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Literatur

Mein kleiner Buchladen: „Vergessene Bücher“ - elf Jahre in Australien und auf der Insel Ponape

Mein kleiner Buchladen: „Vergessene Bücher“ - elf Jahre in Australien und auf der Insel Ponape

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnDienstag, 31.01.2017

„Es ist nichts so fein gesponnen, es kommt doch ans Licht der Sonnen.“

Dieses Buch ist gleich zweimal ins Vergessen geraten. Im Vorwort meiner Ausgabe von 1929 schreibt der Herausgeber Paul Hambruch, es habe ein besonderes Schicksal gehabt – in vielen Veröffentlichungen genannt und in seinem Werte erkannt, „blieb es trotz Suchens in aller Herren Länder für Jahrzehnte verschollen.“ Keine europäische Bibliothek habe das erstmals 1836 in Boston verlegte Buch „A Residence of Eleven Years in New Holland and the Caroline Islands: being the Adventures of James O'Connell edited from his verbal narration“ in seinen Beständen gehabt, erst 1926 sei einem Freund in der Washingtoner Library of Congress ein Exemplar in die Hände gefallen. Der einzig übriggebliebene Abzug wurde von Hambruch übertragen, mit Erläuterungen, Fotos und Karten versehen. Antiquarisch sind in Deutschland auch von dieser Ausgabe nur noch ein paar Exemplare für 5 bis 30 Euro zu erwerben. Nun liegt eines in gelbem, etwas fleckigen Leineneinband vor mir. Zwei Palmen und eine Hütte sind auf den Buchdeckel geprägt.

James O'Connell erzählt auf 215 Seiten von seiner Geburt 1808 im irischen Dublin bis zu seiner Ankunft in New York 1835. Aus einer Zirkusfamilie stammend, entwich James als Halbwüchsiger auf ein Schiff, welches straffällig gewordene Frauen nach Australien überführte. Er trieb sich einige Zeit lang in Australien herum und strandete nach einem Schiffbruch 1828 mit einem anderen Matrosen auf der Südseeinsel Ponape, wo er fünf Jahre lebte, bis ein zufällig passierendes Schiff die beiden mit nach China nahm und O'Connell 1835 schließlich in Amerika landete. Dort trat er einige Jahre als „der tätowierte Mann“ in Zirkus-Sideshows auf, danach verliert sich seine Spur.

Paul Hambruch, der die Autobiografie herausgab, nahm Anfang des 20. Jahrhunderts selbst an einer mehrjährigen Südsee-Expedition teil und bestätigte O'Connells Eindrücke Ponape betreffend. James O'Connell sprach ponapesisch und beobachtete Alltag und Feste der weit entwickelten Insel-Kultur, besuchte und beschrieb als erster Europäer die sagenumwobene Ruinenstadt Nan Madol. Er lebte mit einer Häuptlingstochter zusammen, wurde nach ponapesischer Sitte tätowiert und führte das Leben eines Adligen. Die Gesellschaft war in strenge Kasten eingeteilt, was erst durch die Missionierung im 18 Jahrhundert aufweichte.

Ich besorgte mir das Buch, weil ich alles über Ponape wissen wollte und mit der Absicht, es später in meinem Buchladen weiterzuverkaufen. An James O'Connell begeisterte mich sofort der genaue Blick auf das Leben der Sträflinge in Australien, ihre Strafbedingungen, Freizeit (eigene Theateraufführungen!), Fluchtversuche, Hinrichtungen etc. 1828 schifft sich O'Connell auf den Walfänger ein, der bald Schiffbruch erleidet, sein Boot irrt vier Tage auf dem Meer, bis es nach Ponape gelangt. Fünf Jahre wird er auf der Insel leben, den Alltag studieren, zeichnen und beschreiben, vor allem aber genießen.

„Meine Frau begleitete mich auf meinen Ausflügen zu Lande und zu Wasser; immer war sie an meiner Seite und sah mich so verliebt an wie ein schwämerischer Backfisch.“ Die feinen Zeichnungen O'Connells zeigen eine festliche Versammlung im Kanuhaus in Erwartung des Hundebratens und eine tumultartige Szene zu Wasser-der Häuptling verhindert einen Ausflug O'Connells. Hambruch fügte Fotografien der Insel und ihrer Bewohner, ein Vokabular, eine Karte Nan Madols und Ponapes an, rundete das Buch durch den eigenen Erfahrungsschatz ab.

Das Eingangszitat leitet eine typische O'Connell-Szene ein: er und sein schiffbrüchiger Kumpel haben eines Nachts Süßwasseraale aus einem Bach gefischt, die heilig und damit tabu sind. Die beiden brieten und aßen sie, gingen zu Bett und wunderten sich, als am nächsten Tag immer mehr Männer Frauen und Kinder zu einer bestimmten Stelle strömten, dort auf dem Boden knieten, sich hinwarfen, gegen die Brust schlugen, hin und her taumelten und wälzten. Sie dachten zunächst an einen Unfall oder Todesfall und näherten sich neugierig. Aber es gab keine zerbrochenen Knochen, sondern nur Aalgräten. Zwei, drei Tage lang wurden Klagelieder angestimmt und von Ort zu Ort, von Hütte zu Hütte verbreitete sich die Unglücksnachricht, allenthalben war Heulen und Zähneklappern. Die beiden schwiegen und bangten, bis der Häuptling die Reste feierlich bestatten ließ. Der Tumult war zu Ende und: „der Genuß von Aalen war uns für immer vergangen.“

Diese Geschichte fand Eingang in meinen Roman „Das Herz des Aals“, der im März erscheint und ich werde das Buch O'Connells nicht mehr hergeben.

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Kommentare 1
  1. Frederik Fischer
    Frederik Fischer · vor 7 Jahren

    "Alternative Archäologie"...wieder etwas gelernt.

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