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Verkehr und Mobilität: Es braucht eine präzisere Sprache

Simon Hurtz
Journalist, Dozent, SZ, Social Media Watchblog

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Simon HurtzSonntag, 25.04.2021
  • "Radfahrerin prallt gegen Autotür und zieht sich schwere Kopfverletzungen zu." (RND)
  • "Vierjähriger läuft gegen Auto." (Polizeimeldung)
  • "45-jährige Radfahrerin stürzt in abbiegenden Lkw." (via Tagesspiegel)

Diese Überschriften sind streng genommen nicht falsch. Trotzdem führen sie in die Irre, denn die Wortwahl vermittelt einen falschen Eindruck des Geschehens. Im ersten Beispiel heißt es etwa im Text:

Die Frau war demnach mit ihrem Fahrrad gegen die Tür eines ordnungsgemäß geparkten Wagens am Fahrbahnrand der Wilhelmstraße gekracht, als der 43-jährige Autofahrer gerade aussteigen wollte. Die Frau, die auf dem Radstreifen unterwegs war, stürzte zu Boden.

Der kurze Artikel beruht auf einer dpa-Meldung, die vermutlich kaum oder gar nicht bearbeitet wurde. Die Agentur dürfte sich wiederum an einer Polizeimeldung oder zumindest an den Schilderungen der Beamtïnnen orientiert haben, ohne allzu viel darüber nachzudenken.

Diese Nachlässigkeit kritisiert Dirk von Schneidemesser und fordert eine neue und präzisere Sprache für die Verkehrsberichterstattung. Denn die Art und Weise, wie über Kollisionen im Straßenverkehr berichtet wird, bestimmt, bei wem Leserïnnen Schuld und Verantwortung vermuten.

Im Beispiel wird dem Mann im Auto eine passive Rolle zugeschrieben, obwohl er es war, der aktiv falsch und gefährlich gehandelt hat:

Diese Erzählung lässt keinen Raum dafür, die Schuld bei dem Autofahrer zu sehen, der nicht aufgepasst hat, als er seine Autotür öffnete. Noch legt sie die Idee nahe, dass die Infrastruktur und Verkehrsregeln solche Gefahren verursachen. Genau das tun sie aber.

Schneidemesser untermauert seine Forderungen mit Forschung aus den USA und Großbritannien. Dort haben Wissenschaftlerïnnen untersucht, mit welcher Wortwahl Kollisionen beschrieben werden: "Sprache spielt eine wesentliche Rolle für unser Urteil darüber, wo die Schuld liegt und was für Maßnahmen helfen könnten, Verkehrsgewalt zu minimieren."

Das eher ungewohnte Wort "Kollision" wählt Schneidemesser mit voller Absicht:

Ich nutze hier bewusst das Wort "Kollision" anstatt "Unfall". Denn "Unfall" (maskulin, kommt von mittelhochdeutsch "unval") bedeutet: "unvorhersehbares Ereignis (mit Personen- oder Sachschaden), Missgeschick, Unglück". Unvorhersehbar? Mit zwischen 3.000 und 4.000 im Straßenverkehr getöteten Menschen jährlich über das letzte Jahrzehnt in Deutschland kann die Rede kaum von "unvorhersehbar" sein. Das Wort "Unfall" beschreibt Ereignisse der Verkehrsgewalt so gesehen schlecht.

Er nennt weitere Beispiele, die mir einleuchten:

  • Besser als "autofrei" wären Begriffe wie "belebt", "sicher" oder "sauber", wenn es um Kieze geht, in denen Fußgängerïnnen und Radfahrende unter sich sind.
  • Statt von "gesperrten Straßen" zu sprechen, sollte man es umdrehen: "Offene Straßen" beschreiben viel besser, dass Raum für alle Arten von Aktivitäten entsteht – nur eben nicht für Autos.
  • Der "Parkplatz" legt nahe, dass der Platz zum Parken da ist. Aber muss das so sein? Gibt es ein natürliches Recht darauf, seinen Privatbesitz einfach in der Öffentlichkeit abzustellen? Wie wäre es stattdessen mit "Autolagerfläche"?

Zugegeben: Ich bin nicht sicher, ob das alles alltagstauglich und wirklich hilfreich ist. Sprache ist für viele Menschen bekanntlich ein sehr emotionales Thema (ich bin immer wieder aufs Neue erstaunt, wie viel Empörung ein Sternchen auslösen kann), und ich möchte keine Meta-Debatten über Wortwahl führen. Das kostet Energie und löst mitunter heftige Gegenreaktionen aus.

Ich will auch niemandem sein geliebtes Kraftfahrzeug wegnehmen oder Autos per se als schlecht und schädlich brandmarken. Viele Familien und Pendlerïnnen sind darauf angewiesen, gerade auf dem Land geht es oft nicht ohne. Trotzdem darf es so nicht weitergehen: Deutsche Städte sind Hochrisikogebiete für schwächere Verkehrsteilnehmende und der Blick ins Ausland zeigt, dass es auch anders geht. 

Deshalb finde ich es gut, dass Schneidemesser für das Thema sensibilisiert und Vorschläge macht. Vor allem für Journalistïnnen, die über Verkehr und Mobilität berichten, sind das wichtige Hinweise, die vielleicht die ein oder andere verunglückte Überschrift verhindern.

Um die Nachhaltigkeitsziele zu erreichen, müssen wir den Mobilitätssektor transformieren und Städte anders gestalten als zurzeit, nämlich weniger an Kraftfahrzeugen orientiert. (…) Bis dahin ist es noch ein langer Weg. Wir können einander unterstützen, wenn wir die richtige Sprache anwenden.
Verkehr und Mobilität: Es braucht eine präzisere Sprache

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Kommentare 3
  1. Jan Paersch
    Jan Paersch · vor fast 3 Jahre · bearbeitet vor fast 3 Jahre

    Unglaublich wichtiges Thema, hoffe, das wird von viel mehr Medien aufgegriffen.
    Im IV in der heutigen taz
    https://taz.de/Verkehr...
    spricht er auch davon, dass Autofahrende oft als "Naturphänomen" dargestellt werden.
    "Wir sagen: „Die Fußgängerin wurde angefahren“ statt „Die Autofahrerin fuhr die Fußgängerin an“."

    Musste gleich an die "Straßenfußballer" denken. Ein absurder Begriff in heutigen Zeiten - denn auf der Straße kann man ja eigentlich nur in abgelegenen Spielstraßen in reinen Wohngebieten Fußball spielen.

  2. Niels Benedikter
    Niels Benedikter · vor fast 3 Jahre

    Wichtiger Fortschritt.

  3. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor fast 3 Jahre

    gut so.

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