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Literatur

Vom Lesen in fremden Ländern – Valter verteidigt Sarajevo

Vom Lesen in fremden Ländern – Valter verteidigt Sarajevo

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnMontag, 20.05.2019

„Merkwürdig, seit ich in Sarajevo bin, suche ich Walter und finde ihn nicht. Jetzt, wo ich gehen muss, weiß ich, wer er ist.“

„Sie wissen, wer Walter ist? Sagen Sie mir sofort seinen Namen!“

„Ich werd ihn Ihnen zeigen..."

Der Gestapo-Mann ist bedrohlich nah an den SS-Standartenführer von Dietrich herangetreten, dessen Stimme ruhig und gelassen bleibt. Fanfarenmusik setzt ein. Es sind die letzten Sekunden des Films „Valter brani Sarajevo“ (Walter verteidigt Sarajevo). Die Kamera schwenkt auf Sarajevo; eine Stadt, die wie ein Tuch zwischen Berge gespannt ist, eingehüllt von Rauch und Nebel. Ein See aus Ziegeldächern, Minaretten, Schornsteinen und Hochhäusern. Von Dietrich sagt: "Sehen Sie diese Stadt? Das ist Walter.“

Der 1919 im serbischen Prijepolju geborene Vladimir Perić alias Valter war Partisan und Sekretär der Kommunistischen Partei Sarajevos, leitete jahrelang den Untergrund gegen die faschistischen Besatzer und kam in der Nacht vor der Befreiung Sarajevos am 6. April 1945 durch eine Granate ums Leben. An seiner Beerdigung nahmen über 15 000 Menschen teil, vier Jahre später erhielt er den Orden des Volkshelden der Föderativen Republik Jugoslawien. 1972 drehte der bosnische Regisseur Hajrudin Krvavac oben zitierten Partisanen-Film über Valters Leben und Aktionen, gespielt von Velimir Bata Živojinović, die deutschen Offiziere wurden von DEFA-Schauspielern dargestellt.

Wir sind in Ljubljana, mein Freund führt mich in ein Restaurant, das für seine Ćevapčići berühmt sei und einen Film in Endlosschleife zeige, über den Partisan Walter. Die schlichten Holzstühle und Tische gefallen mir, ein Rollbild zeigt einen mittelalten Mann mit Maschinengewehr, der zornig schaut und dergestalt für ein Bier wirbt. Wir können zwischen fünf oder zehn Ćevapčići wählen, das bosnische Valter-Bier ist süffig. Über uns läuft ein Film, in welchem abwechselnd geschossen wird oder etwas in die Luft fliegt. Ohne Ton. Studenten schöpfen Suppe aus einer riesigen Terrine, Familien tafeln lautstark. Ich freue mich aufs Bett, die Anfahrt zehrt. Mir fällt ein, dass ich auch einen Valter-Comic dabei hab, neben Andrej Stasiuks "Der Osten", Zlatko Pakovićs "Die gemeinsame Asche" und Gary Stheyngarts "Willkommen in Lake Success", letzteres auf dem Handy. In unserer Souterrain-Wohnung ziehe ich den Comic aus dem Gepäck und sinke ins Bett, ohne es aufzuschlagen.

Zwei Nächte, etliche Laufkilometer, drei Museumsbesuche, drei Interviews, einen Live-Auftritt des wunderbaren Frauen-Chors "Kombinat" und ein Fußballspiel später sitzen wir wieder im "Das ist Walter". Jetzt weiß ich mehr, es gibt in vielen ex-jugoslawischen Republiken Valter gewidmete Restaurants, Museen und Touren, es gibt Bands und Songs, die sich auf ihn beziehen und Künstler, die sich unter seinem Namen im Ausland vereinen.

96 Seiten Comic, ein dreiseitiges Vorwort, eine kurze Biografie des Zeichners und 23 Seiten mit Fotografien aus dem Leben (die meisten von seiner Beerdigung) Vladimir Perić alias Valter umfassen den Hardcovertitel "Valter verteidigt Sarajevo" aus dem bahoe books Verlag in Wien. Das Buch orientiert sich an den legendären Comics Ahmet Muminovićs, welcher in den siebziger Jahren die sechs "Valter brani Sarajevo" Episoden schuf. Ivan Petrovic übersetzte die Vorlage des erst kürzlich verstorbenen Zeichners und Illustrators. Mit der bosnischen Neuauflage in der Biblioteka Bosančica knüpfte ein kleiner Comic-Verlag in Sarajevo 2016 an den gesamtjugoslawischen Ruhm an. Der Comic wurde seinerzeit allein in China über acht Millionen Mal verkauft. Noch bekannter wurde Valter durch den gleichnamigen Film, welcher in 60 Ländern gezeigt wurde und vor allem in China enormes Aufsehen erregte; über eine Million Menschen sollen den Darsteller des Valter, Bata Živojinović, bei einem Besuch in den 70er Jahren am Flughafen empfangen haben.

Der Comic "Valter verteidigt Sarajevo" erzählt abenteuerliche Geschichten aus der Besatzungszeit Sarajevos, dem Widerstand und der Kollaboration. Valter ist dem Feind immer einen Schritt voraus. Er seilt sich vom Uhrenturm des Basarviertels ab, trickst deutsche Spione aus, klaut Essensmarken, hilft Untergrundkämpfern und der Zivilbevölkerung. Die naturalistisch gezeichneten Szenen lassen das bedrohliche Szenario der belagerten Stadt auferstehen und diebische Freude über die steten Erfolg der Partisanen aufkommen. Mir hat es vor allem die zweite Episode angetan, ein Sanitätszug soll von Sarajevo nach Visegrad fahren und Benzinfässer für die Betankung deutscher Panzer transportieren. Valter und seine zwei Freunde erobern, als deutsche Soldaten verkleidet, die Lokomotive des Zuges. Ihr Coup wird bemerkt und mehrere bewaffnete Deutsche versuchen, die Lok wieder einzunehmen.

Als wir uns zu Valter-Bier und den unschlagbar leckeren Ćevapčići-Portionen an einem Holztisch einfinden, schiebt Valter Kohlen in einen Ofen. Sein rußgeschwärzter Genosse erklimmt das Wagondach und schießt mit einer Pistole auf die Deutschen. Ich juchze, "das kenne ich, gleich kommt ein Tunnel." Wir verstehen die slowenischen Untertitel nicht, aber die entsetzten Gesichter auf dem Zugdach sprechen für sich. Valters Freund gleitet noch rechtzeitig in die Lok, es wird geschraubt und gerüttelt, Dampf steigt auf und während der Zug durch einen der bosnischen Berge saust, koppeln die Partisanen die Lok ab. Der Zug rollt rückwärts. Ein Deutscher dreht am Bremsrad, mein Freund fragt, das Valter-Bier schwenkend, "wie geht das denn aus?" Ich lächle, freue mich auf eine farbige Variante der schon schwarz/weiß sehr dramatischen End-Szene. Im Comic schaut Valter aus dem Fenster der Lok und ruft:

"Genossen, springt! Jetzt bekommen sie ihre Lokomotive wieder zurück."

Wir schauen zu, wie der Zug an einem Berghang zum Halten gekommen ist und Schauspieler Rolf Römer als Nazioffizier sich verwundert umdreht, die Lokomotive anrauschen sieht und begreift.

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