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Volk und Wirtschaft

Ergrauende Volkswirtschaften

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlFreitag, 09.06.2023

Ein Thema, das schon lange (meist im Hintergrund) schwelt, hin und wieder bewusst wird (etwa wenn der Arbeitskräftemangel drückt) und dann angesichts aktueller Desaster wieder aus dem Blick gerät – das Altern gerade der entwickelten Gesellschaften. Jedenfalls ist es nie richtig im Bewusstsein einer möglicherweise letzten Generation angekommen. Es ist ja nicht nur das Problem der schrumpfenden Wirtschaft, das da auf uns zukommt. Es geraten damit auch all unsere sozialen Institutionen ins Wanken.

Der ECONOMIST nimmt zunächst Italien und Japan als Aufhänger für den demografischen Rückgang und seine wirtschaftlichen Folgen:

In beiden Ländern fiel die Fruchtbarkeitsrate (die Anzahl der Kinder, die eine typische Frau im Laufe ihres Lebens hat) in den 1970er Jahren unter 2,1. Dieses Niveau wird als Ersatzrate bezeichnet, die eine Bevölkerung im Laufe der Zeit stabil hält. Alles, was niedriger ist, wird schließlich zu einer rückläufigen Bevölkerung führen, was sowohl in Italien als auch in Japan seit etwa einem Jahrzehnt der Fall ist. … Anfang dieses Jahres warnte Japans Premierminister Kishida Fumio, dass das Land aufgrund der fehlenden Babys "kurz davor steht, seine sozialen Funktionen nicht mehr aufrechterhalten zu können".

Aber diese Länder sind nicht die einzigen und nicht mehr die extremsten Beispiele für den demografischen Niedergang. Auch in Deutschland ging die Zahl der Geburten in den 60er-Jahren stark zurück und 2020 lag die Geburtenrate nur noch "bei 1,53 Kindern pro Frau. Damit ist sie – nach einem kurzen Anstieg zwischen 2014 und 2016 das vierte Jahr in Folge gesunken."

Südkorea als erschreckendstes Beispiel hatte im Jahr 2022 eine Fruchtbarkeitsrate von nur 0,8. Ist diese Rate unter 1 bedeutet dies, dass die nächste Generation weniger als die Hälfte der Größe ihrer Elterngeneration betragen wird. Hatte man 2012 noch prognostiziert, dass Südkoreas Bevölkerung bis zum Ende des aktuellen Jahrhunderts sich von 52 Millionen heute auf 41 Millionen reduzieren würde, deuten neuere Prognosen 

darauf hin, dass die Bevölkerung im selben Zeitraum um mehr als die Hälfte auf nur 24 Mio. sinken wird.

Südkorea ist sicher der krasseste Fall, aber die neuesten Daten und Prognosen verdeutlichen, dass der demografische Rückgang global wird. 

Im Jahr 2010 verzeichneten 98 Länder und Gebiete Fruchtbarkeitsraten von unter 2,1. Bis 2021 stieg die Zahl auf 124, also auf mehr als die Hälfte der Länder, für die die UNO Daten erhebt …. Bis 2030 erwartet sie, dass die Zahl 136 erreichen wird.

Waren in der Vergangenheit die Altersstrukturen der Bevölkerung wie eine Pyramide aufgebaut – jede neue Generation war zahlreicher als ihre Vorgänger – dreht sich die Pyramide nun auf die Spitze. Ältere Generationen werden durch zunehmend kleinere Kohorten ersetzt. Diesen Prozess kann man in weiten Teilen der Welt beobachten. Zum Beispiel ist 

die Zahl der Chinesen im Alter zwischen 21 und 30 Jahren bereits von 232 Millionen auf ihrem Höhepunkt im Jahr 2012 auf 181 Millionen im Jahr 2021 gesunken. Dieser Rückgang wird sich in den 2040er Jahren rapide beschleunigen, sodass China Mitte der 2050er Jahre weniger als 100 Millionen Menschen in dieser Altersgruppe haben wird. Die Bevölkerung Europas in dieser Alterskategorie wird im selben Zeitraum von etwa 85 Millionen auf unter 60 Millionen sinken.

Viele der wohlhabenderen Staaten versuchen, ihre sinkenden Geburtenraten durch Zuwanderung auszugleichen. Was allerdings kulturelle Offenheit voraussetzt. Und immer wieder auch politische Spannungen erzeugt.

Aber da der demografische Rückgang beginnt, immer mehr Länder zu betreffen, werden gebildete Migranten schwieriger zu finden sein, zumal sich der Rückgang der einheimischen Bevölkerung in vielen reichen Ländern beschleunigt. Für China mit einer Bevölkerung von etwa 1,4 Milliarden ist die Vorstellung, dass genügend Einwanderer gefunden werden könnten, um die Auswirkungen schwindenden Geburtenraten umzukehren, geradezu absurd, …. 

Das bedeutet, zunehmend ältere Bevölkerungen werden überall dort höhere Aufwendungen (öffentlich oder privat), Renten und Gesundheitsversorgung erfordern. Dem werden immer weniger Menschen im Erwerbsalter gegenüberstehen, die diese Ressourcen erzeugen können. 

Die reiche Welt hat derzeit etwa drei Menschen zwischen 20 und 64 Jahren für jeden über 65. Bis 2050 wird dieses Verhältnis auf weniger als zwei zu eins schrumpfen. Das erfordert ein späteres Rentenalter, höhere Steuern oder beides.

Noch hat Deutschland die Chance, junge und gut ausgebildete Migranten aufzunehmen. Aber Politik und Gesellschaft reagieren träge und oft inadäquat

Allerdings werden die gesellschaftlichen Folgen der demographischen Schrumpfung viel komplexer sein als das, was sich direkt in geringerem Wirtschaftswachstum ankündigt. Es könnte die sinkende Fähigkeit zu Innovation und Produktivitätssteigerung sein, die sich als noch fataler herausstellt.

Jüngere Menschen haben mehr von dem, was Psychologen als "fluide Intelligenz" bezeichnen, was sich auf die Fähigkeit bezieht, neue Probleme zu lösen und sich mit neuen Ideen auseinanderzusetzen. Ältere Menschen verfügen über eine "kristallisierte Intelligenz", die auf einem im Laufe der Zeit aufgebauten Wissensschatz über die Funktionsweise der Dinge beruht. Es gibt keine genauen Grenzwerte, aber die meisten Studien deuten darauf hin, dass die fluide Intelligenz im frühen Erwachsenenalter ihren Höhepunkt erreicht und mit 30 Jahren abnimmt. 

Gesellschaften benötigen in ihren Institutionen und Unternehmen sicher beide, sich oft ergänzenden Fähigkeiten. Junge Menschen, die neue Ideen für neue Herausforderungen finden, und ältere Fachleute mit vielen Erfahrungen. Aber im Innovationsprozess stehen sich diese nicht gleichwertig gegenüber. Zu erwarten ist also ein Rückgang der Innovationsfähigkeit alternder Gesellschaften eine Fähigkeit, die zur Lösung des demografischen Umbruchs eigentlich dringend notwendig wäre.

Einige Forscher glauben, dass ein solcher demographisch bedingter Rückgang der Innovation in Teilen der Welt bereits im Gange ist. James Liang, ein chinesischer Ökonom und Demograf, stellt fest, dass das Unternehmertum in älteren Ländern deutlich niedriger ist: Ein Anstieg um eine Standardabweichung des Durchschnittsalters in einem Land, was etwa 3,5 Jahren entspricht, führt zu einem Rückgang der Unternehmerquote um 2,5 Prozentpunkte (der Anteil der Erwachsenen, die ihr eigenes Unternehmen gründen). Das ist ein großer Effekt, wenn man bedenkt, dass die globale Entrepreneurship-Rate im Jahr 2010 bei etwa 6,1 % lag. … Dieses Phänomen, so Liang, könnte die Ursache für Japans "Unternehmervakuum" sein. Noch im Jahr 2010 waren japanische Erfinder nach Angaben der Weltorganisation für geistiges Eigentum, einer Agentur der Vereinten Nationen, in 35 großen Branchen weltweit führend bei der Erteilung von Patenten. Im Jahr 2021 ist Japan nur noch in drei Branchen führend. Das Land ist nicht nur hinter China zurückgefallen, das inzwischen die meisten Spitzenplätze belegt, sondern auch hinter Amerika.

Innovation ist auch einer der Wege, um die Klimaerwärmung aufzuhalten. Alternde Gesellschaften könnten das wohl nur bedingt leisten. Sie altern aber auch nicht so schnell, dass der CO2-Ausstoß dadurch wirksam sinkt. Es gab in vielen reichen Ländern teure Versuche, die Geburtenraten zu steigern. Sie blieben weitgehend wirkungslos, um den demografischen Rückgang zu stoppen. Das Zeitalter der Ratlosigkeit scheint mir sehr real. Die Hoffnung stirbt zuletzt.

Ergrauende Volkswirtschaften

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Kommentare 12
  1. Ferdinand H
    Ferdinand H · vor 11 Monaten

    Eigentlich müssen jetzt sofort die Sozialsysteme umgebaut werden. Der Generationenvertrag, auf dem die Sozialsysteme fußen, wurde gebrochen.

    Geld gibt es innerhalb dieser Generation eigentlich genug. Ich finde es nicht erklärbar dass die Last den Jüngeren zukommt.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 11 Monaten

      Der Gesellschaftsvertrag wurde gebrochen, von denen, die bewußt keine Kinder bekamen. Das ist mit Geld nicht nachhaltig zu reparieren.
      Meine Mutter ist jetzt 92 Jahre alt. Meine Schwester und ich kümmern uns seit etwa 10 Jahren um sie. Wem genau sollen diese "Lasten", wenn es uns nicht gäbe, zukommen?

  2. Hans Wibra
    Hans Wibra · vor 11 Monaten

    Die Alternative zur Bevölkerungsexplosion ist nicht die
    Bevölkerungsimplosion. Allerdings kann man nur wirklich nicht von einer Bevölkerungsimplosion sprechen. Und wenn auf einer Fläche wie Deutschland im im Rahmen eine Zeitachse von beispielweise nur 60 Mio Menschen,
    statt 83 Mio Menschen leben, dann wäre das eher von Vorteil für Natur, die Menschen, die Tiere und vielleicht sogar für die Nation. Alles andere ist letztendlich ein Schneeballsystem mit dem dazu bekannten Ende

  3. Hans Wibra
    Hans Wibra · vor 11 Monaten

    Auch hier wieder der Einwand, es sei "dieses Scheinproblems - die beschworene kommende Überbevölkerung?
    Die Übervölkerung ist kein Scheinproblem sie ist eine Tatsache, auch
    Hinweise auf die Regionen in denen besonders wenige Menschen leben, sind
    in Wirklichkeit substanzlos, ein Leben in diesen Regionen ist, wenn überhaupt, aus klar erkennbaren Gründen auch nur begrenzt existenzfähig. Und auch wenn jemand hier fragt ( bezweifelt), warum denn die Religionen und die Nationalstaaten in Fragen des Vermehrens unserer Spezis ein besonderes Interesse haben könnten - ja dann ist er entweder besonders naive , oder eine Art Kardinal Wölki.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 11 Monaten

      Ja, keiner bezweifelt, dass die Überbevölkerung ein Problem ist. Das heißt aber nicht, dass die Implosion von Bevölkerungen in entwickelteren Ländern, Regionen oder Kommunen kein Problem darstellen. Deutschlands Geburtenrate ist zwar auch niedrig aber, das moderat. Für "die Natur" - wer oder was das immer auch sein soll - möge es gut sein, wenn die Bevölkerung sinkt. Für die Bevölkerung selbst ist es dramatisch. Von Pflegekräften, Ärzten, Lehrern über Handwerker bis hin zu Wissenschaftlern - es fehlen von Generation zu Generation Menschen in den arbeitsteiligen Prozessen. Und wenn wie in Südkorea weniger als ein Kind pro Frau geboren wird, dann ist dies sehr wohl eine Implosion - auch der Sozialsysteme.

      Und warum sollte "die Nationalstaaten" ein besonderes Interesse haben, dass sich unsere Spezies stark vermehrt? Ich denke, Nationalstaaten und ihre Bürger sind daran interessiert, eine nachhaltige Zukunft zu haben. Alles andere liegt ja gerade nicht im Interesse der Menschen. Auch wenn diese so oder so nicht in ihrem Interesse handeln. Es geht also nicht um immer mehr Menschen sondern um die nachhaltige Moderation der Bevölkerungsentwicklung.

  4. Hans Wibra
    Hans Wibra · vor 11 Monaten

    Das sinkende Bevölkerungswachstum wird vom Autor als ein signifikanter Faktor für alle wesentlichen, und notwendigen Kriterien für eine Welt in Wohlstand und saubere Umwelt, etc. gesehen. In meinen Augen ist das totaler Unsinn. Die Umweltbelastung steigt mit jedem zusätzlichen Bewohner dieser Erde und die aktuelle Bevölkerungszahl ist längst über einen kritischen Punkt hinaus gewachsen. Und das ist kein Symptom der Krise sondern die Kern-Ursache. Das mag der Nationalist, der religiös verbissene Mensch nicht hören aber Gott und die NATION sind Menschenwerk um Interessen zu verteidigen nicht mehr und nicht weniger.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 11 Monaten

      Der Autor macht nicht das sinkende Bevölkerungswachstum für Probleme verantwortlich sondern das absolute und fortlaufende Schrumpfen der Bevölkerungen von Ländern und Regionen, wenn die Geburtenraten unter 2 sinken. Was das mit Gott oder dem Nationalisten zu tun haben soll, verstehe ich nicht. Die Alternative zur Bevölkerungsexplosion ist nicht die Bevölkerungsimplosion. Beides ist eine humanitäre Katastrophe für die Betroffenen. Vielleicht versuchen wir es mal mit einem vernünftig gesteuerten „Menschenwerk“? Obwohl ich zugebe, viel Optimismus hab ich nicht.

  5. Geronimo-Noah Hirschal
    Geronimo-Noah Hirschal · vor 11 Monaten

    Ist das nicht gerade die natürliche Antwort auf die so oft - und ebenso oft als Argument für inhumane und ökologisch gesehen wahnsinnige vorgebrachte Lösungen dieses Scheinproblems - beschworene kommende Überbevölkerung?
    Diese erscheint mir viel zu oft vorgebracht wenn man den Einsatz von genetisch verändertem Saatgut, Massentierhaltung, Monokulturen, Wachstumswahn plausibel machen will.
    Ich wage zu denken, dass dies eine völlig natürliche Entwicklung ist, mit deren Anpassung des soziologischen und ökonomischen Denkens an diese Realität sich allerlei Dinge von selbst lösen.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 11 Monaten · bearbeitet vor 11 Monaten

      Na ja, in Teilen der Welt ist die Überbevölkerung da. Die Sahelzone war nie eine Region, in der so viele Menschen mit ihren Herden existieren könnten. Mit der Anpassung des Denkens wird es nicht getan sein. Andererseits gibt es nicht überall eine Überbevölkerung. Das demographische Problem der sinkenden Geburtenrate ist nicht deckungsgleich mit dem der Überbevölkerung. Auch eine Land mit geringer Bevölkerungsdichte würde mit sinkenden Zahlen beim Nachwuchs ins Trudeln mit seinen Strukturen kommen.

      Und letztendlich kann man alles als eine völlig natürliche Entwicklung betrachten. Ändert aber nichts am Problem. Sie werden es merken, wenn z.B. ihre Eltern mit über 90 Pflegebedarf haben oder sie selbst einmal. Daran ist nichts ein Scheinproblem.

    2. Geronimo-Noah Hirschal
      Geronimo-Noah Hirschal · vor 11 Monaten

      @Thomas Wahl Wenn der Mensch eines ist, dann extrem anpassungsfähig.

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 11 Monaten

      @Geronimo-Noah Hirschal "Der Mensch" ist ein sehr allgemeiner Begriff. Konkret aber ist eine sehr alte Bevölkerung eben nicht mehr anpassungsfähig.

  6. Hartmut Bischoff
    Hartmut Bischoff · vor 11 Monaten

    Ja, was wäre die Welt ohne den Economisten.

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