscher sind ja keine Energieexperten, genau so wenig wie die Ökonomen. Aber ja, sparen ist richtig und passiert ja auch. Aber es ist keine wirkliche Lösung.

      In welchem Vertrag steht, dass es die Aufgabe der EU sei, Deutschland einzuhegen? Mit welchen Mitteln soll das geschehen? Das es eine "hidden agenda" bei der Gründung war, das ist ja bekannt. Aber der gute Wille ist da nicht die gute Tat. Von Polen über Ungarn, Italien und Schweden erstarken rechte Regierungen. Werden die uns einhegen? Und wie, wohin? Oder meinen nicht viele hierzulande, wir müßten die einhegen?

    13. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      @Jürgen Klute Die Bundesrepublik hat wohl den größten wirtschaftlichen Nutzen aus der EU. Hat da nicht D die besondere Verantwortung gegenüber den Mitgliedstaaten, sich am stärksten für deren gemeinsame Interessen einzusetzen? Wurde das mal im EP oder im Rat debattiert? Die Position als Exportweltmeister oder Vize könnte schnell Geschichte werden.
      Und nochmal zum Ausgangspunkt: Es ging ja um die Gießkanne und die Verbraucher. Energie gehört zur Daseinsfürsorge. In dieser Krise wäre eine gut funktionierende Subsidiarität bis hinunter zur kommunalen Ebene angebracht. Soweit möglich EU-zentralisiert werden sollte der Einkauf, aber auch die Verteilung unter Berücksichtigung der dringendsten Nachfrage durch die einzelnen Volkswirtschaften. Ein spieltheoretischer Ansatz für eine EU-weit maximale Minderung der Krisenauswirkungen. Die Vermeidung von Verlusten der Energieversorger wie auch von Übergewinnen derselben geht doch nicht ohne staatliche Regulierung.
      Ich hatte Gelegenheit, an der Veranstaltung im DIW mit Martin Schulz teilzunehmen, als er den SPD-Vorsitz anstrebte. Ich denke, er hätte in der heutigen Situation zu diesen Fragen eine sehr klare europäische Position bezogen.

    14. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor mehr als ein Jahr

      @Lutz Müller Deinen Ausführungen kann ich nur zustimmen. Eine Reihe kleiner EU-Mitgliedsländer – allen voran Belgien – streite für eine solche Lösung letztlich schon seit Herbst 2021. Und genau so lange blockiert die Bundesregierung mit ihrer ökonomischen Übermacht solche sozial wünschenswerten Lösungen, unterstützt von einigen wenigen nordeuropäischen Ländern. Ja, im EP wurde spätestens ab 2010 die Rolle Deutschlands als Exportweltmeister kritisch gesehen. Vielen MdEP war schon klar, dass Deutschland mit seinen Exportüberschüssen das Epizentrum der damaligen Krise war. In Debatten wurde das zumindest gelegentlich auch diskutiert. Diese Diskussionen haben aber nie den Weg in bundesdeutsche Medien gefunden.

    15. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Jürgen Klute Aber das Problem mit dem deutschen Exportüberschuß wurde in D recht heftig diskutiert. Nur was hilft es den anderen, wenn D weniger exportiert. Selbst müssen diese Staaten ihre Wirtschaften stärken. Das ist ja ein weiteres Problem in der EU - immer sind andere Schuld. Und letztendlich dann doch immer D. Das kann nicht gut gehen.

    16. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl Zum Exportüberschuss gab es in D in meiner Erinnerung eher akademische Diskussionen. Sie wurden teilweise in der Wirtschaftspresse reflektiert. Im Kern ging es m. E. darum, die Verschlankung von Produktion zwecks stärkerer Konkurrenzfähigkeit auf den Weltmärkten weniger intensiv voranzutreiben. Anstelle dessen sollte die Binnennachfrage durch Lohnsteigerungen angekurbelt werden. Aber hat die Bundesregierung diese Frage mal ernsthaft erörtert?

      Euro-Einführung in Griechenland oder EU-Aufnahme von BG und RO: diese Staaten hätten zuvor ihre Wirtschaften stärken und vorbereiten müssen, waren damit aber überfordert. Hätte es nicht mehr gezielte vorbereitende Wirtschaftsförderung geben müssen? Die Korruption ist natürlich ein internes Problem dieser Länder.

    17. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      @Lutz Müller In einer idealen Welt wäre das vielleicht so. Aber keine Regierung der Welt diskutiert alle Fragen, die der Opposition wichtig erscheinen intensiv. Dazu muß diese schon selber an die Macht. Und ich erinnere mich nicht, das der Wechsel in der Regierung in D da eine komplette Veränderung gegeben hat. In einer idealen Welt hätte Griechenland in diesem Zustand auch keinen Antrag auf Mitgliedschaft gestellt und man hätte das Land nicht aufgenommen.

      Übrigens waren die baltischen Länder mit ihren noch niedrigeren BIP Werten komischerweise nicht so überfordert durch die EU-Aufnahme und den Euro. Sie haben ihre Schulden zurückgefahren. Es ging also. Das nun wieder den Deutschen allein zuzuschreiben ist nicht realistisch.

    18. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl Über Schuldzuschreibungen brauchen wir uns wirklich nicht zu beklagen, und das habe ich auch nicht gesagt.
      Es geht doch darum, dass D der größte EU-MS ist und zudem aus der Wirtschafts- und Währungsunion den größten Nutzen zieht wegen seiner Exportmacht. Daraus ergibt sich auch eine besondere Verantwortung für die EU als Ganzes.
      Ich weiß nicht einmal, ob sich die damalige Opposition mit der Problematik Exportüberschuss/Binnennachfrage beschäftigt hatte.

      Die Baltikstaaten: Ja, sicherlich sind dort auf der Unabhängigkeitsbewegung aufbauend recht starke Demokratien entstanden. Und vielleicht tut auch die emotionale Nähe zu den nordischen Ländern ihr Übriges.

    19. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Lutz Müller Ich weiß nicht, ob Schweden, Dänemark oder Holland entsprechend ihrer Größe nicht genau so profitiert haben? Und wenn ich sehe, wieviel Kredite nach Griechenland geflossen sind, nach der Aufnahme in die Eu? Mit deren Ver-Konsumierung die Einkommen zunächst rasant stiegen. Bei verantwortlicher Nutzung wäre GR ein großer Nutznießer geworden. Also letztendlich ist so eine "besondere" Verantwortung eine moralische Forderung, die im realen Alltag nicht lange, nicht gut funktioniert. Entweder jeder trägt seine Verantwortung oder keiner. Aber die Verlockungen sind groß …..

  2. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

    okay:-). Gießkannen begießen ja auch den ganzen Garten, gewollt... nun gut, lesen wir mal.

    ok.
    1. Der Artikel zeigt dass plumpe Kritik an der Gießkanne ... plump ist. gut.
    2. Er macht aufmerksam darauf, dass die Diskussion um sie nicht von Politik zu den Ursachen für Armut etc. ablenken darf. gut.
    3. Der Artikel schwenkt leider schnell um auf "Politik gegen die Gießkanne" - das ist mir zu simpel. Großteil der Kritik an der Gießkanne kenne ich nicht als Streiten komplett dagegen. und der Artikel sagt ja dann auch noch, dass die Gießkanne zumindest die "mit Pool" nicht begießen sollte.
    4. die Argumente für die Gießkanne (zb verhindern dass Mittelstand unter armutsgrenze rutscht und politisches Bauchpinseln) sprechen ja nun dennoch nicht dafür, nicht doch selektiv zu gießen und einigen Gruppen nicht doch zusätzlich (!) den Wasserschlauch zu reichen.

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