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Literatur

Mein kleiner Buchladen: „Debüts“ – Die Landschaft hat immer Recht

Mein kleiner Buchladen: „Debüts“ – Die Landschaft hat immer Recht

Anne Hahn
Autorin und Subkulturforscherin
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Anne HahnFreitag, 23.03.2018

Bei geglücktem Westwetter stürzen die Wolken an der Küste von den Bergen, und wenn die Sonne im Mittag steht, verwandelt sich der Sonnenschein in Margarine, die glänzend die Hänge hinunterfließt. Es ist nichts Besonderes an reiner Sonne, und auch ein Vollmond ist noch keine große Schönheit, es sei denn, es schieben sich Wolken davor oder davon weg.

Halldór schreibt Tagebuch, oft über das Wetter - und wenn er schreibt, ist meist schlechtes Wetter, denn sonst wäre er draußen und würde fischen. An Farbe und Form der Wolken kann er das Wetter für die nächsten Stunden ablesen, sie haben manchmal die Gestalt alter Männer angenommen oder bilden weiße dicke Pölster mit Löchern aus dem Blau des Frühlingshimmels dazwischen. Er kann sich nichts Besseres vorstellen als Sonne aus Westen mit Sturm, "wenn sich das Wollgras auf dem Moor biegt und man sich auf eine Bank legt, nachdem man angetrockneten Fisch und Seehundspeck gegessen hat..." und vielleicht schläft man dann ein und träumt "von Wolken in Form dicker, nackter Frauen, die lachend auf ihren Bäuchen spielen, sodass man ganz ergriffen wird und von Herzen dafür dankt, auf der Welt zu sein."

Mit seinem Debüt "Die Landschaft hat immer Recht" schuf der Isländer Bergsveinn Birgisson, Jahrgang 1971, eine neue Variante der Ur-Themen isländischer Literatur. In seinem fiktiven abgeschiedenen Fjord Geirmundarfjörður im Nordosten Islands leben zwei Handvoll Menschen, die meisten von ihnen einsame, kauzige Männer. Genauer porträtiert werden der alte Fischer Gusi (welcher Halldór das Fischen und Erzählen beigebracht hat), die sich ewig streitenden Brüder Ebbi und Bensi, der schwer verschuldete Kalli, ein todkranker Alter, der aus seinem Bett über den Fjord schaut und der Pfarrer. Die Gespräche der Männer drehen sich um (die fehlenden) Frauen, das Wetter, die Landschaft, den Sinn des Lebens, Elfen, Kontakt mit Verstorbenen, Gedichte. Halldór als Jüngster ist Erzähler und Lernender zugleich. Sein Tagebuch wurde, so die einleitenden Worte, vom Gemeindevorsteher an den Verlag übergeben, versehen mit Anmerkungen. Er fragt sich in seinen Aufzeichnungen, ob Seehundweibchen den Sex mit den Männchen genießen. Wie nützlich Wollgras sei. Was er in diesem Fjord des Todes eigentlich mache. Berichtet vom ärmlichen Leben der Fischer im Wohnheim, seinem "Fischgefühl" und den absurden Fangvorschriften. Besucht den Pfarrer, der langsam wahnsinnig wird und berichtet dem Tagebuch davon:

"Er sagte, dass er niemandem von Nutzen sei, nicht mehr als eine alte Kirche. Dass es viel sinnvoller wäre, die Bänke aus den Kirchen des Landes hinauszuwerfen, Matratzen hineinzuschaffen und den Menschen zu erlauben, wie Affen zu kreischen, denn nichts anderes seien die Menschen, und sich über ihre tausendjährige Unterdrückung aufzuregen. Das würde sie viel glücklicher machen, als wenn man immer dieses Gottesdienstgelabere über ihnen ausschütte."

Wie in den Romanen Halldór Laxness´ ist die Auseinandersetzung mit dem Glauben ein wesentliches Bedürfnis des Isländers, sowie sein Kampf mit der Natur, den Birgisson als ähnliche Duldung beschreibt, wie eine Frau ihren alkoholkranken Ehemann ertrüge, der sie verprügelt. Und wenn man sich von den Prügeln erholt hat, ist alles wieder gut. Diese ins Absurde getriebene Ergebenheit erschließt sich tatsächlich, der Roman funktioniert vor allem über seine wunderbaren Natur- und Wetterbeschreibungen in ihrer elementaren Wucht. Ohne Schnörkel, ohne Gnade. Der alte Jónmundur auf dem abgelegenen Hof, den Halldór des Öfteren aufsucht, schaut auf die Landschaft und befindet, sie habe immer Recht. Halldór selbst ist der Narr, das Kind, welches durch die Geschehnisse trudelt, auf der Suche nach einer Frau, aber eigentlich nach dem erwachsenen Ich, das er nicht finden kann. Eine Haushälterin kommt und geht, Halldór verliebt und prügelt sich. Gusi fährt fischen und kehrt nicht heim. Der Pfarrer füttert seine Schafe nicht mehr. Eine neue Haushälterin wird gesucht und ein Medium bestellt. Jónmundur dichtet für Halldór:

"Es spielt keine Rolle/ wenn du mitten im Vers stirbst/ solange du ihn vollendet hast.

Es spielt keine Rolle/ wenn du nicht die ganze Strecke schaffst/ solange du ans Ziel kommst.

Und es ist ganz gleich/ wenn du die Liebe vermasselt hast/solange du nur geliebt hast."

Das ist eigentlich ein recht seltsames Gedicht, schreibt Halldór in sein Tagebuch. Als mit der zweiten Haushälterin in dieser Geschichte die schöne Arnheiður Dögg auftaucht, ist es um Halldór geschehen - um seinen Verstand leider auch. Er sieht Verfolger, hat Alpträume und benimmt sich sehr seltsam ... Auf 288 Seiten schafft Birgisson spielerisch ein Universum, das man nicht verlassen möchte. Man mag mit Halldórs Augen aus dem Fenster schauen, den Wolken nachsehen und den Lada der Brüder borgen, um den Pfarrer zu besuchen. Mit Jónmundur auf die Berge sehen und mit Gusi übers Meer. Wo manchmal der Sturm aufreißt und Lichtinseln zaubert. In denen manch ein verschollener Fischer aufscheint.

Der bereits 2003 auf Isländisch als "Landslag er aldrei asnalegt" (etwa: "Landschaft ist niemals dumm") verlegte Debütroman ist sehr kunstvoll von Eleonore Gudmundsson ins Deutsche übertragen worden und gerade im Wiener Residenz-Verlag erschienen. Bergsveinn Birgisson lebt und lehrt in Norwegen, wo seine Werke in Karl Ove Knausgårds Verlag Pelikanen erscheinen und der Autor kürzlich zum Ritter geschlagen wurde.

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