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Zeit und Geschichte

Venedig, ein Nachruf

Dirk Liesemer
Autor und Journalist
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Dirk LiesemerMontag, 01.08.2016

1958 verfasste Hans Magnus Enzensberger eine weitsichtige Tourismuskritik. Diese Form des Reisens, so notierte er, habe sich parallel zur industriellen Gesellschaft entwickelt. Die frühen Touristen sehnten sich nach unberührter Landschaft und unberührter Geschichte. Sie hegten den romantischen Wunsch nach Freiheit und Ursprünglichkeit und wollten aus den Zwängen und der Eintönigkeit der modernen Arbeitswelt fliehen. Doch ihre Form des Reisens entwickelte sich bald selbst zu einer Industrie. "Die Reise aus der Warenwelt ist ihrerseits zur Ware geworden", schrieb Enzensberger.

Schon der Begriff "Tourismus" deutet dabei mit seiner Endung "ismus" auf eine radikale Zeiterscheinung hin. Und die Endung reiht das Phänomenen darüber hinaus in eine Liste extremer Geisteshaltungen ein, die ansonsten mit Termini wie Sozialismus oder Kapitalismus bezeichnet werden.

Wie tiefgreifend der Tourismus unsere Städte und unsere Lebenswelt heutzutage verändert, erzählt die Journalistin und Schriftstellerin Petra Reski am Beispiel von Venedig. Es ist ein Nachruf auf eine Stadt, die schon viele Katastrophen überstanden hat. Nun aber dürften Touristen bald die letzten Venezianer aus ihrer Stadt verdrängt haben, den letzten Fleischerladen, den letzten Schreibwarenladen. "Als wirksamstes Mittel zur Beseitigung der letzten Venezianer hat sich die Ferienwohnung erwiesen, nicht mal die Pestepidemie von 1630 war so effektiv", schreibt Reski. Noch gut 55.000 Venezianer leben in der Stadt. Dafür übernachten jährlich rund zehn Millionen Touristen allein in den privat vermieteten Appartements. Wo soll ein Venezianer da noch eine neue Wohnung finden?

Nach der Lektüre des Berichts kann man Tourismus für eine zivile Form von Terrorismus halten. Doch der Untergang Venedigs ist nicht nur eine Folge der Mietverhältnisse, sondern hat auch politische Gründe, die mehr auf dem Festland als in der Lagunenstadt liegen. Auch davon wird im Text erzählt. Noch wehren sich die letzten Venezianer übrigens gegen den Verlust ihrer Heimat.

Venedig, ein Nachruf

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Kommentare 5
  1. Frederik Fischer
    Frederik Fischer · vor mehr als 7 Jahre

    Ich war nach vielen Jahren im Februar wieder eine Woche dort. Der Zustand ist tatsächlich schockierend. Es gibt wohl keinen anderen Ort auf der Welt, der von der Tourismusindustrie ähnlich radikal zur Kulisse verdammt wurde. Tragisch. Wobei es immer noch genug Viertel gibt, in die sich Touristen nur verirren, wenn sie sich verirren.

  2. Christoph Weigel
    Christoph Weigel · vor mehr als 7 Jahre

    bereits 25 jahre nach enzensberger war venedig nur noch so zu ertragen: nachtzug von florenz, durch venedig zu fuß, mitten in der nacht die boote aus dem umland zum mercato tuckern hören, beim entladen zuschauen, dem geruch einer bäckerei folgen, frische cornetti und einen cappuccino im ersten öffenen caffè, zigarette auf der piazzetta (mit sonnenaufgang über san giorgio maggiore), einmal kurz durch die academia, um giorgione zu grüssen. flucht aus der stadt vor 9 uhr morgens (unbedingt). eine ahnung mitnehmen, daß die stadt einmal tatsächlich gelebt hat. ob das 30 jahre später auch noch geht?

    1. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor mehr als 7 Jahre

      na, das erlebnis hat sich dafür ja tief eingeprägt. leider ist venedig ist ja keineswegs die einzige stadt, die von touristen überfallen wird. da lobt man sich schon fast die reinen touristenstätten wie maspalomas

    2. Christoph Weigel
      Christoph Weigel · vor mehr als 7 Jahre

      @Dirk Liesemer ja, der eindruck war stark, und die erinnerung sehr lebendig.

      mir ist bewußt, daß es den von touristen "heimgesuchten" städten keinen deut besser ginge, wenn sich die vielen menschen auch so 'am rande' vorbeischleichen würden wie ich. ich muß zugeben, daß ich da einigermaßen hin&hergerissen bin. maspalomas et al. ist keine nachhaltige lösung, und natürlich auch nicht, sich alles im TV oder auf youtube reinzuziehen. das erst recht nicht. ich wünschte, mir würde was besseres einfallen.

    3. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor mehr als 7 Jahre

      @Christoph Weigel das ist die crux; und nur an nebenschauplätze will man ja auch nicht verreisen. wahrscheinlich hat die zeit des massentourismus erst begonnen. wenn sich erst einmal die ganzen menschen in asien in den flieger setzen

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