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Die letzte DDR-Wirtschaftsministerin erinnert sich an die Treuhand

Christian Gesellmann
Autor und Reporter

Geboren 1984 in Zwickau, Studium der Politikwissenschaft, Geschichte und Germanistik in Jena und Perugia. Volontariat bei der Tageszeitung Freie Presse, anschließend zweieinhalb Jahre als Redakteur in Zwickau. Lebt als freier Autor in Leipzig und Bukarest. Quoten-Ossi bei Krautreporter.

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Christian GesellmannSamstag, 03.12.2022

Seit April dieses Jahres erforscht der Untersuchungsausschuss 7/2 des Thüringer Landtags die Frage: "Treuhand in Thüringen: Erfolgsgeschichte oder Ausverkauf?" Der Treuhandanstalt gehörten ab Juli 1990 alle rund 8.400 einst nach sowjetischem Vorbild verstaatlichten sogenannten Volkseigenen Betriebe der DDR. Ihre Aufgabe war es, die Betriebe zu privatisieren. Praktisch über Nacht war die Anstalt zum größten Arbeitgeber der Welt geworden, verantwortlich für mehr als vier Millionen Arbeitnehmer*innen. Eine Aufgabe, die in dieser Größenordnung ohne Beispiel war und für die es der Anstalt an allem fehlte: Personal, Erfahrung, Zeit, Kontrolle, Wissen, Übersicht. Was auch gar nicht so schlimm ist, fand die damalige Bundesregierung, denn es sollte vor allem schnell schnell schnell gehen. 

Die Treuhand steht für mich für die größte Vernichtung von Produktivvermögen in Friedenszeiten. Eine solche Vernichtungsaktion von Dingen, die nach dem Zweiten Weltkrieg unter riesigen inneren Schwierigkeiten, mit viel Schweiß von vielen, vielen Menschen und mit von außen errichteten Hürden aufgebaut worden waren, ist bemerkenswert. Und das in nur vier Jahren. An den Folgen krankt Ostdeutschland bis heute. Und viele, viele Menschen litten und leiden daran bis jetzt. Nicht wenige Suizide gehen auf diese Politik zurück.

Das sagt Christa Luft, sie war die letzte Wirtschaftsministerin der DDR. Sie wird bald 85 Jahre alt und im Treuhand-Untersuchungsausschuss ist sie als Expertin eingeladen worden. Aus diesem Anlass empfehle ich ihren Gastbeitrag für das Lower Class Magazine über ihre Erinnerung an die Treuhand, eine Institution, für die der Bochumer Ökonom Marcus Böick den Begriff Trauma-Anstalt geprägt hat. 

Die Form des Beitrags erinnert mich an die wunderbaren Erzählsalons von Katrin Rohnstock, in denen zumeist Ostdeutsche über ihr Leben vor und nach der Wende reden. Es ist ein biografisches Erzählen, ein entschieden auktoriales, aber eines, das nicht rechtfertigen oder gefallen will, keine These verfolgt, keinen Punkt – sondern Sinn ergeben will. Auch für die Erzählende selbst. Die 1938 geborene Luft beginnt ihren Beitrag mit ihrem eigenen Werdegang und wie viele Biografien von Spitzenfunktionären der DDR ist ihre selten von freien Willensentscheidungen geprägt gewesen. Ein bisschen so, wie die Bürger Ostdeutschlands auch nicht aus freien Stücken ihre gesamte Volkswirtschaft der Treuhand übereignet haben:

"Tatsächlich gab es zwei Sorten von Treuhand, wenn ich das so sagen darf. Es gab eine Treuhand, die unter der Regierung Modrow gegründet worden ist und am 1. März 1990 die Arbeit aufnahm. Man kann es nachlesen im Gesetzbuch. Die hatte die Aufgabe, das Volkseigentum im Interesse der Allgemeinheit zu erhalten und nicht etwa zu privatisieren oder zu verscherbeln", erzählt Luft, und ich möchte ergänzen, dass die Grundlage dieses, von einer frei gewählten Regierung verabschiedeten Gesetzes auf den Entwürfen von Bürgerrechtlern basierte. 

"Am 1. März 1990 war aber schon klar, dass es am 18. März bei den Volkskammerwahlen eine andere Parteien-Konstellation geben wird und dass die SED/PDS dann nicht mehr in der Regierung sein wird. Es kam dann ja so, dass die „Allianz für Deutschland“ – also CDU, DSU (ein Partner der CSU) und der „Demokratische Aufbruch“ – gewannen. Gesteuert und in jeder Hinsicht gefördert wurde das von der Bundesregierung. Und Herr de Maizière machte sich dann sofort als neuer Ministerpräsident daran, die alte Modrow-Treuhand auf Geheiß der Bundesregierung aus dem Feld zu räumen und eine neue Treuhand zu gründen. In deren Auftrag stand dann, sie solle das Volkseigentum so rasch wie möglich privatisieren. Aus einer Anstalt zur Bewahrung des Volkseigentums im Interesse der Allgemeinheit war eine Privatisierungsanstalt geworden."

Das Reden über und Forschen zur Geschichte der Treuhand ist nicht nur wichtig für die Aufarbeitung zahlreicher persönlicher Biografien in Ostdeutschland. Die historische Aufarbeitung der damaligen politischen Entscheidungen wird auch für den zukünftigen sozialen Frieden eine Rolle spielen.

Die letzte DDR-Wirtschaftsministerin erinnert sich an die Treuhand

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Kommentare 21
  1. Lutz Müller
    Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr

    Zur "Vereinigungskriminalität":
    www.piqd.de/volkswirts...

  2. Lutz Müller
    Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

    In der Diskussion unten wird das besonders in Westdeutschland verbreitete Urteil der „maroden“ DDR-Wirtschaft durch persönliche Erfahrungen bekräftigt. Klar, wenn man sich nur den baulichen Zustand anschaute; es reichte auch, in ein nicht saniertes Altbau-Wohnviertel zu gehen. Es gab Materialengpässe, Investitionsrückstände, Zahlungsprobleme in harter Währung, all das ist bekannt. War aber wirklich „nichts mehr zu retten”?

    Um von Pauschalurteilen wegzukommen, möchte ich hier etwas näher auf die von Christa Luft angeführten Daten zur Wirtschaftsleistung der DDR eingehen: BIP pro Einwohner ca. 55-60 % der Alt-BRD und 80% von Großbritannien.

    Einige an der Erstellung dieser Statistiken Beteiligte waren mir persönlich bekannt. In akribischer Arbeit wurden Erzeugnisse unter Berücksichtigung von Kaufkraftparitäten ausgewählt. Sofern diese auf dem Weltmarkt gehandelt wurden, war die Ermittlung vergleichbarer Preise einfacher – da hatte die DDR mit Maschinen, aber auch diversen (bspw. in die BRD verkauften) Konsumgütern einiges zu bieten. Bei Waren des täglichen Bedarfs und langlebigen Konsumgütern für den Binnenverbrauch wurden die Produkteigenschaften zur Bewertung hinzugezogen. Obwohl solche Berechnungen keine absolute Genauigkeit erzielen, können sie als Messlatte für einen Gesamtvergleich dienen.

    Was sagen uns die Wirtschaftsdaten der Umbruchsjahre? In den neuen Bundesländern und Berlin-Ost, wo im Jahresdurchschnitt 1991 knapp 20 % der deutschen Bevölkerung lebten, wurden nur 7 % (206 Mrd. DM) des gesamtdeutschen BIP erzeugt. Das Pro-Kopf-BIP machte weniger als ein Drittel des westdeutschen Wertes aus. Das BIP-West erhöhte sich 1991 gegenüber dem Vorjahr um 5 %, nachdem bereits 1990 ein Wachstum um 5,7 % verzeichnet wurde. 1994 / 1991 wuchs das BIP-gesamt um knapp 4 %. (Berechnungen laut Statistisches Jahrbuch 1998 für die Bundesrepublik Deutschland)

    In der schnellen Währungsunion und Öffnung des DDR-Binnenmarkts können ihre Kritiker also durchaus ein Konjunkturprogramm für die westdeutsche Wirtschaft sehen, auch wenn es nicht das erklärte Ziel war und die politischen Ziele hier eindeutig den Vorrang hatten. Zwar stiegen auch die Einkommen aus unselbständiger Arbeit, aber ihr Anteil am Volkseinkommen des früheren Bundesgebiets sank 1990 und 1991 in Folge. Die westdeutschen Unternehmereinkommen wuchsen durch die schnelle Privatisierung der DDR-Wirtschaft weiter an, das genaue Ausmaß wird wahrscheinlich nie zu ermitteln sein.

    Freilich ersetzen derart rudimentäre Daten keine detaillierte Analyse. An einer solchen besteht aber kein politisches Interesse. Die Zahlen können jedoch eine Vorstellung vermitteln: Die Verluste der Treuhandanstalt betrugen über 250 Mrd. DM. Dieser Betrag unterschreitet den Wertzuwachs des BIP in 1991er Preisen in den Jahren ihrer Existenz. Diese Verluste, wie auch die Alimentierung der ostdeutschen Arbeitslosen in den ersten Jahren, fielen dem Steuerzahler zu Lasten. Im Wesentlichen den Westdeutschen, und weniger den Unternehmer*- als den Arbeitnehmer*innen.

    Also war die Sanierung eines größeren Teils der ostdeutschen Produktionsstätten chancenlos, ihre Zerschlagung alternativlos?

    Mit Bezug auf den am 13.12. zu übergebenden Bericht der „Beschleunigungskommission Schiene“ titelt die FAZ www.faz.net/aktuell/wi...:
    „Marodes Schienennetz. Was die Deutsche Bahn von der Schweiz lernen kann“.
    Fahren mit DB = hochriskant?

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      Ich habe als Entwicklungstechnologe selbst Preise "berechnen" müssen. Nach dem politisch motivierten Eingriff entsprachen dann die Preise in keiner Weise mehr den Kosten. Mit welchen Preisen und mit welcher Relation derselben zu den realen Kosten hat den die Statistik gearbeitet. Meines Wissens wurden unsere Maschinen und andere Güter alle unter den Kosten ihrer Produktion verkauft. Zumindest in Richtung Westen. Und auch die Binnenpreise waren z.T. gestützt. Ich glaube, solche Vergleiche waren nie realistisch ….

    2. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl Zum methodischen Ansatz der – weltweit angewendeten – Kaufkraftparitäten siehe www.destatis.de/DE/The... ,
      eine geografische Darstellung des BIP vieler Länder am aktuellen Rand gibt www.laenderdaten.de/wi... .

      Es geht also nicht um Währungskurse, sondern um Eliminierung der Preisunterschiede in den betreffenden Landeswährungen. Ein Ost-Brötchen für 5 Pf. war genauso zu bewerten wie ein West-Exemplar vergleichbarer Qualität zum Preis von 0,20 DM. Der Einzelhandelspreis in der DDR war gestützt. Die Subventionen für Nahrungsmittel wurden aus überhöhten Preisen für langlebige Konsumgüter generiert. Die umfangreichste Datenbasis für die Preisvergleiche resultierte aus dem Warenaustausch innerhalb des RGW. Dafür gab es einen eigenen Kaufkraftstandard (Begriff ist ebenfalls im o.a. Methodentext erläutert). Der Ost-West-Vergleich wurde, soweit ich mich erinnere, über Österreich hergestellt. Und somit wurde dann eine Maschine aus DDR-Produktion nach ihrem Preis in harter Währung bewertet.

      Alles in allem erscheinen mir die Daten zur DDR-Wirtschaftsleistung nicht unplausibel. Sie müssen auch nicht genau das Lebensniveau widerspiegeln, da ein großer Teil der Produktion in den RGW-Export ging.

      Die Währungen DM/Mark der DDR waren über die Wechselkurse nicht annähernd vergleichbar (also auch nicht die Exporterlöse mit den Herstellungskosten). Der Wechselkurs betrug offiziell 1:1, auf dem Schwarzmarkt vor Grenzöffnung ca. 1:10 oder noch darüber, bedingt vor allem durch die Nachfrage nach Devisen für hochwertige Konsumgüter. Dieses Missverhältnis dürfte sich auch in dem Verrechnungssatz 1:4,40 ausgedrückt haben, den Frau Luft erwähnte. Hingegen klingt ihre Erläuterung dazu wie eine sehr vereinfachte Interpretation. Das müsste hinterfragt werden, mir fehlen die Einblicke in die DDR-Währungspolitik. Wie wurden Lieferkosten verrechnet? War es am Ende des Tages eine Förderung für Westexporte?

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Lutz Müller Also die Preise der "hochwertigen" Konsumgüter" waren meist auch gestützt und nicht überhöht. Zumindest im Elektronikbereich deckten sie auch nicht die Kosten. Auch die Qualität war oft nicht vergleichbar. Das Problem war doch, dass sich die Preise insgesamt von den realen Kosten gelöst hatten. Keiner kannte den "Wert" der Waren. Die ganze wirtschaftliche Steuerung war letztendlich ein Blindflug. Steht alles in dem Interview-Buch. Und war auch in der DDR klar. Zumindest wenn man genau hingesehen hat. Ob man dann aus einer Statistik, deren formale Methoden international genutzt wurden wirklich eine fundierte Aussage (ex post) über den Zustand der Volkswirtschaft ziehen kann, das halte ich für fragwürdig. Selbst wenn die Preisvergleiche innerhalb des RGW noch relativ stimmig waren. Sie galten nur in dem alten Bezugsrahmen, den dortigen Austauschbedingungen. Und der war zur Zeit der Treuhand verschwunden.

    4. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl "Devisen für hochwertige Konsumgüter":
      bezog sich auf die Nachfrage nach westlichen Erzeugnissen bei DDR-Bürgern, die diese bspw. in den Intershops für DM erwerben konnten.

      Langlebige Konsumgüter (nicht nur PKW) wurden teilweise weit über den Herstellungskosten verkauft. Die Mieten selbst für Neubauwohnungen waren hoch subventioniert. Woher sollten sonst die gestützten Preise für den Grundbedarf herkommen? Der Lohnsteuersatz war sehr niedrig.

      An den historischen Daten besteht, wie ich schon schrieb, aktuell kein politisches Interesse. Beispiele für ökonomische Ex-post-Analysen, die neue Erkenntnisse lieferten und dabei auch Fälschungen von Daten aufdeckten, gibt es schon. Aber jetzt gibt es erst mal Wichtigeres. Spannend wird sein, ob der Untersuchungsausschuss etwas herausfinden wird – zu möglichen Rechtsverstößen oder für eine Neubewertung der damaligen politischen Entscheidungsprozesse. (Ich kenne das genaue Mandat nicht, also abwarten …)

    5. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Lutz Müller Interessante Frage - wo kamen die Mittel her für die Stützung der Preise. Ich glaube nicht, dass der Trabant wirklich über den Herstellungskosten verkauft wurde. Bei den niedrigen Stückzahlen kann man nicht billig produzieren.Die Haupteinnahmequelle war sicher nicht die Lohnsteuer. Eher die Unternehmen. Man hat ja auch die ganze Infrastruktur kaputt gespart um einen höheren Lebensstandard zu simulieren. Nicht nur in der Produktion wurde zu wenig investiert. (Da ist die Bundesrepublik heut auch wieder dabei.) Das Wohnungsbauprogramm wurde in der DDR mit Krediten aus den Sparguthaben der Bürger finanziert. Da wäre eine ex-post-Analyse sicher angebracht. Und auch für heutige Politik interessant. Die ungenügende Aufarbeitung der DDR-Wirtschaft und was da alles im Dunkeln liegt, das fehlende Wissen darüber, bremst sicher auch heutige Entscheidungsprozesse. Einiges läuft ja durchaus in Richtung DDR 2.0 …..

  3. Lutz Müller
    Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

    Die Bundesregierung sei ähnlich schlimm dran gewesen wie die vom Verlust ihrer Arbeitsplätze Betroffenen – mit solchen Aussagen, wie hier in einem Kommentar geschehen, wird der gesamte Vortrag und damit auch die Politik der Modrow-Regierung ad absurdum geführt. Ich finde im Gegenteil, dass Christa Luft die wesentlichen Vorgänge korrekt beschrieben hat.

    Ihr Vortrag ist stark politisch motiviert, aber sie operiert auch überzeugend mit Daten. Warnungen führender Ökonomen – auch aus dem Westen – zu einer schnellen Währungsunion wurden nicht erhört. Die „größte Vernichtung von Produktivvermögen“ war eine Umwandlung staatlichen in privates Eigentum, und zwar unter Wert. Begriffe wie Raubzug der Treuhand tauchen nur im Titel, nicht in dem gekürzten Text, auf.

    Ergänzt werden könnte noch, dass mit der DM-Eröffnungsbilanz viele Unternehmen in der DDR von einem Tag auf den anderen ohne Liquidität dastanden. Aus dem planwirtschaftlichen System der Zuteilung von Ressourcen wurden sie ins kalte Wasser der Marktwirtschaft getaucht. Woher sollten Investitionen kommen, wenn sie niemand zuteilte? Selbst erhaltenswerte Betriebe mit guten Absatzchancen wurden so als illiquide und nicht konkurrenzfähig abgestempelt.

    Das im erwähnten Kommentar geäußerte Urteil, die DDR-Wirtschaft sei „großteils marode“ gewesen, spricht Christa Luft, die gerade das zurückweist, jegliche Kompetenz ab. Es mag für viele Betriebe, die unter der Mangelwirtschaft litten, zutreffend gewesen sein. Aber nicht für jene Zweige der Volkswirtschaft, die den Kern des Industrielandes DDR ausmachten.

    Der Rückstand bei der Chipproduktion war eines der Probleme. Die Alt-BRD hatte mit ihrer Größe, der arbeitsteiligen Produktion und damit verbundenen Economies of scale viel bessere Voraussetzungen. Auch die DDR war im Rahmen des RGW, oder Comecon, in eine Arbeitsteilung eingebunden. Die Möglichkeiten waren aber wegen eines - ich nenne es zugespitzt - doppelten Embargos begrenzt. Einmal waren die leistungsstärksten Schaltkreise von der Sowjetunion für Rüstungsproduktion und Weltraumforschung reserviert. Zum anderen standen Erzeugnisse der Hochtechnologie auf der Embargoliste des Westens.

    Von einem Insider aus dem Werkzeugmaschinenbaukombinat „Fritz Heckert“ in Karl-Marx-Stadt erfuhr ich dazu folgendes Beispiel. Die computergesteuerten Werkzeugmaschinen hatten Weltniveau und erfreuten sich breiter Nachfrage. Einzelne Modelle hätten sogar westdeutsche Analogien übertroffen. Eine wesentliche Absatzsteigerung wäre möglich gewesen, allerdings bevorzugten Kunden Anbieter mit einem Vor-Ort-Service. Die kleine DDR war damit überfordert, einen solchen im Devisen-Ausland aufzubauen. Bosch leistete das praktisch weltweit. Der Einbau von Bosch-Steuerungen war eine denkbare Alternative, nur standen die nun mal auf der Liste.

    Das Kombinat, wie auch der in nächster Nachbarschaft in Sachsen angesiedelte Entwickler und Produzent des weltweit ersten FCKW-freien Kühlschranks, besteht nicht mehr.

    Es gab (nach 30 Jahren Treuhand?) eine längere Doku, die viele Seiten der Privatisierung glaubwürdig beleuchtete, einschließlich der schlecht gemachten Gesetze, wobei Verletzungen zudem kaum sanktioniert wurden. Vielleicht wieder anlässlich des nächsten Jubiläums.

    Die Worte zur Kriegslüsternheit im letzten Absatz lassen mich nicht kalt. Ich versuche mich in größtmöglicher Nachsicht aufgrund des Alters von Frau Luft. Sie steht damit leider nicht alleine…

    Vielen Dank für diesen PIQ

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      Na klar war es ökonomisch ein Fehler die DM einzuführen. Aber was wäre geschehen ohne die Einführung und das bei offenen Grenzen? Die DDR-Arbeitsproduktivität im offenen Weltmarkt hätte noch niedrigere Löhne bedeutet. Und die DDR-Produkte wären großteils genau so wenig gekauft worden. Die Menschen wären in Scharen in den Westen gegangen. "Kommt die DM nicht zu uns, kommen wir zu ihr."

      Wir brauchen doch nur in die Osteuropäischen Nachbarstaaten ohne Treuhandanstalt zu schauen. Wo da heute noch das Lohn- und Lebensniveau steht. Ja, die Werkzeugmaschinen der DDR waren gut, aber nur ohne die Computer. Die Computer wurden aus dem Westen beigestellt und die Mechanik unter Wert verscherbelt. Und diese Maschinen wurden z.T. mit uralten Maschinen hergestellt. Die DDR war total unterinvestiert. Mit modernen Inseln. Die ganze Mikroelektronikstrategie war ökonomischer Unsinn. Viel zu teuer weil in geringem Maßstab produziert. Nur wollten das die meisten damals nicht hören. Auch Christen Luft nicht. Es gibt dazu übrigens eine interessante Kontroverse zw. Plankommission und Günter Mittag. Kann man u.a. nachlesen in: "Der Plan als Befehl und Fiktion - Wirtschaftsführung in der DDR. Gespräche und Analysen" Westdeutscher Verlag 1995.

      Darin kommen die wichtigsten Wirtschaftsführer der DDR zu Wort.
      "Die Forschergruppe suchte jeweils zwei Repräsentanten: für die zentralen Schaltstellen der Wirtschaftsführung und der Wirtschaftspolitik in der DDR: Po­litbüro, Sekretariat für Wirtschaft des Zentralkomitees, Staatliche Plankommis­sion, Ministerrat und Kombinatsdirektionen. Es gelang, für alle diese Bereiche gesprächsbereite Partner zu finden. Das Politbüro ist vertreten durch Günter Mittag, Harry Tisch, Gerhard Schürer, das Sekretariat für Wutschaft des ZK durch den Sekretär Günter Mittag, dessen wissenschaftlIchen Mitarbeiter Claus Krömke und die Referentin Christa Bertag, die Staatliche Plankommission durch den Vorsitzenden Gerhard Schürer und dessen Stellvertreter Siegfried Wenzel, der Ministerrat durch den Minister für Materialwirtschaft und stellvertretenden Vorsitzenden Wolfgang Rauchfuß und den Minister für Chemie, Günther Wyschofsky, die Kombinatsdirektionen durch den Generaldirektor des großen Kombinats Carl Zeiss Jena, Wolfgang Biermann, und die Generaldirektorin des kleinen Kombinats Berlin Kosmetik, Christa Bertag. Es treten hinzu: der Leiter des Bereiches Kommerzielle Koordinierung, Alexander Schalck-Golodkowski,
      und der Direktor des Zentralinstituts für sozialistische Wirtschaftsführung, Hel­mut Koziolek. Der Freie Deutsche Gewerkschaftsbund ist durch seinen Vorsit­zenden, Harry Tisch, vertreten. Mit dieser Auswahl können wir beanspruchen, die zentralen Institutionen der Wirtschaftsführung repräsentiert zu haben."

    2. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      Nach dem Lesen sieht man die Probleme, vor denen die Treuhand stand etwas realistischer. Ich kann es gern mal digital schicken.

      Für G. Mittag war die DDR schon etwa 1970 wirtschaftlich am Ende. Und jeder, der die DDR-Industrie und Wirtschaftspolitik etwas von innen kannte wußte das eigentlich. Zu glauben, eine Treuhand oder ein anderer Staat hätte das unter den Bedingungen der Wende viel besser machen können, der macht sich selbst was vor.

      "Lepsius: Aber Sie konnten daraus das System selbst nicht mehr verhindern?
      Mittag: Das ging ja nicht. In dem Moment, als das Neue Ökonomische System kaputtgemacht wurde, ich sage das mal ganz . deutlich, wirkte keine irgendwie geartete materielle Interessiertheit in diesem ganzen Prozeß. Und da außerdem auch die Parteiorganisationen den Bezirksleitungen unterstanden - was sollten die dazu sagen? Was sollte Modrow dort nun erklären, wenn er damals mit den
      Generaldirektoren zusammen war? Die wußten doch mehr, als er heute weiß.

      Hertle: Wenn Sie sagen, mit dem Scheitern des NÖS war alles verloren, kommt mir das stark ex-post betrachtet vor. Das war doch schon 1970. Sie haben ja da­ nach noch 19 Jahre Politik gemacht - Sie müssen doch noch eine Hoffnung ge­habt haben?

      Mittag: 1980, habe ich gesagt, war die Sache mit dem Erdöl als ein Beispiel für diese ganze Entwicklung. Und diese Kürzungen und das alles geht ja weiter. Ich möchte noch sagen: Gehen Sie davon aus, daß der Zusammenbruch fast zeitgleich in der Sowjetunion, in der DDR, in Polen, in der CSSR, Bulgarien und Ungarn erfolgte. Das ist doch nicht ein Phänomen der DDR. Das ist ja die primitive
      Krümelkackerei, wie ich sie manchmal höre. Da sage ich, haben die Menschen gar nicht begriffen, daß sich hier Welten verändert haben und die Sowjetunion zusammengebrochen ist. Das einzige, was dort noch einigermaßen funktioniert, ist der militärische Apparat! …."

    3. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl Günter Mittag und Alexander Schalck-Golodkowski waren wie kaum andere der Führung diejenigen, die von Regierungsstellen die realistischsten Informationen erhielten. Es wurde gemunkelt, immer mehr Berichte für immer weniger Genossen würden erstellt. Selbst Berichte für das Politbüro wurden substantiell reduziert oder geschönt. Und dass die Beschreibung der Lage in der Wendezeit verschlimmbessert wurde, ist aufgrund der politischen Interessen dieser Periode nicht abwegig, vgl. www.tagesspiegel.de/wi...

      Es geht jedoch hier nicht um die DDR-Führungseliten, sondern um die angeblich marode Wirtschaft. Nicht nur Verbraucher, sondern auch viele Betriebe hatten mit Engpässen zu kämpfen. Die Wirtschaftsführung wurde dort oft kritisiert, insbesondere, wenn anstelle von Sachlösungen ideologische Argumente kamen. Bei Schwierigkeiten wurde aber auch mal improvisiert und Unmögliches möglich gemacht. Das jedenfalls erlebte ich während eines Praktikums in einem mittleren Maschinenbaubetrieb.

      Klar ist, dass die DDR – wie auch die anderen Ostblockstaaten – ohne die Sowjetunion aufgrund des geschlossenen Währungssystems und der praktisch vollständigen Abhängigkeit bei Rohstoffen und Material wirtschaftlich nicht überlebensfähig war. Und die Sowjetunion war demokratisch im Umbruch, aber wirtschaftlich in der Krise.

      Die Abwicklung eines Teils der Betriebe war sicher nicht zu vermeiden. Mir kann aber niemand weismachen, dass dieses Schicksal oder das Verscherbeln der meisten alternativlos gewesen wären. Gibt es Evidenz, dass die Erwerber größere Verluste aus den Übernahmen geschrieben hätten? Hinzu kamen im Gegenteil Übergewinne aus der Schließung potentieller Wettbewerber – die Versorgung des armen Ostens wurde bereitwillig übernommen. Die Milliardenverluste der Treuhandanstalt wurden sozialisiert, ebenso das noch nicht durch Versicherungsbeiträge gedeckte Arbeitslosengeld.

      Förderinstrumente bei Strukturumbrüchen gab es schon. Es wäre eine große Aufgabe gewesen, aber es war politisch nicht gewollt. Zu Schätzungen des Sanierungsbedarfs kenne ich keine Daten – gab es solche? Hat sich die Regierung Kohl damit befasst? Schneller kam die Vision von blühenden Landschaften – man brauchte nur Straßen zu bauen …

      Ich erinnere mich noch an die leere Fleisch- und Wursttheke am 1. Juli 1990 in der Kaufhalle meines Wohnbezirks. Sie hatte es geschafft, alte Verträge zu kündigen und neue zu schließen, aber es war keine Ware da. Erst in den Folgetagen kam nach und nach wieder Ware. Die Ansprüche der Verbraucher hatten sich geändert, doch wurden auch beliebte DDR-Marken kaputtgemacht. Zu den Umbrüchen im Nahrungssektor z. B. https://deutsche-einhe...

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      @Lutz Müller "Mir kann aber niemand weismachen, dass dieses Schicksal oder das Verscherbeln der meisten alternativlos gewesen wären. Gibt es Evidenz, dass die Erwerber größere Verluste aus den Übernahmen geschrieben hätten? Hinzu kamen im Gegenteil Übergewinne aus der Schließung potentieller Wettbewerber – die Versorgung des armen Ostens wurde bereitwillig übernommen. Die Milliardenverluste der Treuhandanstalt wurden sozialisiert, ebenso das noch nicht durch Versicherungsbeiträge gedeckte Arbeitslosengeld."
      Es gibt natürlich immer Alternativen. Die Frage ist nur, was kosten die und mit welchen materiellen und personellen Ressourcen sollen die in welchen Zeiträumen durchgesetzt werden? Wie will man denn aus der Versorgung des armen Ostens massenhaft Übergewinne erzeugt haben? Wie sollte denn mit der Aufrechterhaltung von nicht wettbewerbsfähigen Parallel-Strukturen Wohlstand erzeugt werden. Deutschland war in den 90er Jahren der wirtschaftlich "kranke Mann" Europas - übrigens mit hohen Lohnquoten. Der Glaube, eine Regierung müsse sich nur mit dem Problem befassen und könne das dann lösen, ist wohl unsterblich. Aber auch politische Strukturen haben nur begrenzte Problemlösungskapazitäten, wirtschaftliche sowieso. Die gescheiterte Planwirtschaft des Ostens durch eine des Westens zu ersetzen, das war ja nun in der auch begrenzten Zeit dieser chaotischen Situation keine ernstzunehmende Alternative? Die Ossis hatten sich doch gerade von ihren Eliten abgewandt.

    5. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      @Lutz Müller Genau, Günter Mittag war schon lange klar, das die DDR am Ende war (Sagt er in dem Interview doch) und Schalck war es auch klar. Lesen Sie das Buch mit den Interviews. Wenn ich mich recht erinnere an die Begegnungen mit Christen Luft war auch ihr das bis in die Wende klar.

      Die DDR-Wirtschaft war im Großen und Ganzen nicht nur angeblich marode sondern wirklich. Genau wie die gesamte Infrastruktur - Altbauten, Telefon, Straßen, Eisenbahn) Wenn sie nur angeblich marode gewesen wäre, dann ist das Geschehen ja völlig unerklärlich - oder nur durch böse Fremdeinwirkung. Wie es ja in der Tat immer wieder versucht wird.

      Ich kenne ein paar Betriebe aus eigener Tätigkeit von innen - EAW, WF, Robotron. Und einige mehr dann aus meiner Forschungs-Zeit an der Uni. Seit Anfang der 80er Jahre war klar, wo das hinläuft. Aufenthalte in Polen oder der Sowjetunion haben das eigentlich nur bestärkt. Mit einem kleinen optimistischen Zwischenhoch durch Gorbatschow. Also der Sozialismus und auch die DDR-Marken wurden weniger von außen kaputtgemacht, das System ist an sich selber gescheitert. Aber auch das Narrativ, der Klassenfeind sei schuld ist offensichtlich unsterblich - wie wir sehen.

      Was die Informationen betrifft, die geschönt waren, das stimmt einerseits. Andererseits gab es wohl durchaus klare Berichte z.B. der Stasi. Nur haben viele im Politbüro das nicht glauben wollen. Z.B. Honecker:

      "Und wurden sie nicht wenigstens vom Ministerium für Staatssicherheit informiert, wie die Leute wirklich dachten?

      Ich möchte sagen, dass ich fast alle Informationen des MfS gelesen habe, auch hinsichtlich der ökonomischen Entwicklung, der sozialen Entwicklung, bis hin zur Kohlenhaldenentwicklung. Die Berichte vom MfS, soweit sie nicht unter Geheimhaltung standen und auch nicht nur mir zugänglich waren, vor allem, wenn es die westliche Seite betraf, erschienen mir immer wie eine Zusammenfassung der Veröffentlichungen der westlichen Presse über die DDR. Das sage ich hier in aller Offenheit. Ich selbst habe diesen Berichten wenig Beachtung geschenkt, weil all das, was dort drin stand, man auch aus den Berichten der westlichen Medien gewinnen konnte. So zuverlässig waren die Informationen des MFS für die Partei und Staatsführung der DDR überhaupt nicht. Und wenn man sich die Berichte bis zum Sommer des vorigen Jahres ansieht hat sich an ihrem Charakter diesbezüglich nichts geändert."

      Reinhold Andert, Wolfgang Herzberg: Der Sturz - Erich Honecker im Kreuzverhör; Aufbau Verlag 1990, S. 312

      Weil nicht sein kann, was nicht sein darf. Ein Motto, das bei "Linken" sehr beliebt ist, aber nicht nur da.

      Als Lektüre zur Wirtschaftsgeschichte der DDR sei empfohlen: Andre Steiner: Von Plan zu Plan

      https://www.hsozkult.d...

    6. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl Rainer Lepsius und das Forscherteam haben mit dieser zeitgeschichtlichen Dokumentation einen sehr wichtigen Beitrag zur Aufarbeitung der DDR-Geschichte geleistet. Diese wurde in den Medien sowie im Nachruf für die Heidelberger AdW gewürdigt: www.soz.uni-heidelberg...

      Hier, wie auch im Vorwort zu dem Gesprächsband, wird darauf hingewiesen, dass selbst bei der offenen Gesprächsatmosphäre nach den methodischen Erfahrungen derartiger sozialwissenschaftlicher Studien eine Reinterpretation des eigenen Handelns in der Vergangenheit durch die Gesprächspartner nicht ausgeschlossen werden kann (Problem der Ex-post-Selbstreflexion). In den entscheidenden Monaten der demokratischen Revolution waren sie schon nicht mehr im Geschäft, davor hatten sie Perestroika und Glasnost komplett abgelehnt, hatten aber auch kein alternatives Programm.

      Den Band finde ich soziologisch wertvoll, dennoch wird er aus den genannten Gründen bei der ökonomischen Betrachtung des Sachverhalte wahrscheinlich wenig helfen, kann ggf. nur Denkanstöße geben. Das Treuhand-Archiv ist für Jahrzehnte versiegelt. An makroökonomischen Analysen zu dem Thema gibt es kein politisches Interesse. Die OECD hatte eine Schätzung des BIP für Deutschland 1990 (wichtiges Basisjahr für Volkswirtschaftliche Gesamtrechnungen) vorgenommen, die vom Statistischen Bundesamt nie bestätigt oder revidiert wurde. Als amtliches Datum gilt allein das BIP der Alt-BRD für 1990.

      Aus Platzgründen habe ich in einem weiteren Kommentar versucht, ein wenig Licht hinter diese Statistiken zu bringen. Und zur politischen Bewertung des Ganzen auf Achim Engelbergs Kommentar geantwortet.

    7. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Lutz Müller Meines Wissens hatten nicht alle der dort interviewten Perestroika und Glasnost komplett abgelehnt. Und das Thema Integration in den Weltmarkt sowie dazu notwendige Investitionen und Joint Venture war immer ein (inoffizielles) Thema.
      Das Problem der ex-Post-Selbstreflexion gilt natürlich immer, auch und besonders für Christa Luft. Und die Einschätzung zum Zustand der DDR-Wirtschaft kann man auch in den Studien danach noch lesen. Also die Idee, eine durch staatliche Planwirtschaft derart marode Wirtschaft durch eine neue staatliche Institution in relativ kurzer Zeit in eine strahlende Zukunft führen zu können (frei von Fehlern und Korruption), die halte ich für ziemlich schräg. Den erhofften und nicht eingetretenen Erfolg, also den Mißerfolg dann dem politischen Gegner (vulgo Klassenfeind) in die Schuhe zu schieben, das ist dann das übliche Verfahren. Die Linke lernt zu selten aus ihren Fehlern ……

    8. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl Gewiss gab es unter den Machern außerhalb der politischen Führungsspitze der DDR einige, die für die Öffnung zum Weltmarkt eingestellt waren. Joint Ventures waren in der Sowjetunion schon Ende der 1980er Jahre verbreitet, die Rahmenbedingungen für ihre Geschäfte waren schwierig. Im einheitlichen Rechtssystem der Bundesrepublik oder mit entsprechenden Übergangs-Regularien war Rechtssicherheit für die Bildung von (halbstaatlichen) Gemeinschaftsunternehmen gegeben. Diese Option wurde aber von der Politik nie ernsthaft erwogen. Schnell verkaufen – verscherbeln. Das ist die Kritik, sie geht nicht gegen den „Klassenfeind“. Es gab ja auch West-Unternehmen, die sich für den Erhalt der erworbenen Betriebe einsetzten, erfolgreich. Explizite Handlungsempfehlungen konnte es nicht geben, jeder Fall war anders. Bei der „schöpferischen Zerstörung“ im Sinne Joseph Schumpeters hätten die Menschen mitgenommen werden können, die sich aktiv für eine Neugestaltung des Lebens einsetzten. Dafür hätte Geld in die Hand genommen werden können. Das wäre in Anbetracht der Verluste der Treuhand das geringere „Übel“ gewesen, es hätte verantwortungsvolle Entscheidungen erfordert. Die Abwertung des Know-hows und der Lebensleistung vieler Menschen wog viel schwerer als der materielle Verlust, teilweise wirkt sie in Konflikten bis heute nach.

    9. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      @Lutz Müller Was heißt "schnell verkaufen" in einer so chaotischen Zeit? Woraus bestanden denn die Verluste der Treuhand? Es ist ja viel Geld in die Hand genommen worden. Die Betrieb hatten zum großen Teil keine Einnahmen. Es war i.d.R. die Treuhand, die die Betriebe mit sehr vielen öffentlichen Mitteln so lange am Leben hielt. Wie lange kann man eine nicht produzierende oder verkaufende Volkswirtschaft finanzieren um sie irgendwann zu transformieren. Ich finde das hier z.B. eine sehr ausgewogene Darstellung der ganzen Treuhandstory:

      https://www.deutschlan...

      Mit welchem Personal hätte man den eine solche Mammutaufgabe durchführen sollen? Die DDR-Bürger hatten sich ja gerade von ihren Eliten abgewandt und Leute wie Lothar Späth waren rar. Das Beispiel Jena zeigt auch in welchen Zeiträumen und Kosten sich das ganze bewegt hat. Also Geld in die Hand nehmen wäre in keinem Fall ausreichend gewesen. Es fehlte Zeit und Unternehmertum sowie Kunden/Märkte …..

      Auch die Idee "die Menschen mitnehmen" ist etwas eigenartig. Wer soll denn die Menschen mitnehmen? Bürger sind doch keine Dinge, die man mitnimmt. Das hat schon in der DDR nicht funktioniert - mit "unseren Menschen" ….. „Der Staat" wird immer so als omnipotenter Alleskönner ( zumindest wenn er wollte) gesehen. Aber es ist nur eine Organisation mit begrenzter Problemlösungskapazität, Mitteln und Wissen.

  4. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

    "… die in dieser Größenordnung ohne Beispiel war und für die es der Anstalt an allem fehlte: Personal, Erfahrung, Zeit, Kontrolle, Wissen, Übersicht. Was auch gar nicht so schlimm ist, fand die damalige Bundesregierung, denn es sollte vor allem schnell schnell schnell gehen." Also vor allem fehlten Absatzmärkte und Produktivität sowie Investitionen. Und für die Bundesregierung war das ähnlich schlimm wie für die unmittelbar Betroffenen. Letztere hatten kurz vorher noch lauthals die DM gefordert. Der letzte Sargnagel der großteils maroden DDR-Wirtschaft. Es sollte nicht nur schnell gehen, es mußte auch. Wer zahlt denn auf Dauer die Löhne für eine Industrie ohne Absatz? ….. Und Christa Luft weiß das eigentlich.

  5. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

    Danke.

    Vor zehn Jahren befragte ich für diesen möglicherweise immer noch aufschlussreichen Essay Christa Luft:
    https://www.hintergrun...

    1. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr

      Danke, sehr aufschlussreicher Essay. Das Gerede von Thilo Sarrazin ist wirklich menschenverachtend. Gegenüber denjenigen, die die Wirtschaft am Laufen hielten oder für die friedliche Revolution kämpften.

      Über die Buchlesung berichtete auch www.tagesspiegel.de/wi... Geradezu sarkastisch Sarrazins Spruch, es habe eben „ein absoluter Mangel an Übersicht geherrscht“. An Übersicht aber war wohl die Bundesregierung nicht interessiert. Wie Christa Luft in ihrem Vortrag herausstellt, gab es keine Evaluation des DDR-Wirtschaftsbestandes, sondern nur Konkurrenz und Interessen. Und auch ihre Schilderungen, dass Gespräche nicht auf Augenhöhe durchgeführt wurden, passt ins Bild.

      www.mdr.de/geschichte/... schreibt: „Unter maßgeblicher Einflussnahme bundesdeutscher Politiker entwirft im Mai [1990] eine Arbeitsgruppe im Büro des neu gewählten Ministerpräsidenten de Maiziere an der Volkskammer vorbei eine Gesetzesvorlage. Tenor: Eine reformierte Treuhand soll Kombinate und Betriebe zügig privatisieren.“ Der Schuldenberg bei Schließung der Treuhandanstalt 1994 hätte 264 Mrd. DM betragen (Stand: 04/2022).

      Die Stiftung Haus der Geschichte www.hdg.de/lemo/kapite... schreibt von 275 Mrd. DM Verlust (Stand 06/2020).

      Gibt es eine Schlussbilanz? Laut Essay aus 2012 waren es 122 Mrd. DM.

  6. Burkhard Geis
    Burkhard Geis · vor mehr als ein Jahr

    Hoffentlich wird bei dieser Form von Aufarbeitung nicht der bedeutende Beitrag von Richard Schröder (auch ehemaliger DDR-Bürger!) vergessen und was soll eigentlich ein Mitglied der Nomenklatura dazu beitragen können?

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