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Literatur

Schreiben ist Sehen ist Malen ist Hören ist Spielen ist Leben

Schreiben ist Sehen ist Malen ist Hören ist Spielen ist Leben

Jochen Schmidt
Schriftsteller und Übersetzer
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Jochen SchmidtMittwoch, 28.09.2016

Endlich habe ich Lynda Barry entdeckt! (Von der es tatsächlich kein einziges Buch auf deutsch gibt ...) Ich wollte hier eigentlich "Syllabus" ("Stundenplan") besprechen, das erste Buch, das ich von ihr gelesen habe, aber inzwischen habe ich schon vier andere verschlungen und weiß nicht mehr, womit ich anfangen soll, zumal eine lineare Schreibweise dieser Autorin nicht gerecht wird. Lynda Barry, die 1956 geboren wurde, hat jahrelang für Zeitungen wöchentliche Strips produziert, viele davon kreisten um eine Gruppe Kinder in einer amerikanischen Kleinstadt, und ich habe selten so etwas Wahres, Rohes, Berührendes und Lustiges über Kinder gelesen wie in "The! Greatest! Of! Marlys!", einer Sammlung von Strips über die sommersprossige, kurzsichtige, anstrengende, nerdige Marlys, die ihren Enthusiasmus nie verliert (die Freundin, die sie nie hatte, schreibt Lynda Barry). Weil das Zeitungsgeschäft für ihre Comics irgendwann eingebrochen ist, hat Lynda Barry sich inzwischen "neu erfunden", sie unterrichtet an den verschiedensten Universitäten in den USA "Kreativität", wobei es bei ihr eigentlich um Lebenskunst geht. Sie hat bereits drei Bücher zu diesem Thema gemacht, im opulenten "What it is" schreibt sie über ihren eigenen Weg zum Comic, der nicht leicht war, weil sie aus sehr ärmlichen Verhältnissen stammt und ihre Familie nicht das geringste Verständnis für ihre Freude am Zeichnen hatte, im Gegenteil, sie ist von ihrer Mutter immerfort entmutigt worden. "Syllabus" ist nun ein Tagebuch ihrer Arbeit als Kursleiterin und besteht zum Teil aus ihren Anschlägen, die selbst als Comics gestaltet sind (so eine Professorin hätte man sich gewünscht!) Das Buch ist sozusagen Exempel ihrer eigenen Methode, denn es ist ein "Composition Notebook", wie sie es ihre Studenten führen läßt. Eine übermalte und überkritzelte Collage aus Skizzen von Studenten, eigenen Geschichten, Zeitungsausschnitten, Fotos, etc.

Es geht in ihren Kursen um viel mehr als die Kunst, Comics zu zeichnen, es geht um die Wiederentdeckung der Kreativität, die uns allen angeboren ist. Oft stellt sie einfach Fragen. Fast jedes Kind zeichnet und malt gerne und fast jedes hört irgendwann damit auf. Warum verlieren wir die Lust an so etwas Essentiellem? Warum schämen wir uns, wenn wir als Erwachsene ein Bild mit Filzstift ausmalen? Wann fangen wir an, das, was wir eigentlich aus Spaß tun, mit den Augen der anderen zu sehen und zu bewerten? Wie lernt man, wieder zu zeichnen wie ein Kind? Was passiert mit einem Bild, wenn jemand es mag oder nicht mag? Wie kann man zeichnen ohne zu denken? Was tut man, wenn einem nichts einfällt? (Nie den Stift ruhen lassen, sondern Spiralen und Alphabete malen.) Eine ihrer Überzeugungen ist, daß man mit Hand schreiben muß, "no electronic devices allowed in the classroom". Denn sie beschäftigt sich viel mit Forschungen zum Thema Kreativität und beruft sich auf "The Master and his Emissary", ein Buch des Philosophen und Hirnforschers Ian McGilchrist, das die westliche Kultur und Geschichte aus dem Verhältnis unserer Gehirnhälften erklärt. (Nicht, daß ich es gelesen hätte …) Sie selbst arbeitet inzwischen mit chinesischem Pinsel und einem Tintenstein, ihre Bücher sind so wild zusammengeklebt und der Text ist immer Teil des Bilds, so daß sich daraus vielleicht erklärt, warum sie nicht übersetzt wird, es wäre einfach schwer, das zu lettern, man müßte das ganze Buch neu malen.

Für Lynda Barry ist Kreativität Freude am Leben. Und der beste Weg dazu, sie zu finden, ist, wieder so präsent in der Gegenwart zu sein wie als Kind. Dabei hilft das Führen eines Tagebuchs, aber nicht als abendliche Pflichtaufgabe, sondern als ständiger Begleiter. Jeder kann das. Viele Menschen denken, ihr Leben sei uninteressant und sie hätten nichts zu erzählen, wozu sollten sie Tagebuch führen? Aber erst durch das Tagebuchführen, bzw. Einkleben, Ausmalen, Notieren, lernt man sehen und hören, was wirklich um einen ist. Es gibt immer etwas wahrzunehmen, und es ist immer interessant. Mit den verschiedensten Übungen wird versucht, diesen Zustand zu erreichen, mit Schreiben, Collagieren, Zeichnen, und natürlich mit dem täglichen Malen von kurzen Comicstrips. Jeder Student (sie tragen für den Kurs Namen von Hirnregionen) führt ein Composition Notebook, in das er malt, klebt, schreibt und kritzelt (wie gerne würde ich sie mir ansehen.)

Eine erfrischender Luftzug weht aus diesem Buch, es hat selbst alles, was Comics für mich so attraktiv macht, weil es spontan wirkt, roh, ehrlich, improvisiert, komisch. Beim Lesen entdeckt man ständig Details, wie in einem Bilderbuch. Das Buch wurde nicht "geschrieben", sondern hergestellt. Lynda Barry klebt Skizzen ein, die die Studenten weggeworfen haben, und von denen sie fasziniert ist. Sie versucht, die Zeichnungen der Studenten zu kopieren, was so schwer sei wie bei einer Handschrift, sie läßt sie in 30 Sekunden aus dem Gedächtnis Batman malen. Sie läßt sie mit Buntstift Monster ausmalen. Sie läßt sie ein Schloß in 3 Minuten, 2 Minuten, 30 Sekunden und 5 Sekunden malen. Sie läßt sie in 16 Minuten 6 Personen zeichnen, die von allen gemeinsam vorher rasch aufgeschrieben wurden. Gerade, wenn man denkt, man könne etwas nicht, wird es interessant. Das Ergebnis ist oft reizvoll, egal wie gut man zeichnen kann. Während der Arbeit dürfen die Studenten Süßigkeiten essen, wenn sie sie vorher malen.

Warum bekommt im Märchen immer der dumme Bruder das Königreich, der keinen Plan verfolgt, ziellos herumwandert und die seltsamsten Wesen ernst nimmt und fair behandelt, weil er keine Angst vor ihnen hat? Wann beginnt man zu denken, etwas müsse es wert sein, getan zu werden, statt es einfach zu tun, weil es Spaß macht? Täglich wird man dadurch von dem, was Spaß machen könnte, vom Spielen, vom Tagträumen, vom Lebendigsein, abgehalten. Warum denken viele noch, Kunst sei Luxus, Dekoration, eine Domäne einiger weniger Begabter, wo sie für jeden Menschen essentiell zum Überleben ist, die Seele rettet und der Welt eine Wahrheit gibt, die sie ohne sie nicht hat?


P.S. Daß Lynda Barry eine äußerst witzige Frau ist, sieht man bei ihren frühen Auftritten bei David Letterman, die man bei YouTube findet.

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