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Volk und Wirtschaft

Italien – Tradition vs. Globalisierung?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlFreitag, 16.06.2023

Italien, wie wir es lieben, das ist u.a. der Prosciutto, der Parmesan, der Aceto balsamico. Geschützt als italienische Kulturgüter, die nicht gefälscht, kopiert oder anderswo produziert werden sollen. Doch nun zeigt Alberto Grandi, Professor an der ökonomischen Fakultät der Universität Parma, dass diese Traditionen eigentlich ziemlich jung und in Zeitschleifen mit der Vergangenheit und der ursprünglichen Globalisierung verschlungen sind. Den wirklich echten Parmesan soll es in Wisconsin in den USA geben, dort hingelangt durch die erste italienische Einwanderungswelle:

«Der Parmesan aus Wisconsin ist nicht so gut wie derjenige, den wir heute hier herstellen, aber er ist viel näher am ursprünglichen Produkt, also an jenem, das unsere Vorfahren kannten.» Während er in der Emilia-Romagna, seinem Ursprungsterrain, lange Zeit vergessen war, stellten ihn italienische Auswanderer in den USA nach den alten Rezepten her. Seine Textur ist fetter, der Käse weicher, seine Rinde ist schwarz, weil er wie früher, damals zwecks Konservierung, mit Asche behandelt wird. Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurde der Parmesan in Italien zum bröckligen Hartkäse weiterentwickelt, als der er heute verkauft und geschätzt wird.

Und da auch viele Italiener lieber in einer idealen Welt leben und die reale Geschichte eher als Kritik auffassen, schlagen die Erregungswellen hoch. Seit einem Interview, das Grandi Ende März der «Financial Times» gegeben hat, muss er sich in den Medien erklären und rechtfertigen.
Der Vizeregierungschef Matteo Salvini ritt sofort eine Attacke gegen Grandi, und Coldiretti, der italienische Landwirtschaftsverband, veröffentlichte ein wütendes Statement und warf dem Professore vor, einen «surrealen Angriff auf die ikonischen Gerichte der italienischen Küche» zu starten, und dies ausgerechnet zu dem Zeitpunkt, da sich die Regierung um die Aufnahme derselben in das immaterielle Kulturerbe der Unesco bewerbe.

Den Italienern liegt ihre "erfundene" Tradition (die ja keiner wirklich zerstören möchte) wohl näher als die Moderne und die Zukunft. Italien, im vergangenen 20. Jahrhundert einst ein Land der Innovation, pflegt seine Mythen, seinen «Gastro-Nationalismus». Man vergisst z. B., dass etwa Giulio Natta, der Erfinder des Plastiks, eines der wichtigsten Produkte der Neuzeit, ein Italiener war. Oder dass der Vorläufer des PC aus Italien stammt, nämlich der erste frei programmierbare Tischrechner der Welt, der P101 von Olivetti. Ähnlich wie viele in Deutschland ist man skeptisch gegen Gentechnik oder AI. Man behindert und verbietet Entwicklungen und Anwendungen.

Die Rückbesinnung auf vermeintliche alte kulinarische Traditionen und die Genese von identitätsstiftenden Erzählungen über die italienische Küche habe ihren Ursprung in den Nachkriegsjahren. Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre hat Italien einen unglaublichen wirtschaftlichen Boom erlebt. Innerhalb kürzester Zeit ist aus einem Armenhaus ein wohlhabendes Land geworden. Die Alternative für die Menschen habe gelautet: «Du verzichtest auf deine Traditionen, dafür erhältst du Wohlstand, wie du ihn noch nie erlebt hast», erklärt der Professore. Doch auf den Aufschwung folgte die Krise. In den siebziger Jahren seien die sozialen Kosten sichtbar geworden, und Modernität sei plötzlich als gefährlich empfunden worden.

Und nun suchen Italiener (wie auch viele Deutsche) eine neue Erzählung von einem glücklichen Land, in dem es sich schon immer anständig leben und essen lässt. Wobei das kein alleiniges Merkmal der Konservativen sei, so Grandi. 

In ihrer Skepsis gegenüber Globalisierung und freien Märkten träfen sie sich mit der Linken. Auch diese habe nostalgische Vorstellungen von Ernährungssicherheit und Produktionsbedingungen. … Schon der grosse linke Intellektuelle Pier Paolo Pasolini sei modernitätskritisch gewesen und habe in der bäuerlichen Gesellschaft nach eigenständigen kulturellen Traditionen und Wertvorstellungen gesucht. «Dabei war das eine sehr arme, gewalttätige Welt.»

Sicher, die ursprüngliche italienische Küche war eine «cucina domestica», was man (etwas lieblos) mit «Hausmannskost» übersetzen kann. Die charakteristischen Speisen entstanden zu Hause am heimischen Herd. Aber es ist kein Zufall, dass es erst 1985 überhaupt einen Michelin-Stern für ein italienisches Restaurant gab, in Zeiten des wachsenden Wohlstandes. 

Italiens Küche ist einfach und kommt mit wenig aus. «Raffinement» ist demgegenüber eine Erfindung der Franzosen. «Das Tiramisu ist charakteristisch dafür», erklärt er, «es ist eine moderne und typisch heimische Speise.» Erst mit dem aufkommenden Wohlstand sei es möglich geworden, den relativ teuren Mascarpone dafür zu verwenden. 

Also pflegen wir doch in unserem Wohlstand beides – Tradition und Innovation. Nicht nur in Italien. Guten Appetit und "künstliche" Intelligenz ...

Italien – Tradition vs. Globalisierung?

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