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Volk und Wirtschaft

Kahneman ging voran - mit gutem Denken

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlFreitag, 05.04.2024
Auch Nobelpreisträger sind sterblich. Und so verstarb auch Daniel Kahneman am 27. März im hohen Alter von 90 Jahren. Damit geht einer der einflussreichsten und kreativsten Psychologen und Wirtschaftswissenschaftler der vergangenen 100 Jahre. Ein Anlaß für alle großen Zeitungen über ihn nachzudenken. Über einen Psychologen, der die Grenzen seines Fachs weit überschritt und so zu einem entscheidenden Wegbereiter der "Behavioral Economics" wurde.
Ist der Mensch eine kühl kalkulierende Maschine? Lange Zeit basierte die Wirtschaftswissenschaft auf dieser Idee. Individuen erschienen als rationale Wesen, die nur darauf programmiert waren, immer und überall ihren Eigennutzen zu maximieren. Zwar war es manchem Forscher unwohl beim Gedanken an einen solchen Homo oeconomicus, zumal der Alltag voll ist von Bauchentscheiden. Deswegen dem Menschen aber irrationales Verhalten unterstellen – das wollte man dann doch nicht.
Das der Mensch nicht wirklich ein reiner Homo Oeconomicus ist, wie diese Abstraktion nahelegt, das war sicher vielen Ökonomen vorher schon klar. Auch das damit die Theorie eigentlich abstrakt und begrenzt blieb. Aber wie mit allen Abstraktionen (etwa wie bei Marx, der den Kapitalisten in seiner Theorie als reinen Funktionär des Kapitals nahm) schienen sich Ökonomien damit wunderbar einfach (mathematisch) modellieren zu lassen. Ist doch jedes (mathematische) Modell letztendlich eine Vereinfachung aber damit eine Reduktion. Und es fehlten offensichtlich die Ideen, wie man subjektives Verhalten, induktiv verallgemeinert, in dann komplexere Modelle einbeziehen kann. Gebraucht wurde universales Wissen über menschliches Verhalten und Entscheiden in einer unsicheren, vielfältigen Welt. 

Kahneman hat dazu, zusammen mit seinem Freund und Partner, dem ebenfalls aus Israel stammenden und sehr früh verstorbenen Psychologen Amos Tversky, mit seiner "Theorie der Heuristiken und Biases menschlichen Entscheidungsverhaltens" wesentliches beigetragen. Eine Theorie, die weitgehend dem bisherigen Wissen über unsere grundlegenden intellektuellen Entwicklungen widersprach.

Da ist zunächst das Konzept von der Verlustaversion bei uns Menschen:
Es zeigt, dass die meisten Menschen einen Verlust doppelt so stark wahrnehmen wie einen gleich hohen Gewinn. Der Ärger über den von 100 auf 120 Franken gestiegenen Preis für eine Tankfüllung ist also viel grösser als die Freude über den Preisrückgang von 100 auf 80 Franken. Aus diesem Grund ist nicht zu empfehlen, jeden Tag aufs Aktienportfolio zu schauen. Denn der mit Kurseinbussen verbundene Schmerz führt zu übertriebener Vorsicht, was eine kluge Vermögensanlage fast verunmöglicht.

Das rationale Aufrechnen von Kosten und Nutzen ist sicher keine Stärke von uns Menschen. Für diese Erkenntnis, zusammengefasst in seiner „Prospect Theory“, erhielt Kahneman 2002, gemeinsam mit dem US-Ökonomen Vernon Smith, den Alfred Nobel-Gedächtnispreis für Wirtschaftswissenschaften. Eine zweite wichtige Entdeckung war die Spaltung unseres Denksystems:

So entwarf Kahneman eine für die Behavioral Economics insgesamt typische Persönlichkeitsspaltung, indem er menschliches Entscheidungsverhalten durch die Interaktion von zwei Systemen erklärte. System 1 agiert demnach schnell und automatisch und fällt routiniert Entscheidungen, ohne dass diese bewusst kontrolliert würden. System 2 hingegen trifft Entscheidungen bewusst und ist mit der Anstrengung verbunden, mentale Aufmerksamkeit auf ein bestimmtes Problem zu richten. Während Menschen subjektiv dazu tendieren, sich mit System 2 zu identifizieren, dem Kahneman eine gewisse Fähigkeit zuspricht, System 1 zu beeinflussen, ist letzteres für ihn doch das dominante, das die überwiegende Mehrzahl der Entscheidungen trifft. Dabei unterscheidet es sich aber eben nicht grundsätzlich von den animalischen Vorfahren und ist prinzipiell nicht vollständig kontrollierbar.

Menschen sind also keine Wesen sui generis, sondern Organismen unter anderen, mit denen sie viele evolutionäre Gemeinsamkeiten teilt. 

In dem Sinne ist auch der Beitrag Kahnemanˋs zur Glücksforschung von Bedeutung, etwa die Frage, ob Geld wirklich glücklich macht:
Lange Jahre antworteten viele Leute, was sie von Kahneman gelernt hatten: Geld mag zwar gut für die Lebenszufriedenheit sein, aber nicht unbedingt für die Laune. Irgendwo zwischen 60.000 und 100.000 Dollar Jahreseinkommen ist Schluss. Das war ganz tröstlich für alle, die kein sechsstelliges Jahreseinkommen erreichen, und wurde auch in Deutschland sehr gerne weitererzählt: in Sonntagsreden, auf Degrowth-Demonstrationen und in Motivationsworkshops. Doch vor einem Jahr hat sich Kah­neman korrigiert.

Das war Resultat der „Zusammenarbeit von Gegnern“, mit einem jüngeren Wissenschaftler, der in seiner Forschung andere Erkenntnissen gewonnen hatte: Es gibt demnach keine Obergrenze.

Kahnemans Fragen hatten nur nicht ausgereicht, um den Glückszuwachs an der Spitze noch zu ermitteln. Nun sagte auch Kahneman: Nicht nur die Zufriedenheit wächst immer weiter, sondern auch die Laune, bis weit über ein Jahreseinkommen von 200.000 Dollar hinaus, als den Forschern die Probanden ausgingen.

Und man müsse dabei genau auf die Prozentzahlen achten. Das Glück steigt immer dann, wenn sich das Einkommen um einen bestimmten Prozentsatz erhöht. Bei Reichen ist daher ein höherer Betrag nötig. 

Dann aber zeigt sich: Für die glücklichsten Leute beginnt die Steigerung von 100.000 Euro Jahreseinkommen an erst so richtig. Nur dem traurigsten Siebtel der Leute geht es anders: Ihnen hilft mehr Geld tatsächlich nicht. Sie sind von den harten Schicksalen des Lebens betroffen, wie beide Forscher vermuten: Herzschmerz, Trauer und Depression – das sind die Dinge, gegen die auch großer Reichtum nicht ankommt. Da muss man auf anderem Weg wieder herauskommen.
Die Auffassung von Kahneman, dass das Verhalten einerseits nur begrenzt rational ist, andererseits durch seine erkannten Mechanismen doch wieder gezielt beeinflussbar ist, liegt damit ziemlich quer zu den großen Erzählungen des 20. Jahrhunderts. 
Dieses universalistisch daherkommende Verhaltenswissen liegt nicht nur quer zur Erzählung einer angeblich immer pluraler und partikularer werdenden Gegenwart. Der Aufstieg der Behavioral Economics ist auch nicht einfach in Einklang zu bringen mit der im Anschluss an Michel Foucault oft behaupteten neoliberalen Gouvernementalität der Gegenwart. Wollen Neoliberale durch Märkte steuern, auf denen Menschen sich als „Unternehmer ihrer selbst“ (Ulrich Bröckling) behaupten müssen, beschreiben die an Kahneman und Tversky anschließenden Verhaltensökonomen gerade die Unfähigkeit von Menschen, sich dem Ideal des Homo oeconomicus entsprechend zu verhalten, und eröffnen damit Wege, ihre Entscheidungen direkt zu beeinflussen.

Verhaltenswissen hat also wie jedes Wissen beides - emanzipatorisches Potential und die Gefahr des Mißbrauches. Wir werden uns weiterhin entscheiden müssen. Mit unseren beiden Denksystemen ……
Kahneman ging voran - mit gutem Denken

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Kommentare 1
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor 26 Tagen

    Das ist auch eine spannende Facette von Kahneman's Forschungen - wer bin ich?

    "Noch während die Wirtschaftswissenschaften die Psychologie neu definierten, griff Kahneman eine ältere Wirtschaftstradition wieder auf: "Hedonimeter", Maßstäbe für Vergnügen und Schmerz, die Francis Edgeworth, ein Ökonom des 19. Jahrhunderts, entwickelt hatte. Bei Kahnemans Hedonimetern wurden die Menschen einfach gebeten, ihre Gefühle von Moment zu Moment auf einer Skala zu bewerten. Er fand heraus, dass die Bewertungen der Menschen oft nicht mit dem übereinstimmten, woran sie sich später erinnerten. Ihr "erinnerungsfähiges" Selbst legte ein übermäßiges Gewicht auf das Ende einer Erfahrung und ihren besten oder schlimmsten Moment und vernachlässigte ihre Dauer. Menschen würden ihre Hand lieber 90 Sekunden lang in schmerzhaft kaltem Wasser halten als eine Minute lang, wenn die letzten 30 Sekunden etwas weniger kalt wären als die vorangegangenen 60. Ebenso melden sich Menschen für hektische Touristenreisen an, weil sie sich darauf freuen, auf sie zurückzublicken, und nicht, weil sie sie zu diesem Zeitpunkt sehr genießen.
    Die Auswirkungen dieser Entdeckung reichen bis in die Philosophie hinein. Welches Selbst zählt? Trotz seiner offensichtlichen Mängel ist das kuratorische Selbst, das nicht repräsentative Erinnerungen kunstvoll zu einer Lebensgeschichte arrangiert, den Menschen lieb und teuer. "Ich bin mein erinnerndes Selbst", schrieb Kahneman, "und das erlebende Selbst, das mein Leben gestaltet, ist mir fremd." Jetzt hat sein erlebendes Selbst sein Leben getan. Und es ist an den vielen Menschen, die er berührt hat, sich für ihn zu erinnern."

    https://www.economist....

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