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Literatur

Gedenken und Erinnern - was uns von unseren Nachbarn unterscheidet

Achim Engelberg
Dr. phil.
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Achim EngelbergMittwoch, 20.03.2024
»Der Himmel meines Großvaters« basiert auf der Geschichte, genauer den Aufzeichnungen meines Großvaters mütterlicherseits, in deren Mittelpunkt seine Erfahrungen und Erlebnisse im Ersten Weltkrieg stehen.

So beginnt Stefan Hertmans prägnanter Essay ZWISCHEN ERINNERN UND GEDENKEN. Er enthält, von heute aus gelesen, einen einzigen unbeabsichteten Fehler. Der größte Erfolg des flämischen Schriftsteller erschien zunächst im deutschsprachigen Raum unter einem anderen Titel als im Original und in vielen anderen Sprachen. 

Mittlerweile kann man ihn auch hierzulande unter dem Originaltitel KRIEG UND TERPENTIN bei Diogenes lesen. Eine dringende Leseempfehlung.

Neben Tiefenschärfe und Verallgemeinerungskraft bis hin zur antiken ANTIGONE zeichnet sich ZWISCHEN ERINNERN UND GEDENKEN dadurch aus, dass er Besonderheiten des Erinnern und Gedenken bei unseren westlichen Nachbarn aufzeigt. 

Wir sind in Europa unverkennbar verbunden, aber wir haben andere Historien, die berücksichtigt werden sollten.

Wenige Beispiele:

Auf dem Gebiet, das wir heute zumeist Flandern nennen, stießen schon lange vor der Gründung Belgiens die germanische und die lateinische Kultur aufeinander, entstand ein polyglottes Wirrwarr und wurde zum Nährboden einer lebendigen, vielschichtigen Kultur.

Der belgische Staat war kein so völlig künstliches Konstrukt, wie immer wieder behauptet wird, sondern sollte in einer für das 19. Jahrhundert typischen staatsbildenden Weise einer jahrhundertealten Grenzkultur eine Gestalt geben, auch wenn das mit der Unterdrückung der Sprache der Mehrheit einherging.

Beide, Holland wie Belgien, sind von Deutschland angegriffen worden. Belgien vor allem im Ersten Krieg der weißen Männer; die Niederlande vor allem im Zweiten Weltgemetzel. Nicht zuletzt das Bombardement von Rotterdam von 1940 war für die Niederlande verheerend.

Den Ersten Weltkrieg, aus dem sich Holland weitgehend heraushalten konnte, erlebte Belgien als nationale Katastrophe. Deshalb gibt es bei unseren Nachbarn ein unterschiedliches Erinnern und Gedenken.

Literatur und Krieg hieß für sie (die Niederlande, A. E.): Geschichten über den Zweiten Weltkrieg, den sie am eigenen Leib erfahren hatten, mit allen daraus resultierenden moralischen Konflikten.

In Flandern dagegen war es der Erste Weltkrieg, der so tiefe Spuren in der Gesellschaft hinterlassen hat, daß die politischen Folgen bis auf den heutigen Tag zu spüren sind.

Wie bei Gemetzeln heute dienten schon gestern Unterschichten und Minderheiten als Kanonenfutter. Im Zeitalter des Kolonialismus hieß das, Soldaten aus den Kolonien, was

unter den Teppich gekehrt wurde, etwa, daß viele Soldaten aus dem Maghreb an die Yzer geholt wurden, aus Indien, Äthiopien und anderen damaligen Kolonien, Kanonenfutter, das leicht anzuwerben war. Ich denke immer an das Foto eines senegalesischen Kämpfers irgendwo in einer Hütte in Flandern – ein Bild, das bei den Gedenkfeiern nicht zu sehen war, weil es nicht dazu paßte.

Und weiterhin gilt nicht nur für die Romane von Stefan Hertmans:

Große Literatur entsteht in der Spannung zwischen dem offiziellen Gedenken und dem, woran wir uns persönlich erinnern.

Hier findet man den Aufsatz als PDF.

Die LEIPZIGER BUCHMESSE hat dieses Jahr als Gastland Niederlande & Flandern; passend dazu erscheint nach einigen Romanen heute der erste Essayband von Stefan Hertmans auf Deutsch bei Diogenes: DIE SUCHE NACH DER GEGENWART.

Stefan Hertmans ist ein lokaler Autor, der zwischen zwei Ländern, Belgien und Frankreich, zwischen einem Dorf bei Brüssel und dem südöstlich vom Mont Ventoux gelegenen Monieux, pendelt. Er reifte zu einem belgisch-flämischen Großautor, einem europäischer Erzähler, dessen beste Werke in die Weltliteratur ragen. Er kennt die europäische Müdigkeit, aber bezieht auch Kraft aus den Träumen von Menschen im globalen Süden. Er ist ein Fährtenleser unser Welt ohne Zentrum, in dessen Rissen, Kanten und Brüchen in Geschichte und Kultur, Religion und Alltag, er künftige Erdbeben und Umbrüche liest und deutet. Im neuen Buch geschieht das in Essays in Pillenform, die man schnell liest, die aber lange nachwirken.

                                                 

Mit diesem Piq beginnt eine Zusammenarbeit mit SINN UND FORM, da diese Zeitschrift für Piqd jeden Monat einen Beitrag befristet freischaltet.

Da SINN UND FORM gerade 75 Jahre wird, hoffen wir, dass die Kollaboration zwischen PIQD und dieser legendären Zeitschrift mindestens 75 Jahre dauert. 

Zum Abschluss wenige Anmerkungen zu SINN UND FORM, das von der Akademie der Künste herausgegeben wird:  Zu DDR-Zeiten hatte die Zeitschrift eine besondere Bedeutung, weil sie als liberal galt. Es finden sich aber unverändert Texte darin, die anderswo nicht zu lesen seien, sagt Chefredakteur Matthias Weichelt im Deutschlandfunk Kultur.

Das international renommierte Periodikum gilt als wichtigste deutschsprachige Literaturzeitschrift. Neben Debüts und Beiträgen anerkannter Autorinnen und Autoren werden hier auch immer wieder Archivfunde, insbesondere aus dem Archiv der Akademie der Künste, sowie vergessene oder erst zu entdeckende Schriftstellerinnen und Schriftsteller vorgestellt. Der Reichtum der Gattungen, die Vielfalt der Themen, die überraschenden Zusammenstellungen und die sorgfältige Komposition der Hefte machen das unverwechselbare Profil der Zeitschrift aus, deren ganz auf das Wort setzende Erscheinungsform seit ihrer Gründung unverändert geblieben ist. SINN UND FORM gehört zu den wenigen publizistischen Formaten, die in der DDR entstanden sind und heute noch existieren. Die Herausgabe dieser traditionsreichen Zeitschrift ist essentieller Bestandteil der Aufgabe der Akademie der Künste, Kunst und Kultur in Deutschland zu fördern.

Und noch ein Gespräch mit Elisa Primavera-Lévy, eine Redakteurin des Dreierteams der Zeitschrift. Der dritte im Bunde ist Gernot Krämer.

Mit dem Beitrag von Stefan Hertmans war SINN UND FORM der nun erfolgten Entdeckung dieses Essayisten von Rang in einem großen Verlagshaus der allgemeinen Entwicklung wieder einmal voraus.

Ein Hinweis in eigener Sache: Ab und zu publiziere ich in SINN UND FORM. So auch im Heft aus dem der hier empfohlene Aufsatz stammt. Dort findet man auch ein Gespräch mit Stefan Hertmans. Hier eine Leseprobe. Und hier die Möglichkeiten wie man SINN UND FORM abonnieren & bestellen kann.

Gedenken und Erinnern - was uns von unseren Nachbarn unterscheidet

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