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Volk und Wirtschaft

Leben und Handeln in Diktaturen - vier Buchempfehlungen

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlMontag, 18.12.2023

Wie funktionieren Diktaturen, wie fühlt man sich da, wie lebt und agiert man. Auch je nach Lebenssituation und sozialer Zugehörigkeit – als Bürger, Literat, Unternehmer oder als Diktator selbst?

Die Bücher meiner Liste handeln von drei "Akteuren" – dem russischen Schriftsteller und Putingegner Viktor Jerofejew, dem chinesischen Milliardär und Dissidenten Desmond Shum sowie dem großen Führer Kim Jong-Un.

Jerofejew ist mit seinen beiden autobiografischen Romanen "Der gute Stalin" und "Der große Gopnik" dabei.

Im oft auch als eher essayistisch empfundenen Roman "Der gute Stalin" (womit er seinen Vater meint), zeichnet Viktor Jerofejew seine "glückliche stalinistische Kindheit" als privilegierter Sohn, der sich mit Diplomatenpaß zwischen Moskau, Paris, Wien und Senegal bewegen konnte. Sein Vater war Stalins Französisch-Dolmetscher, Kulturattaché der Sowjetbotschaft in Paris, Unesco-Vizepräsident, Botschafter in Afrika und wäre beinahe "stellvertretender Außenminister" geworden. Wenn sein Sohn nicht 1978 die Moskauer Untergrund-Anthologie "Metropol" veröffentlicht hätte. Das kostete dem guten Stalin die weitere Karriere und ist der symbolische Grundkonflikt im Roman. 

Man denken nur: in der Familie eines Diplomaten, der zutiefst einer der "Unsrigen" ist und einen tadellosen ideologischen Ruf besitzt, ist echter Abschaum groß geworden, einer, der unzüchtige sexualpathologische Geschichten schreibt und sich nun als Herausgeber und einer der Autoren eines Untergrund-Allmanachs hervortut, welcher eindeutig antisowjetisch ausgerichtet ist. 

In einem Kaleidoskop aus Anekdoten, Berichten, Erinnerungen und Erzählungen, aus erinnerten Gesprächen, Reflexionen und Träumereien entsteht das Bild einer deformierten, oft scheinbar irrationalen Gesellschaft. Der Stil des Romans entspricht wohl dem in sich völlig widersprüchlichen Land und seinem Volk.

In seinem aktuellen Buch "Der große Gopnik" knüpft Jerofejew an den Stil, die Geschichten und Akteure seines Vorgänger-Romans an. Der verständlicherweise wachsende Frust richtet sich gegen den großen Gopnik, wie er Wladimir Putin charakterisiert:

Gopnik ist ein unübersetzbares russisches Wort, es bedeutet so etwas wie kleiner Rowdy, Hinterhofrabauke. Per definitionem kann ein Gopnik kein Großer sein. Doch ein bestimmter Gopnik hat Riesenschwein gehabt. Auf paradoxe Weise ist ein Zwerg zum Riesen geworden.

Es ist der Frust auch über das Versagen des russischen Volkes und seiner widerborstigen Intelligenzija und ihren falschen Postulaten:

Das Ross der Macht läuft schneller als der dürre Klepper der Intelligenzija. So bekommt die Intelligenzija immer nur den Schweif des Rosses zu sehen und die unterm Schweif herunterfallende Scheiße der Macht. Nachträgliches Staunen über brutale Maßnahmen wurde zum kollektiven Unglück der zerschlagenen Intelligenzija-Armee.

Und so bleibt für Jerofejew das russische Gefängnis der einzige ehrliche Dialog des russischen Staates mit seiner Bevölkerung. Nein, Optimismus verbreitet das Buch nicht, aber Verstehen.

Desmond Shum ist ein heute in London lebender chinesischer (Ex)Milliardär. Geboren 1968 in Shanghai. Sein Vater gehörte einer der fünf "schwarzen Kategorien" an, mit denen man in Maos China Grundbesitzer, reiche Bauern, Konterrevolutionäre oder schlechte und rechte Elemente bezeichnete. Eine Geburt, weit weg von dem Roten Adel und den Roten Prinzen, mit denen seine Frau und er später ein milliardenschweres Immobilienimperium aufbauen sollten. Shum verbrachte seine Kindheit in Hongkong und studierte später Finanzmanagement an der University of Wisconsin-Madison. Um dann als Finanzinvestor nach China zu gehen und westliche Investoren zu beraten. Später erschufen er und seine Frau ihr Immobilien-Konglomerat. Das ging nicht ohne Zugang zu den höchsten Machtzirkeln im Land. 

Sein Buch liest sich wie ein Krimi und eine Anleitung, wie man in Chinas korruptem System zu Milliardären werden kann. Darüber etwa, wie die Ehefrau mit der Frau des Premiers beim Shoppen große Geschäfte einfädelt. Selten hat wohl jemand so offen über Korruption, Verrat und Verschwendung in den Netzwerken der chinesischen Macht beim wirtschaftlichen Aufbau des Landes während der vergangenen Jahrzehnte geschrieben. Es ist aber auch die Geschichte verlorener demokratischer Ideale. Shum engagierte sich z.B. in der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes:

Dieses Streben nach mehr Demokratie im Rahmen der PKKCV ging mit entsprechenden Bemühungen in der chinesischen Gesellschaft einher. Seit der Jahrtausendwende hatten hunderte Unternehmer begonnen, Nichtregierungs-Organisationen und Bildungseinrichtungen finanziell zu unterstützen. Es floss privates Geld in Medien, wie die Zeitschrift Caijing, die sich dem Enthüllungsjournalismus widmete, es entstanden Bürgervereine. Es wäre nicht übertrieben von einer Explosion des Bürgersinns zu sprechen. Unternehmer drangen in Bereiche vor, die traditionell Tabu gewesen waren.

Was der kommunistischen Führung absehbar zu weit ging und als Gefahr für ihre Macht erschien. Es kündigten sich Veränderungen an, Kämpfe zwischen den Machthabern in der roten Aristokratie wurden stärker. Shum und seine Frau ließen sich 2015 scheiden und im selben Jahr verließ Shum mit dem gemeinsamen Sohn China. Dann verschwand seine Ex-Frau spurlos. Wußte sie zu viel, etwa über den Staatspräsidenten Xi Jinping.

Auch dieses Buch ist zwiespältig. Es lässt keinen Zweifel an der Brutalität der chinesischen Machteliten offen. Aber es wächst die Vermutung, dieses chinesische System führt auf Dauer auch nicht zu einer offenen, innovativ-dynamischen Gesellschaft. 

Kommen wir zum Leben und Handeln des Kim Jong-Un, wie es Jung H. Pak beschreibt, die als CIA-Analystin zu Nordkorea gearbeitet hat. Man erreicht natürlich in einer solchen Analyse nur bedingt intimer die Person eines Diktators. Wirklich persönliche Berichte über den aktuell regierenden Kim sind sehr selten. Doch es zeichnet sich ein Bild ab, von einem hochintelligenten jungen Mann mit sadistischen Zügen. Man sollte ihn keinesfalls unterschätzen. Wer seinen Bruder Kim Jong-Nam so öffentlichkeitswirksam auf einem internationalen Flughafen vergiften lässt, hat Freude am Spiel, an der brutalen Inszenierung. Und wer seinen Onkel Jang Song-Theak als Rivalen um die Macht zum Krebsgeschwür am Staat erklärt und lt. Gerüchten mit Flakgeschützen hinrichtet, der kennt die Signale, die von so was ausgehen.

Hochinteressant und lehrreich war für mich das Kapitel, in dem beschrieben wird, wie Kim den amerikanischen Präsidenten Trump in den Verhandlungen ins Leere laufen lässt und seine Agenda der atomaren Aufrüstung ohne große neue Sanktionen durchsetzt.

Trump glaubte, Improvisieren sei seine große Stärke, …. und bei der Außenpolitik kommen es auf die persönlichen Beziehungen an. Kim dagegen bereitete sich auf den Gipfel vor. ….. Und er nutzte seine Begegnungen mit Präsident Moon, um Informationen über Präsident Trump einzuholen. Laut Lippenlesern, die Moon und Kim bei ihrem vier Augen Gespräch im März 2018 beobachteten, hatte Kim wohl nach den US-amerikanischen Absichten gefragt und seinen Wunsch nach positiven Ergebnissen eines Gipfeltreffens mit Trump zum Ausdruck gebracht. Bei seinem Besuch in Peking, Ende März, sprach Kim sehr wahrscheinlich mit Präsident Xi über die Vereinigten Staaten und über die Agenda des US-Präsidenten, bevor er endlich öffentlich bestätigte, dass er bereit sei, sich mit Trump an einen Tisch zu setzen. Diese Serie von Gipfel und Begegnungen im Vorfeld von Singapur verschaffte Kim einen klaren Vorteil. 

Das passiert, wenn Demokratien mit Illusionen und einer B-Besetzung in die Auseinandersetzung mit den Diktaturen gehen. 

Daneben bietet das Buch noch eine fundierte Geschichte und Analyse der nordkoreanischen Gesellschaft. Deren Bevölkerung und Eliten wohl auch nicht viel anders ticken als in anderen Diktaturen: 

Die Nordkoreaner sind heute genauso materialistisch, gierig und unzufrieden, wie es ihre Genossen in der Sowjetunion und in der DDR einst waren… Nordkorea hat begonnen, das kapitalistische Spiel zu spielen, und ist dabei sehr viel weitergegangen als die meisten ehemals sozialistischen Länder Europas. Lebensmittel- und Güterknappheit ist heute nicht mehr das Hauptproblem, und der Zugang zu fast allem ist gewährleistet – vorausgesetzt, man hat genügend Geld

Ich kann nur empfehlen, es zu lesen. Wir werden noch einiges zu tun bekommen mit solchen Entwicklungen.

Leben und Handeln in Diktaturen - vier Buchempfehlungen

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Kommentare 1
  1. Anita H
    Anita H · vor 5 Monaten

    Ein Thema, von den ich nicht wusste, ob ich darüber mehr erfahren möchte..
    Aber, hätte ich noch Weihnachtsgeld, ich würde mir alle vier Bücher kaufen!
    Feine, detaillierte Vorstellung, vielen Dank!

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