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Gestern & Heute: „Was hat ihm gefehlt?“ Hölderlins Kampf mit der Geschichte
Dr. phil.
picker für: Flucht und Einwanderung Literatur Fundstücke Zeit und Geschichte
schreibt u. a. für die Neue Zürcher Zeitung, Blätter für deutsche und internationale Politik, Sinn und Form und Lettre International. Als Historiker wertet er den in der Berliner Staatsbibliothek vorliegenden Nachlass seines Vaters aus. So erschienen »Die Bismarcks. Eine preußische Familiensaga vom Mittelalter bis heute« (2010, zusammen mit Ernst Engelberg) und die von ihm herausgegebene Neuedition von Ernst Engelbergs »Bismarck. Sturm über Europa« (2014). Zuletzt erschien als Hardcover sein literarisches Sachbuch »An den Rändern Europas« (2021).
Das aktuelle Hörspiel SPRACHE, MEIN STERN von Ruth Johanna Benrath und Ulrike Haage verbindet das Gestern mit dem Heute.
Späte Gedichte von Friedrich Hölderlin, der vor 250 Jahren geboren ist, hört man. Gemeinsam mit Musik korrespondieren diese mit denen von Ruth Johanna Benrath.
Der beachtliche, heute etwas vergessene deutsche Dichter Stephan Hermlin schrieb Gedichte und Prosa, Essays und ein Hörspiel: SCARDANELLI.
Das Pseudonym SCARDANELLI verwendete Hölderlin für seine späte Dichtung, die er teilweise Jahrhunderte (!) vor oder zurück datierte.
1970 – zum 200. Geburtstag von Hölderlin – kam Hermlins einziges Hörspiel heraus und ist nach einem halben Jahrhundert nun hier zu hören.
Hermlin identifiziert sich mit der revolutionären, "jakobinschen" Haltung Hölderlins, der tief enttäuscht war, dass die Ideale der französischen Revolution, Freiheit und Gleichheit, nicht verwirklicht worden sind.
Die Hoffnungen des Remigranten Stephan Hermlin, dass nach 1945 ein radikaler Neuanfang gelingen könnte, sind im durch die Mauer geteilten Deutschland grau geworden.
Es war ein großer Kommentar, dessen Bedeutung gleich erkannt wurde, denn das Hörspiel erschien auch als Büchlein – in Ost und West.
Nicht zuletzt, da es aus dem überlieferten Dokumentarmaterial kunstvoll erarbeitet ist, wirkt es noch heute.
Der Besuch des Anfangs bildet einen Rahmen für Rückblende, die chronologisch Schlüsselmomente aus dem Leben Hölderlins darstellen. Man hört die gleichen Geräusche am Anfang und am Ende: „Flußrauschen. Entferntes Wagenknarren. Sich nähernde Schritte“. Zum Ausgangspunkt zurückgekehrt ist nicht alles gleich: Man erahnt zumindest den "Wahnsinn" Hölderlins.
Wie dieser wollte der Kommunist Stephan Hermlin, der entscheidend den Protest gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf Biermann aus der DDR 1976 organisierte, "ins Allgemeine wirken".
Lebenslang beschäftigte er sich mit Hölderlin, der für ihn der Dichter aller Dichter war.
Immergrün bis heute.
Nach dem Hölderlin-Hörspiel von Stephan Hermlin wirken die späten Gedichte aus der aktuellen Sendung anders.
Beide Werke bilden kommunizierende Röhren oder eine Spirale.
Wer mehr von und über Friedrich Hölderlin lesen, hören, sehen will, der findet auf der Webseite HÖLDERLIN 2020 vieles.
Etwa ein Zitat, dass Hölderlins Kampf mit der Geschichte deutlich macht. Es stammt aus seinem einzigen Roman HYPERION.
Ich kann kein Volk mir denken, das zerrissner wäre wie die Deutschen. Handwerker siehst du, aber keine Menschen, Priester, aber keine Menschen, Herrn und Knechte, Jungen und gesetzte Leute, aber keine Menschen - ist das nicht wie ein Schlachtfeld, wo Hände und Arme zerstückelt untereinanderliegen, indessen das vergoßne Lebensblut im Sande zerrinnt?
Ach, der heutige 23. April ist der Welttag des Buches. Es ist der (vermutete) Geburts- und Todestag von Shakespeare und das Sterbedatum von Cervantes.
Quelle: Friedrich Hölderlin, Stephan Hermlin, Ruth Johanna Benrath, Ulrike Haage Bild: DLA Marbach deutschlandfunkkultur.de
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