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Technologie und Gesellschaft

Die TikTok-Intifada

René Walter
Grafik-Designer, Blogger, Memetiker | goodinternet.substack.com

Irgendwas mit Medien seit 1996, Typograph, Grafiker, Blogger. Ask me anything.

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René WalterDonnerstag, 15.02.2024

Die Bildungsstätte Anne Frank hat einen "TikTok-Report zum Nahostkonflikt" veröffentlicht, der die Forschung über die sogenannte "TikTok-Intifada" nach dem Angriff der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 und die Folgen im Netz zusammenfasst und analysiert. Der Bericht sammelt nicht nur internationale Entwicklungen wie die im November laut gewordenen erneuten Vorwürfe ein Sammelbecken für Antisemitismus zu sein, denen im Jahr 2021 bereits ein Bericht der Anti Defamation League über Antisemitism on TikTok vorausgegangen war, sondern ergänzt diese mit Erkenntnissen für den deutschsprachigen Raum und eigene Umfragen und Forschung.

Im Oktober 2023 zählte die Plattform "20,9 Millionen aktive Userinnen in Deutschland und 2,1 Millionen in Österreich", jeder vierte Mensch in Deutschland und Österreich ist TikTok-Nutzer. "Knapp ein Fünftel der 14- bis 29-Jährigen in Deutschland nutzt Tiktok täglich, wöchentlich sind es sogar ein knappes Drittel."

Dabei sei die Plattform im öffentlichen Diskurs "nahezu abwesend": "Entscheidende politische Akteur*innen des demokratischen Spektrums, zentrale Institutionen, Organisationen und Verbände haben bislang noch keinen TikTok-Account. Einzig die großen Nachrichtenmedien investieren in TikTok: Allerdings ist ihre Reichweite zu denen etablierter Creator*innen beklagenswert niedrig".

Dafür aber sind rechte Kräfte auf der Plattform nicht nur präsent, sondern bei weitem am reichweitenstärksten. Politikberater Johannes Hillje hat die Reichweite der AFD auf TikTok untersucht und die Zahlen sind eindeutig: "TikTok-Videos des offiziellen Kanals der AfD-Bundestagsfraktion etwa erreichten zwischen Januar 2022 und Dezember 2023 im Schnitt 430.000 Impressionen pro Video. Die FDP kam auf rund 53.000, die restlichen Parteien lagen noch weiter zurück."

Von den 80 Bundestagsabgeordneten der Partei (AFD) ist mehr als ein Drittel mit einem eigenen Account vertreten – teils mit Millionen Aufrufen. Rassistische, sexistische und queerfeindliche Influencer*innen aus dem Umfeld von „Querdenken”, der „Identitären Bewegung” oder anderen Gruppen verbreiten ihre Inhalte nahezu ungehemmt. Aber auch islamistische Influencer*innen richten ihre Botschaften an ein Millionenpublikum. Unmittelbar im Zuge des 7. Oktober erreichte etwa der medial schon weitgehend in der Versenkung verschwunden geglaubte islamistische Prediger Pierre Vogel mit Live-Streams bundesweite Reichweite.

Die Bildungsstätte Anne Frank resümiert: "Während Rechtsradikale das Medium souverän, entschlossen und mit hegemonialem Anspruch bespielen, führen die Verteidiger*innen der Demokratie nicht einmal ein solides Rückzugsgefecht" und "Während das Medium das Weltwissen einer ganzen Generation prägt, wird es öffentlich verhandelt wie ein beliebiges Handyspiel."

Rechte Kräfte nützen den neuen Antisemitismus auf TikTok, der schon seit 2021 als "TikTok-Intifada" immer weiter um sich greift und seit dem 7. Oktober "exponentiell angestiegen" ist, als Einfallstor. Eine Studie der Uni Haifa zeigte bereits damals, dass Antisemitismus und Holocaust-Leugnung den größten Anteil extremistischer Posts ausmachen. Ein narratives Biotop voller rechtsradikaler Erzählungen, in dem sich Querdenker, Nazis und Verschwörungstheoretiker sichtlich zuhause fühlen.

Erst vor wenigen Tagen erst entflammte eine Debatte um den reichweitenstarken Podcast "Hoss und Hopf", die grade auf TikTok und grade bei Kids sehr erfolgreich ist und AfD-Parolen unter Jugendlichen verbreitet. Der Kanal wurde gestern auf der Plattform gesperrt "wegen (der Verbreitung von) Verschwörungsmythen und Falschinformation", aber er bildet nur die Spitze eines riesigen Eisbergs.

Die EU hatte die Plattform wegen der Verbreitung von Desinformation im Oktober verwarnt. TikTok habe eine "besondere Verantwortung" gegenüber Kindern und Jugendlichen, so Digitalkommissar Breton.

Im Bericht der Bildungsstätte Anne Frank finden sich Zitate zahlreicher antisemitische Aussagen von Schülern. 11jährige Schüler behaupten, "die deutschen Medien dürfen keine israelkritischen Nachrichten formulieren", und sagen, sie fänden es "schade, wenn palästinensische Kinder sterben, aber die Juden sind egal". Ein 14-jähriger Schüler sagte zu einer Lehrkraft: "Wenn Sie Jüdin wären, würde ich sie sofort an Ort und Stelle abstechen, denn das verdienen Juden."

Vor anderthalb Jahren schrieb ich hier auf Piqd, wie TikTok die Quelle der meisten viralen Online-Phänomene war und damit Twitter als primäre Meme-Schleuder ablöste. Diese Viralität wird nun gezielt von Antisemiten genutzt, um ihren Judenhass vor allem unter Jugendlichen zu verbreiten. Mit Erfolg, wie solche Zitate eindeutig zeigen.

Der Bericht schließt mit Handlungsoptionen und Ratschlägen für Lehrkräfte und die Politik, unter anderem fordert er eine Stärkung der Medienkompetenz durch ein eigenes Schulfach, dem ich mich unbedingt anschließen möchte und beende diesen Linkhinweis auf einen aufrüttelnden, erschreckenden Bericht mit einem Zitat von TikTok-Creator Rafid Kabir:

Seit dem grausamen Angriff vom 7. Oktober ist die Menge an antisemitischen Narrativen auf TikTok exponentiell gestiegen. Statt Solidarisierung mit den Opfern findet man massenhaft Videos mit antisemitischen Verschwörungstheorien bis zu Sympathisiebekundungen mit der Hamas. Es kann nicht sein, dass eine so relevante Plattform wie TikTok dominiert wird von solch einseitigen Narrativen, dass sogar Creator*innen sich nicht mehr trauen, einordnende Videos zu machen und darüber aufzuklären! Es gibt wenig Unterstützung für Creator*innen und Gegenangebote auf der Plattform, was dazu führt, dass die Menschen, die bereits auf dieser Plattform Information konsumieren, mit den Desinformationen alleingelassen werden.“ 
(Rafid Kabir, Creator @itsruffydk)
Die TikTok-Intifada

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Kommentare 2
  1. Lutz Müller
    Lutz Müller · vor 2 Monaten

    Ein wichtiger Text, danke.

    Auch ich finde die Stärkung der Medienkompetenz ungeheuer nötig. Die Analyse der Bildungsstätte Anne Frank erwähnt, dass der Einfluss von Lehrkräften und Eltern begrenzt ist. Aber gerade deswegen muss in der Schule angesetzt werden, wo die Kids die meiste Zeit zusammen verbringen. Ein spezielles Schulfach – es kann helfen, aber auch in den Fächern, wo Falschinformation und Belangloses gehäuft im Netz auftreten, ist es erforderlich. Der Bericht sagt auch, dass die Erwachsenen überfordert sind. Klar, sie tummeln sich ja eher selten gemeinsam mit Kindern und Jugendlichen im Netz. Und gegen antisemitisches Gedankengut vorzugehen, ist eine besondere Herausforderung – den meisten fehlen persönliche Berührungspunkte und somit die Erfahrungen.

    Worauf die Bildungsstätte Anne Frank nicht näher eingeht, ist das Geschäftsmodell der Plattform (Werbetreibende werden nur am Rande erwähnt). Auch das muss mit der Medienkompetenz beleuchtet werden. Es ist nicht nur die Zahl der AfD-Accounts. Jeder Klick, und sei es nur um Bescheid zu wissen, des Dabeiseins willens, spielt den Rechtsextremen in die Hände.

    Campact hat eine Petition gestartet, die bereits 170.000 Unterschriften erhielt: „TikTok: Sperrt die AfD!“ In den einzelnen Abschnitten gibt sie weiterführende Informationen und Links: https://aktion.campact...
    U.a. schreibt im letzten Teil eine Bloggerin vom „Geschäftsmodell Hass“.

    Zur Erinnerung:
    Wie anderen Petitionsplattformen wurde auch Campact der Gemeinnützigkeitsstatus abgesprochen. Begründung: Deren Petitionen richten sich nicht ausschließlich an staatliche Stellen.
    Hier nun wird ein Unternehmen zum Handeln aufgefordert. Die Petiteure erheischen damit keinerlei materiellen Vorteil. Es geht um unsere Gesellschaft, und besonders um den Schutz ihrer Jüngsten.

  2. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor 2 Monaten

    Das die Menge an antisemitischen Narrativen steigt, ist doch kein reines TikTok Phänomen. Ich würde mich eher wundern, wenn es dort nicht steigen täte. Der Haß auf Juden, wie es die Kinder formulieren ist in vielen Haushalten seit Jahrzehnten zu finden. Besonders in der arabischen Welt (die inzwischen fast "judenfrei" ist), aber auch in Deutschland. Bei den palästinensischen Schulbüchern (und anderen arabischen) soll das Standard sein? Finanziert in Gaza von der UNRWA?

    Wäre interessant zu wissen, wieviel des TikTok-Contents dieser Hass ausmacht. Und wie das auf anderen Kanälen so ist?

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