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Kopf und Körper

"Mindestpreis für ein Kind liegt aktuell bei 39.999 Euro"

Charly Kowalczyk
Journalist

Ich bin in Singen am Hohentwiel geboren und lebe in Potsdam. Schreibe Radiofeature für den Deutschlandfunk und für die Sender der ARD. Bin Mitgründer des Bremer Hörkinos. Seit nun fast 19 Jahren stellen wir in Bremen ein Radiofeature der Öffentlichkeit vor.
www.bremer-hoerkino.de

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Charly KowalczykSonntag, 12.12.2021

"Es gibt ja viel Aberglaube. Zum Embryonentransfer gestreifte Socken anziehen. Das ist eine echte Subkultur. Das Wichtigste sind rote Schlüpfer und gestreifte Socken. Viele haben Maskottchen. Mein Maskottchen ist ein Elefant."

Das erzählt Olga der Autorin. Olga ist Leihmutter.

Olga ist 27, klein und zierlich und hat Sommersprossen in ihrem Gesicht. Sie trägt ein rot-geblümtes etwas ausgestelltes Kleid, das ihr leicht gewölbtes Bäuchlein dezent kaschiert: Sie ist in der 15. Woche. Eine Agentur hat ihr die Schwangerschaft vermittelt.

So beschreibt die Autorin Olga. Sie ist zum dritten Mal in einem Leihmutter-Programm. Die "Wunscheltern" mögen jüngere Leihmütter.

So beginnt fast harmlos das Feature "Babys für die Welt. Das Geschäft mit ukrainischen Leihmüttern" von Inga Lizengevic. Die Autorin kommt allen Beteiligten bei diesem "Geschäft" sehr nah. Den ukrainischen Leihmüttern, den Agenturen, die gegen Geld den Embryonentransfer, die Leihmutterschaft, vermitteln. An die Paare oder wie es bei den Agenturen heißt "Wunscheltern", die von den ukrainischen Frauen profitieren: die sie zu Eltern machen. Ein lukratives Geschäftsmodell, für Leihmutter-Agenturen und Kliniken. Olga erzählt eindrücklich. Voraussetzung für die Leihmutterschaft ist, dass die Frauen schon ein eigenes Kind haben, vermutlich, um es besser auszuhalten oder auch durchzuhalten, wenn ihnen das Kind nach der Schwangerschaft weggenommen wird. Das ist ja der Deal dieses Modells.

"Beim ersten Mal hat mein Sohn es nicht verstanden. Ein Mal ist ihm mein Bauch aufgefallen, er meinte, huh, du hast aber einen großen Bauch. Der Bauch und die Kinder, für ihn hing das nicht zusammen. Er hat von einem Fahrrad geträumt. Noch am Tag meiner Entlassung habe ich es ihm gekauft. Bei uns im Haus gab es eine Empfangsdame. Wir kommen rein, mein Bauch ist weg. Sie sieht uns, und fragt Zhenja, was hast du denn bekommen? Brüderchen oder Schwesterchen? Er darauf: Ein Fahrrad!"

Die Autorin erzählt sehr genau, wie die gesetzlichen Hürden für "Wunscheltern" sind. Was in der Ukraine für Paare und Leihmütter möglich, aber in Deutschland verboten ist. Wer wie viel bezahlen muss und wer daran verdient. Interessiert hörte ich zu, mit welchen Wünschen die Agenturen von den künftigen Eltern konfrontiert werden. Ein "Wunschvater" wollte unbedingt ein Töchterchen, aber es wurde ein Sohn, den er dann nicht haben wollte und dies auch gegenüber der Agentur und der Leihmutter durchsetzte. Was geschieht dann mit dem Kind? Das ist ohnehin eine spannende Frage, wie sich die Kinder mit ihren jeweiligen "Wunscheltern" im Leben entwickeln werden?  

Den "Wunscheltern" scheint es schwerzufallen, sich in die Leihmütter hineinzudenken. Vielleicht weil sie es sonst nicht mit sich aushalten? Die Agenturen sagen ihnen, dass es eine psychische Nachbehandlung für die Leihmütter gäbe und sie geben sich mit dieser Antwort zufrieden.

Doch am Ende bleiben die Leihmütter allein. Das Kind ist da, fertig, aus. Auftrag erledigt. Wie die Leihmütter damit zurechtkommen interessiert niemand mehr. Sie bekommen vielleicht 15.000 Euro, das ist in etwa der Preis für die Leihmutterschaft. Die Paare zahlen mindestens 50.000 Euro – inklusive Reisen in die Ukraine und der Aufenthalt dort – und erhoffen sich dafür ein Kind, wie sie sich das erträumen.

Olga erzählt, was sie im Krankenhaus nach der Geburt erlebte und wie es sich für sie anfühlte, als sie das "Wunschkind" anderer Leute geboren hatte:

"Am Tag der Entlassung fühlt man sich deplatziert. Was mache ich hier? Wie bin ich hierhergekommen? Wer bin ich, und wieso? Ich war bei der Entlassung alleine. Ich hatte zwei Taschen dabei: meine Sachen und Geschenke für meinen Sohn, damit ich nicht mit leeren Händen ankomme. Ich habe die Krankenschwester gefragt, ob sie mir helfen könnte, sie meinte, sie hätte keine Zeit... Also muss ich es alleine tragen. Vier Tage nach dem Kaiserschnitt. OK, denke ich. Ich kriege es hin. All die Tage, die ich da verbracht habe, habe ich lauter Mütter gesehen, die entlassen werden, wie sie von ihren Männern abgeholt werden. Und alle Krankenschwestern riefen ihnen vom Korridor zu, dass sie wieder kommen sollen... Alle lächelten und waren freundlich. Und nun lief ich mit diesen Taschen durch den Korridor und es gab solche Blicke, dass es mich regelrecht fröstelte. Du wirst nicht beachtet... Du bist kein Mensch... Ich habe versucht, keinem aufzufallen..."

Inga Lizengevic trifft Leihmütter, die vieles durchgemacht haben. Einerseits ist es eine Chance, ein wenig Geld für die Familie zu verdienen. Andererseits nehmen sie vieles dabei in Kauf. Vor allem setzen sie ihre Gesundheit aufs Spiel. Manchmal machen sie auch traumatische Erfahrungen, die sie nicht mehr loswerden. Beim Zuhören stockt mir manchmal der Atem. Die Stärke dieser Reportage ist, dass die Autorin hinhört, und genau wissen will, wie das Geschäft abläuft. 

Berührend sind die vielen Dialoge, die das Radiofeature so hörenswert macht. Insbesondere auch, wenn sie sich mit "Wunscheltern" trifft. Da spürt man die Ambivalenz: einerseits ein schlechtes Gewissen, was manche werdende Eltern plagt, andererseits auch das Gefühl, unbedingt und fast unter allen Umständen ein Kind haben zu wollen. Die Autorin wertet nicht, sie lässt die Hörer/innen selbst denken:

Wunschvater: Mache ich das oder mache ich das nicht...Irgendwo bist du halt an der Stelle, wo du es für dich rechtfertigen möchtest und rechtfertigen musst. Und... wie soll ich es sagen... Ich glaube nicht, dass wir den Eindruck machen, dass wir kaltherzige Menschen sind, die knallhart Leute ausbeuten wollen...

Wunschmutter: Ich bin im Reinen mit der Entscheidung...

Autorin: Du hast grad das Stichwort Ausbeutung gesagt... wie kommst du darauf?

Wunschvater: Habe ich Ausbeutung gesagt? OK...

Wunschmutter: Du meinst es nicht so, aber Du hast es gesagt...

Wunschvater: Das ist immer wenn man von Außen den Eindruck bekommt, da ist jemand, der stellt seinen Körper zur Verfügung, stellt seine Gesundheit zur Verfügung... um anderen Menschen ein Kind zu gewähren. Man zieht selber körperlich keine Vorteile aus der Geschichte... Kriegt dafür ein bisschen Geld und es besteht die Gefahr, dass man selbst erkrankt, oder auch ja... schwere Mühen auf sich hat. Dann ist man bei dem Thema Ausbeutung halt eben auch...

Wunschmutter: Aber den Eindruck hatten wir nicht

Wunschvater: Den hatten wir nicht...

Wunschmutter:Das Wort Ausbeutung passt auch nicht dazu...

Unbedingt hören!

"Mindestpreis für ein Kind liegt aktuell bei 39.999 Euro"

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Kommentare 3
  1. Theresa Bäuerlein
    Theresa Bäuerlein · vor mehr als 2 Jahre

    Wahnsinnig starke Zitate in diesem Teaser, danach muss man dieses Feature einfach hören. Was mir gut gefällt, ist, dass das Thema Ausbeutung thematisiert, es aber nicht einfach als Ausbeutungsstory erzählt wird. Es ist sicher mehr als das.

  2. Susanne Franzmeyer
    Susanne Franzmeyer · vor mehr als 2 Jahre

    Gute Hörempfehlung! (Hatte ich auch gerade vor. Aber da bist du mir wohl zuvorgekommen...)

    1. Charly Kowalczyk
      Charly Kowalczyk · vor mehr als 2 Jahre

      Hm, lustig, so ging es mir vor kurzem auch. Und zwar bei Deinem Pic zu "Explosives Erbe". Wollte grad loslegen zu schreiben...

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