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Volk und Wirtschaft

Die wirtschaftliche Souveränität – ein Allheilmittel?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlFreitag, 11.02.2022

Globalisierung basiert auf weltweiten Lieferketten. Lieferketten können reißen, was zu dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Folgen führen kann. Aber spricht das wirklich gegen die Globalisierung? 

Patrick Welter analysiert das am Beispiel der japanischen Tsunami-Katastrophe von 2011, die auch zur Katastrophe im Kernkraftwerk Fukushima führte. Dabei wurden große Teile der Küste zerstört, es starben fast 19.000 Menschen.

Die Katastrophe war auch ein wirtschaftlicher Schlag, weil wichtige Unternehmen in der Region schwer beschädigt wurden. Einer der bedeutendsten Zulieferer von Mikrochips für die Automobilwirtschaft, Renesas Electronics, brauchte drei Monate, um eine wichtige Produktionsstätte wieder zum Laufen zu bringen. Der Angebotsschock lief durch die globalen Lieferketten. Nach Schätzungen resultierten 90 Prozent der wirtschaftlichen Schäden der Katastrophe aus den beschädigten Lieferketten und nicht aus der direkten Zerstörung. Toyota Motor kämpfte gut ein halbes Jahr, bis es seine Zulieferer und die Produktion einigermaßen stabilisiert hatte.

Aber Toyota lernte aus der Unterbrechung seiner Lieferketten. Es führte eine Tiefenanalyse der Zulieferstrukturen durch, verstärkte die Kommunikation im Netzwerk und antizipierte mögliche schwerwiegende Engpässe. Man suchte alternative Lieferquellen und priorisierte nach Wichtigkeit. Es gab also keinen Weg zurück zur verstärkten Eigenproduktion aller Teile im eigenen Land oder gar im Unternehmen selbst.

Diese Strategie steht im Gegensatz zu dem auch in der Corona-Pandemie gerade in Deutschland und Europa diskutierten neuen Merkantilismus: ursprünglich eine Wirtschaftspolitik, die möglichst viele Waren aus dem Land ausführen, aber möglichst wenig Waren importieren möchte. Ging es damals (im Europa des 16. Jahrhunderts bis ins 18. und frühe 19. Jahrhundert) primär um den Exportüberschuss, wird heute vorrangig mit der Autarkie der Lieferketten argumentiert.

Ökonomen diskutieren die Vor- und Nachteile globaler Lieferketten in Form eines Dreiklangs. Erstens ermöglicht die Einbindung in die internationale Arbeitsteilung Spezialisierungsgewinne und damit höheren Wohlstand. Unternehmen produzieren das, was sie vergleichsweise am besten können, und lassen sich den Rest zuliefern. Das nutzt allen, weil jeder seine besonderen Vorteile so am besten ausschöpfen kann. 

Natürlich muss auch jede Nation ihre Vorteile und Stärken entwickeln und ausbauen. 

Zweitens birgt aber der internationale Handel das Risiko, dass Katastrophen wie das Erdbeben im Nordosten Japans sich über die Lieferketten global ausbreiten und die Wirtschaft etwa im weit entfernten Europa schädigen. 

Da kommen nun drittens die Chancen der globalen Lieferketten ins Spiel:

Waren etwa aus Amerika zu beziehen, falls Japan wegen eines Erdbebens nicht liefern kann. Das verringert die wirtschaftlichen Risiken für Europa.

Es geht also um das Ausbalancieren von Chancen und Risiken. Und aktuelle Studien weisen darauf hin, dass die politische Angst vor wirtschaftlicher Abhängigkeit durch Verflechtung der Lieferketten eher übertrieben ist. 

Ökonomen der Bank von England kamen im Jahr 2021 zu dem Schluss, dass eine Entflechtung globaler Lieferketten wirtschaftliche Kosten mit sich bringe, ohne die Risiken wirtschaftlicher Störungen notwendigerweise oder in signifikantem Ausmaß zu verringern. Francesco Caselli von der London School of Economics zeigte mit seinen Ko-Autoren im Jahr 2020 in einer breit angelegten Studie, dass in den vergangenen Jahrzehnten der internationale Handel für die meisten Länder wirtschaftliche Störungen reduziert habe. 

Diesen Vorteil von weit gespannten Lieferketten zeigte auch die oben geschilderte Einzelfallanalyse von Toyota in der Erdbeben- und Tsunami-Katastrophe in Japan. Die Vorteile in der Erholung nach der Katastrophe überwogen die unmittelbaren Nachteile.

Man sollte sich also genau überlegen, wie man sich auf solche externen Schocks (wie etwa eine Pandemie) vorbereitet und wie man im Chaos des Schocks agiert. Klar ist wohl:

Einem globalen Schock wie in der Pandemie, in dem überall die Nachfrage nach bestimmten Gütern drastisch steigt und das Angebot wegbricht, lässt sich auch mit heimischer Produktion nicht ausweichen. Im Gegenteil: Das Kappen globaler Lieferketten verschärft die Lage, weil Lieferungen aus dem Ausland ausbleiben.

Man kann sagen, Souveränität entsteht heute aus der Fähigkeit, vielfältig und schnell zu reagieren und mit anderen zu kooperieren. Nicht durch Abschottung. Aber wir sehen auch:

Die Formel der wirtschaftlichen Souveränität gegenüber den globalen Lieferketten hat aus Sicht von Regierungen den Vorteil, dass sie sich im scheinbaren wirtschaftlichen Kampf der Nationen auf dem Feldherrenhügel präsentieren können. 

Von den Vorteilen dieser Politik sieht man wenig. Die DDR hatte ja, wenn auch notgedrungen, weitgehend auf wirtschaftliche Autarkie gesetzt. Man baute möglichst viel selbst. Die so im Land erzeugte Produktpalette war bei hoher Fertigungstiefe riesig, Stückzahlen und Produktivität als Folge gering. Was zu dem vergleichsweise niedrigen Wohlstand führte. Insofern, ja, ein Lob der Lieferkette!

Die wirtschaftliche Souveränität – ein Allheilmittel?

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Kommentare 6
  1. Uwe Protsch
    Uwe Protsch · vor 2 Jahren

    Immer wieder faszinierend, wie schnell ideologisch veranlasste Behauptungen von der Realität widerlegt werden. Insbesondere wenn die Lieferketten Produkte wie Weizen, Sonnenblumenöl oder Gas betreffen ...

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren · bearbeitet vor 2 Jahren

      Aber was genau wird gerade widerlegt? Das einseitige Abhängigkeit von einem Zulieferer gefährlich ist? Das Autarkie funktioniert oder nicht?

    2. Uwe Protsch
      Uwe Protsch · vor 2 Jahren

      @Thomas Wahl Es wird eindrucksvoll widerlegt, dass billig wichtiger als diversifiziert ist. Bis vor kurzem galt es als der Weisheit letzter Schluss, größtenteils billiges Gas aus Russland zu beziehen…

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren

      @Uwe Protsch Ok, da ist was dran. Man dachte aber auch, Rußland sei eine verläßliche Quelle.

    4. Uwe Protsch
      Uwe Protsch · vor 2 Jahren

      @Thomas Wahl Die WirtschaftsWoche schreibt: „ Deutschland ist mit seiner soliden industriellen Basis besonders verwundbar. Die Politik hat vielen Warnungen zum Trotz bis zuletzt auf die geschäftliche Rationalität eines Staatsverbrechers vertraut - und muss nun die Frühwarnstufe des "Notfallplans Gas" ausrufen, weil Putin sein Gas nicht mehr in Euro und Dollar bezahlt wissen will. Deutschlands Gasspeicher? Ziemlich leer. Deutschlands Rohstofflager? Gibt es nicht. Nicht für Platinmetalle wie Palladium, nicht für Basismetalle wie Zink. Nicht für Seltene Erden wie Neodym. Politik und Unternehmen haben auf eine "flache Welt" der niedrigen Handelsbarrieren und liberalisierten Märkte gesetzt; nun droht der ganze Standort am Fels geopolitischer Macht- und Wirtschaftsinteressen zu zerschellen.“

    5. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor 2 Jahren

      @Uwe Protsch So ist es. Nur dass das Problem nicht die niedrigen Handelsbarrieren oder die liberalisierten Märkte sind. Dazu gibt es wenig und nur sehr teure Alternativen. Das Problem ist die fehlende Vorsorge für Konflikte oder Katastrophen.

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