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Technologie und Gesellschaft

Eine kurze Geschichte der Neurotechnologie

René Walter
Grafik-Designer, Blogger, Memetiker | goodinternet.substack.com

Irgendwas mit Medien seit 1996, Typograph, Grafiker, Blogger. Ask me anything.

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René WalterMittwoch, 28.02.2024

Elon Musk verkündete jüngst auf X-formerly-known-as-Twitter, seine Firma für Hirn-Computer-Schnittstellen Neuralink habe den "ersten" "Chip" in einem Probanden implantiert und dieser sei nach der Operation wohlauf. In einem weiteren Tweet erklärte Musk, der Patient hätte erfolgreich "eine Maus" bewegt -- damit meinte er einen Cursor auf einem Bildschirm. Musks und Neuralinks erklärtes Ziel: "Imagine if Stephen Hawking could communicate faster than a speed typist or auctioneer". Belege für Musks Behauptungen gibt es keine und der Nachrichtenwert dieser muskschen Mitteilungen geht gegen Null, denn:

Völlig davon abgesehen, dass die einzige Quelle für die Behauptungen Musk selbst ist, sind diese angeblichen Fortschritte in Hirn-Computer-Schnittstellen-Technologie (kurz: BCI) ein alter Hut. Wie der bekannte Hirnforscher Anil Seth in seinem Artikel im Guardian über die Frage, ob wir uns wirklich alle Chips in die Köpfe setzen lassen sollten, anmerkt: Neuralink ist ein Newcomer auf dem Gebiet und die ersten Cursors auf Screens wurden bereits in den 90er Jahren gedankengesteuert. Die tatsächliche Innovation von Musks Firma, ein Operations-Roboter, der die Gehirn-Implantate einsetzt, bleibt bei den jüngsten Meldungen völlig im Dunkeln und Neurowissenschaftler äußern sich besorgt.

Warum Elon Musk mit Neuralink an BCI-Tech arbeitet, liegt auf der Hand: Die Technologie macht (auch ohne Musk) rasante Fortschritte und eine automatisierte Implantierungs-Maschine mit BCI und OP-Robot verspricht gigantischen Profit. Alleine in den letzten 12 Monaten konnten Neurowissenschaftler im Zusammenspiel mit Künstlicher Intelligenz: Einen querschnittsgelähmten Mann wieder laufen lassen, während ein anderer, ebenfalls querschnittsgelähmte Patient seine Arme wieder benutzen und mit seinen Händen fühlen konnte; eine nach einem Schlaganfall paralysierte Frau wieder sprechen lassen mit einer "brain-to-text (...) rate of 78 words a minute"; Musik aus Gehirnaktivität rekonstruieren oder Bilder aus der Aktivität des visuellen Kortex rekonstruieren. In den Jahren zuvor konnte man bereits digitale "Telepathie" ermöglichen und die Gehirne von drei Patienten zu einem Neuro-Netzwerk zusammenschließen.

Der Psychologe Gary Lupyan und der Philosoph Andy Clark haben bei Aeon in einem Aufsatz darüber geschrieben, warum sie nicht an direkte digitale "Telepathie" glauben möchten, kurz zusammengefasst: weil neuronale Aktivität zu idiosynkratisch und individuell ist, um zuverlässig von einer auf eine andere Person übertragen werden zu können. Sie übersehen allerdings dabei, dass AI-Technologie hier als Interpreter zwischen den unterschiedlichen, nun: Wellenlängen der Teilnehmer funktionieren kann. Das allerdings ist tatsächlich Zukunftsmusik und (hoffentlich) noch in weiter Ferne, denn abgesehen von der oberflächlichen SciFi-Coolness digitaler "Telepathie" stellt sich natürlich die Frage, ob ich nun wirklich einen direkten Draht zu den Gedanken anderer Menschen haben möchte, mit all ihren invasiven Gedanken und dem ganzen Neuro-Chaos, den die innere Welt eines Menschen eben ausmacht, oder wie man Zugriff auf "Private Gedanken" denn technisch verhindern könnte. Vielleicht möchte ich eher nicht wissen, was mein Nachbar wirklich über mich denkt -- und andersrum genauso.

Auch stellt Anil Seth im oben bereits erwähnten Text die wichtige Frage, ob sich Menschen für solche Neuro-Spielereien wirklich den Kopf öffnen lassen werden, nur um die chaotischen Gedanken ihrer ebenfalls gehirnimplantierten Nachbarn lesen zu können oder ein paar kognitive Prothesen zu erhalten. Seine Antwort: Nein. Allerdings ist eine invasive Operation in Zukunft anscheinend gar nicht nötig. 

Im Dezember vergangenen Jahres stellten Forscher der Universität Sydney einen nicht-invasiven Brainscanner vor, der von Patienten als einfache EEG-"Kappe" getragen wird. Dessen Signal ist zwar verrauschter, dennoch erreichte man in dem Experiment eine "state-of the art performance" für Brain-2-Text-Outputs, dafür allerdings mit einer relativ hohen Fehlerrate. Es ist dennoch zu erwarten, dass diese non-invasiven Technologien ebenso rasante Fortschritte erzielen, und einen ersten Hinweis auf eine Anwendung in kommenden Massenmärkten gibt es auch bereits: Apple hat im Sommer 2023 ein Patent für EEG-Airpods angemeldet, also In-Ear-Kopfhörer die elektrische Signale des Gehirns lesen können. Man muss tatsächlich kein SciFi-Nerd mehr sein um sich die nächsten Generationen von Apples VR/AR-Brille mit Gehirnschnittstelle vorzustellen.

All diese massiven Fortschritte der BCI-Technologie machen deutlich, dass wir eine breite Debatte in der Öffentlichkeit über die Ethik der Gehirnschnittstellen brauchen. Bereits heute gibt es tausende Fälle von Patienten mit Gehirn-Implantaten, die nach der Pleite eines Startups ohne technischen Support, veraltetem Code und leeren Batterien im Kopf dastehen, und Technology Review schreibt über den Fall von Rita Leggett, eine Patientin mit exzessiven Epilepsie-Anfällen, die ein nahezu normales Leben führen konnte dank des Einsatzes eines neuartigen Implantats, das nach der Pleite des Unternehmens entfernt werden musste -- was einen möglichen Verstoß gegen ihre Menschenrechte darstellt.

Im Juli 2023 organisierte die UNESCO die erste Konferenz für Neuro-Ethik, wo ein Framework für Menschenrechte im Kontext von Neurotechnologien gefordert und das Konzept von Neurorechten erörtert wurde. Chile hatte als erstes Land der Welt bereits im Jahr 2021 seine Verfassung geändert und um explizite Rechte für Neuro-Privacy erweitert. 

Der wissenschaftliche Diskurs zur Neuro-Ethik läuft dagegen bereits seit einigen Jahrzehnten und im Jahr 2006 gründete sich bereits die International Neuroethics Society. Die Papers "on Neurorights" aus dem Jahr 2021 und das Paper "Ethical Aspects of BCI Technology: What is the state of the art?" von 2020 bieten einen guten Überblick über den Stand der Dinge.

Mir persönlich gehen diese ethischen Überlegungen nicht weit genug: KI-Forscher haben vor wenigen Tagen einen Computer Vision-Algorithmus vorgestellt, der Lippen lesen kann, also Sprache aus einem Videosignal decodiert. Was geschieht in einer Gesellschaft, in der ich (nicht nur mit Hirnimplantat, sondern auch bereits mit Smartphones und ihren hochauflösenden Super-Kameras) jedes Gespräch durch einen Blick auf die Sprechenden abhören kann? 

Es ist dank der rasanten Fortschritte in BCI-Technologie absolut denkbar, dass die Signale des visuellen Kortex direkt in ein lippenlesendes AI-Supergehör übersetzt werden. Seit einigen Jahren schon diskutieren wir Phänomene wie Peer Surveillance, in der Menschen neuartige Technologien dazu benutzen, um andere zu überwachen, zu stalken und zu "doxxen" oder in der TikTokker scheinprivaten Gossip-Talk von Fremden veröffentlichen. Neurotechnologie im Zusammenspiel mit Künstlicher Intelligenz hat das Potezial, in den kommenden Jahrzehnten ganze Gesellschaften in wortwörtlich übersinnliche Super-Recognizers zu verwandeln und solche Stories wie ein harmloses Vorgeplänkel aussehen zu lassen. Der "Big Brother" aus Orwells 1984 wird zur "Big Family" in der jeder Mensch zur Überwachung durch andere User freigegeben ist.

Die Debatten über die Sicherheit von Neurodaten der heutigen BCI-Pioniere kann daher nur einen Anfang bilden einer breiten gesellschaftlichen Diskussion darum, wo wir die Grenzen setzen für die neuen brain-enhanced AI/BCI-Cyborgs -- und Nicholas J. Kelley, Stephanie Sheir und Timo Istace nehmen nun all dies zum Anlass, um auf The Conversation eine kurze Geschichte der Neurotechnologie zu erzählen und auf die immensen ethischen Implikationen hinzuweisen. 

Denn: "Die Gedanken sind frei, keiner kann sie erraten" gilt möglicherweise in wenigen Jahren nicht mehr.

Eine kurze Geschichte der Neurotechnologie

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