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Klima und Wandel

Suffizienz - die vergessene Dimension

Dominik LennéFreitag, 29.03.2024

Suffizienz als Ansatz für nachhaltiges Wirtschaften heißt soviel wie "das richtige Maß" oder "weder zu viel, noch zu wenig", wie man auf der entsprechenden Seite des "Lexikons der Nachhaltigkeit" nachlesen kann. Naturgemäß haben verschiedene Leute verschiedene Ansichten darüber, was dieses richtige Maß ist - es ist ein heißes Eisen. Wohl deshalb ist die Diskussion darüber im gesellschaftlichen Zielgespräch unterrepräsentiert - dabei ist sie für eine Lösung des Umweltverbrauchsproblems unverzichtbar.

Seit 1972 gibt es den Sachverständigenrat für Umweltfragen, ein Gremium von sieben Professoren aus dem Umweltbereich. Er hat erkannt, dass wir ohne Suffizienzdiskussion letztlich unser Ziel, mit später zehn Millarden Menschen dauerhaft angenehm auf diesem Planeten zu leben, nicht erreichen können und deshalb nach guter deutscher Professorenart das gepiqte 68-seitige Thesenpapier verfasst - und zu einer (auch online besuchbaren) öffentlichen Diskussion am 29. April 2024 eingeladen. 

Die 16 Thesen, die noch durch Zusatzinformationen und interessante Grafiken angereichert sind, sind recht umfangreich ausgearbeitet und decken ein breites Spektrum an Gesichtspunkten ab. Ich reiße sie hier sehr kurz in meinen Worten an:

  • Stabilisierung des Erdsystems - die technische Innovation allein verringert die Stoffströme nicht.
  • Menschenwürdiges Leben Aller - ein kleiner Teil verbrät den Großteil der Ressourcen.
  • Eigendynamik der Technosphäre eingrenzen - biologische Systeme haben sich in der Evolution an begrenzte Ressourcen angepasst, der Mensch noch nicht.
  • Rohstoffe - Bedarfsreduktion erhält zukünftige Verfügbarkeit.
  • Verhaltensänderung - Individuelle wird nicht reichen - es muss auch politisch-strukturelle und kulturell-zivilisatorische Änderungen geben.
  • Freiheit - die eigene endet, wo die der Anderen beschnitten wird.
  • Das "Projekt der westlichen Moderne" - als Fortschritt durch freiheitliches Wertsystem ist eingegrenzt auf den "Westen", war immer unvollständig und widerspruchsbehaftet. Die Suffizienzdiskussion kann helfen, es weiterzuführen.
  • "Gesellschaftliche Wohlfahrt" -  Was ist das überhaupt? Hier hat der Streit zwischen "Green Growth", d.h. Entkopplung zwischen ökonomischem Wachstum und Erdverbrauch durch Technologie, und "Degrowth", d.h. Lebensqualiltät ohne materielles Wachstum, seinen Platz.
  • Kreislaufwirtschaft - ist mehr als Recycling, indem sie alle Phasen des Lebenszyklus eines Produkts und das gesamte System der Produktion und Verwertung umfasst - aber ohne Suffizienz wird sie nicht reichen.
  • Die rechtliche Dimension - Suffizienzpolitik ist rechtens und möglicherweise sogar geboten.
  • Der Wertewandel - gesellschaftliche Teilhabe, Identitätsbildung und soziale Positionierung erfolgen vielfach über Konsum.
  • Kultureller Wandel - Habitus und soziale Praxis können sich ändern, u.A. durch Pioniere, die neues Verhalten praktizieren, das sich dann ausbreitet, aber auch durch materielle Infrastrukturen - Beispiel das fahrradfreundliche Straßensystem Kopenhagens.
    Das "gelingende Leben", d.h. ein Leben mit Maß, ist eine Denkfigur in sehr vielen Philosophien und Religionen. Gegenwärtig finden wir es in der Diskussion der Veränderung des gesellschaftlichhen Wohlstandsbegriffs in Richtung Güter-,  Zeit- und Beziehungswohlstand.
  • Wirtschaftswissenschaft - sie stellt das Instrument der Knappheit durch Bepreisung der "externen Kosten" zur Verfügung. Dies erfordert aber Aushandlungsprozesse und soziale Ausgleichsmechanismen.
  • Gesellschaftliche Widerstände - einerseits werden Suffizienzregeln von vielen als nicht legitim angesehen, weil ihre Notwendigkeit nicht anerkannt wird, andererseits legen sie Einkommensunterschiede bloß, die durch anscheinenden Überfluss und Gewohnheit verdeckt sind. 
    Ein Ansatz dazu ist die höhere Bepreisung von Luxusgütern. 
  • Die Frage der Prioritäten - Die zentralen Handlungsfelder - Steuer- und Finanzsystem, die Organisation von Arbeit und Pflege, Wohnen und Leben, Konsum, Energie, Handel, Technologie, soziale Wohlfahrt, Produktion und Wirtschaft, Landwirtschaft, Ernährung sowie Transport und Mobilität. Wo sind Maßnahmen notwendig, wirkungsvoll und umsetzbar?

Das ist Alles sehr akademisch, und das spürbare Bedürfnis nach vollständiger Abdeckung aller Aspekte, die Theorielastigkeit sowie die wissenschaftliche Sprache werden diese Thesen sicherlich nicht zu einem vielgelesenen Werk machen. Dennoch sitzt der Sachverständigenrat für Umweltfragen als Politikberatungsgremium an zentraler Stelle und übt immerhin einen gewissen Einfluss aus. Diese Thesen - und die darauf hoffentlich folgende Diskussion - können helfen, eine für Alle sichtbar notwendige Verschiebung des gesellschaftlichen Wertsystems zu fördern. Dazu müssen sie allerdings dann auch auf griffige, handhabbare Formeln heruntergebrochen werden. 


Suffizienz - die vergessene Dimension

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Kommentare 5
  1. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor 28 Tagen

    Gut, dass Du mit einer Begriffserklärung beginnst.

    Das ist erhellendes Material, aber so aufgearbeitet, dass es nur für Akademiker ist. Schade.

    1. Dominik Lenné
      Dominik Lenné · vor 19 Tagen

      Ja, das ist eine zutreffende Kritik (wenn es denn als solche gemeint ist). Ich halte es trotzdem für wichtig, das Thema zu bringen - auch gerade um sie vom akademischen (doch auch etwas selbstbezogenen) Bereich ins breitere Bewusstsein zu bringen.

  2. Ole Wintermann
    Ole Wintermann · vor 29 Tagen

    Moin, ich habe das Gutachten diese Woche auch komplett gelesen. Da wurde mal wieder großartige Grundsatzarbeit geleistet, Begriffe geklärt, Zusammenhänge analysiert. Ich befürchte nur, dass die Expertinnen 99,9% der Bevölkerung gedanklich voraus sind.

    1. Dominik Lenné
      Dominik Lenné · vor 28 Tagen

      Moinsen, davon ist auszugehen (auch wenn ich denke, dass der Prozentsatz niedriger ist) und es wäre auch seltsam, wenn ein Team hochbezahlter Spezialisten der Bevölkerung nicht etwas voraus wäre. Aber der Grundgedanke, der dort des Langen und Breiten beleuchtet wird, ist im Grunde einfach und auch leicht verständlich - wenn man denn verstehen will.

    2. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor 19 Tagen

      ah, da bin ich mir nicht mal sicher - immerhin ergeben die Umfragen bzgl. Umwelt-, Tier- und Klimaschutz, aber auch speziell etwa zum Autobahngeschwindigkeitslimit häufig große Zustimmungswerte für genau das: Suffizienz.
      dass der Expertinnenrat argumentativ und "wissenschaftlich" voraus sind, dürfte klar sein - und zudem erwünscht.

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