Im Newsletter von Krautreporter las ich, dass dieses SPON-Stück hervorragend sei. Nein, es enthält Fehler und nimmt eine gefährliche Antihaltung gegenüber der Geschichte ein.

War Kafka Deutscher? Immerhin lebte und schrieb er in Prag. Eher Tscheche also.

Nein, Kafka ist bekannt, weil er ein großer Visionär und Stilist der deutschen Sprache war.

Schlimmer ist die platte Hauptthese:

Früher war alles Mist, fast überall.

Es ist wie der Spießer im "Faust", der selbstzufrieden sich und seinesgleichen lobt, wie sie es "herrlich weit gebracht haben" (Goethe).

Wenn wir etwa das Geistesleben der Kaiserzeit betrachten, dann sehen wir ganz schön arm aus. Da forschte Röntgen, der erste Nobelpreisträger für Physik, neben Einstein, da schrieben Gerhart Hauptmann und die Brüder Thomas und Heinrich Mann ... Die Beispiele könnten leicht länger als ein piq sein. Ja, diese Gesellschaft ging unter im Ersten Weltkrieg, aber das sagt nichts über Leistungen, immerhin wird auch unsere Welt untergehen wie alle anderen zuvor.

Ein nationaler Nihilismus stärkte stets Nationalisten - heute die Anbeter von fast allem aus "1000 Jahre Deutschland", die auch alles wiederaufbauen wollen wie es mal war.

Es ist sinnvoll, die "bestimmte Negation" (Hegel) anzuwenden, Verbindendes auszuwählen. Für den Teilaufbau des Berliner Schlosses z. B. war ich, um einen bezaubernden Boulevard wiederzugewinnen, bei der Garnisonskirche in Potsdam bin ich ein Gegner.

Treffend ist da Tucholsky, der schon in den 1920ern ähnliche Positionen kritisierte wie sie heute Gauland oder Stöcker einnehmen:

Es ist nicht wahr, dass jene, die sich "national" nennen und nichts sind als bürgerlich-militaristisch, dieses Land und seine Sprache für sich gepachtet haben. ... Und so widerwärtig mir jene sind, die - umgekehrte Nationalisten - nun überhaupt nichts mehr Gutes an diesem Lande lassen ... so scharf verwahren wir uns dagegen ins Vaterländische umzufallen. ... Wir haben das Recht, Deutschland zu hassen - weil wir es lieben.