Der französische Islamforscher Gilles Kepel hat sich nun in einem Interview mit Die Zeit auch zu dem Anschlag vom 19. Dezember 2016 in Berlin geäußert.

Kepel befasst sich seit langem mit dem Dschihadismus. Seine Analysen basieren auf dem Studium zentraler islamistischer Schriften, vor allem auf der im Januar 2005 publizierten 1600 Seiten umfassenden Strategieschrift des ehemaliges Al-Kaida-Manns Abu Musab al-Suri. Al-Suri spricht in diesem Text von Europa als dem weichen Bauch des Westens, so Kepel, den man im alltäglichen Umfeld mit Terrorakten radikalisieren kann. Das Ziel dieser nach Kepel dritten Strategie des Dschihadismus ist die Spaltung Europas in Muslime und rechte Islam-Hasser, die sich bekämpfen und die europäischen Gesellschaften so destabilisieren.

Der Anschlag von Berlin reiht sich für Kepel in diese Strategie ein.

Den europäischen Regierungen wirft Kepel vor, dass die Ankündigungen von al-Suri bis heute nicht zur Kenntnis genommen haben.

Der Bundesregierung im Speziellen hält er vor, dass ihr Sicherheitskonzept von gestern sei:

"Die Handlungsfähigkeit täuscht leicht, und darin liegt eine Schwäche: Die Institutionen sind veraltet. Sie waren im Kampf gegen die RAF-Terroristen hierarchisch, pyramidenförmig organisiert. Aber ein Staat, der so aufgebaut ist, ist sicherheitspolitisch von gestern, er ist allzu wirkungslos gegen die situativen Mobilisierungen einzelner islamistischer Attentäter."

Kepel macht allerdings auch deutlich, dass die bisherigen dschihadistischen Anschläge in Europa mit den syrischen Flüchtlingen nicht viel zu tun haben. Die Rekrutierung der Terroristen erfolgt auf anderem Weg.

Kepels Schwachstelle ist, dass er anders als etwa der französische Soziologe Emmanuel Todd (Wer ist Charlie?) die innergesellschaftlichen Ursachen in Europa für den Terror so gut wie nicht im Blick hat.

Gleichwohl ist dieses Interview ein wichtiger Beitrag zu einem besseren Verständnis der Handlungsweise der Dschihadisten.