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K.o.-Tropfen, Täter-Opfer-Umkehr und die Hürden der Beweislast

Lutz Müller
Diplomökonom

Geboren 1956. Längste Schulzeit in Döbeln/Sachsen. Statistikstudium in Odessa. Tätigkeiten für verschiedene statistische Institutionen im In- und Ausland, Schwerpunkt Wirtschaftsstatistik und Beratung im Transformationsprozess. Un-Ruhestand in Berlin.
Kontakt: odessa.ua@sonnenkinder.org

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Lutz MüllerFreitag, 01.09.2023

Charlotte Hirz ist Psychologin. Bei der Berliner Fachstelle gegen sexualisierte Gewalt an Frauen (LARA) berät sie Frauen nach Übergriffen.

Im FAZ-Interview spricht sie über Frauen, die mit K.-o.-Tropfen betäubt wurden. Das betrifft rund 5-10 Prozent der rund 1500 Frauen, die jedes Jahr Beratung suchen. Das ist jedoch nur ein Teil der Betroffenen - das Thema ist sehr schambehaftet:
Erinnerungslücken, schlimmstenfalls Bewusstlosigkeit, sehr gefährlich sind K.-o.-Tropfen mit Alkohol.

Sie müssen sich das so vorstellen: Sie wachen irgendwo auf, ohne zu wissen, wie Sie dahin gekommen sind. Sie haben vielleicht Verletzungen oder Schmerzen und keine Ahnung, wie das passiert ist. ... Sie brauchen erst mal Zeit, um sich zu fangen.

Es passiert in Clubs und auf Partys, auch auf privaten Veranstaltungen oder im Dating-Kontext. Woher die Scham kommt, beschreibt Hirz so:

Bei einem Date kann ja durchaus Sex im Raum stehen. Das wird dann häufig gegen die Betroffenen verwendet: „Warum bist du überhaupt mitgegangen, warum hast du was getrunken, wenn du den anderen gar nicht kennst?“ Den Betroffenen wird die Verantwortung für das Geschehen gegeben. Aber bei K.-o.-Tropfen geht es nicht um Sex. Es geht darum, eine Person komplett wehrlos zu machen, zu dominieren und sexualisierte Gewalt auszuüben. Das wird aber oft verdreht, wenn Betroffene sich an ihr Umfeld wenden. K.-o.-Tropfen und Übergriffe sind zu 100 Prozent die Schuld des Täters, nie des Opfers.

Hervorhebung: Titel auf faz.net. Auch auf Blendle ist das Interview abrufbar. 

Mit einer traumasensiblen Grundhaltung wird versucht, Betroffene aufzufangen und zu stabilisieren, aus dem durch die K.-o.-Tropfen entstandenen Benebelungszustand herauszuführen, damit sie wieder klar denken können und Boden unter die Füße kriegen, um kognitiv zu verstehen, dass ihnen wahrscheinlich Gewalt passiert ist.

Oft richten sich Schuldzuweisungen gegen betroffene Frauen, sie hätten nicht aufgepasst und vermutlich auch nur zu viel getrunken. Das sei typisches Victim Blaming, so Hirz, Täter-Opfer-Umkehr.

Solche Fälle lassen sich aber nicht dadurch verhindern, dass Frauen besser aufpassen, sondern wenn Leute aufhören, anderen K.-o.-Tropfen ins Getränk zu mischen.

Dass es nach Verabreichen von K.-o.-Tropfen, was den Tatbestand der schweren Körperverletzung erfüllt, nur selten zu Verurteilungen kommt, liegt am Zusammentreffen verschiedener Schwierigkeiten:

Erst mal muss eine Person in der akuten Situation realisieren, dass sie Hilfe braucht. Dann muss sie eine medizinische Einrichtung aufsuchen, in der Proben genommen und rechtssicher verwahrt werden. Das macht nicht jedes Krankenhaus. Bei nichtspezialisierten Stellen kommt es häufig zu längeren Wartezeiten – dabei wird mit jeder Minute Wartezeit die Chance kleiner, K.-o.-Tropfen nachzuweisen. Im Blut sind es sechs Stunden, im Urin zwölf. Das Abgeben und Aufbewahren solcher Proben ist bei manchen Stellen nur kostenlos, wenn Anzeige erstattet wird. Da kommt unter Umständen also eine finanzielle Belastung dazu. Dann die Anzeige selbst: Auch das dauert, die Fragen sind oft nicht traumasensibel. Vor Gericht steht oft Aussage gegen Aussage, nicht selten heißt es dann: im Zweifel für den Angeklagten.

In der Polizeilichen Kriminalstatistik werden K.-o.-Tropfen nicht separat erfasst, die Dunkelziffer dürfte sehr viel höher sein.

Damit Frauen sich besser schützen, rät Hirz, keine offenen Getränke von Fremden anzunehmen, den eigenen Drink im Blick zu behalten und sich Hilfe zu holen bei Auffälligkeiten, möglichst mit mehreren Personen unterwegs zu sein, um Betroffene nach Hause begleiten zu können oder im Zweifel einen Krankenwagen zu rufen. Darüber hinaus sollte im öffentlichen Raum interveniert werden, wenn bspw. jemand nicht mehr ansprechbar oder bewusstlos ist – hingehen und fragen, ob alles okay ist. Sexualisierte Gewalt in Beziehungen passiere sogar häufiger als Übergriffe von Fremden. 

Das FAZ-Interview kam ausdrücklich nicht auf die After-Show-Partys von Rammstein zu sprechen, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits Frauen der Band den Einsatz von K.-o.-Tropfen vorwarfen. In einem weiteren Interview mit dem Tagesspiegel äußert sich Charlotte Hirz zu diesem Thema (ohne den Namen der Band zu nennen). Einige ihrer Aussagen finden sich im Kommentarbereich. 

Und es geht auch um Needle Spiking, ein Verbrechen neuer Art.

In jedem Fall stellt eine Anzeige solcher Straftaten eine schwere Hürde für Betroffene dar und erzeugt in der Folge neue Traumata.


K.o.-Tropfen, Täter-Opfer-Umkehr und die Hürden der Beweislast
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Kommentare 1
  1. Lutz Müller
    Lutz Müller · vor 8 Monaten · bearbeitet vor 8 Monaten

    Dem Tagesspiegel sagt Charlotte Hirz im oben verlinkten Interview, dass sich Betroffene sexueller Übergriffe mitunter Vorwürfe von Freunden und Familie anhören müssen:
    „Warum bist du da überhaupt hingegangen?“
    „Es war doch klar, dass es bei After-Show-Partys um Sex geht!“
    Sie erlebt auch Selbstvorwürfe:
    „Warum habe ich mich darauf eingelassen? Ich hätte die Gefahr sehen müssen!“
    Die Personen, die über ihre Erfahrungen nach Konzerten berichtet haben, müssen Beschimpfungen im Internet und sogar Gewaltandrohungen ertragen.
    Ihre Trauma-Reaktion passt nicht zum Stereotyp des Opfers, unter dem man sich eine schwache, völlig zerstörte Frau vorstellt.
    „Nur wenn sie so reagiert, wird ihr geglaubt, dass ihr etwas Schlimmes widerfahren ist.“
    Eine neue Konfrontation mit dem Täter z. B. in einer Gerichtsverhandlung kann
    „dazu führen, dass die Person als Schutzmechanismus komplett dissoziiert ... (Sie) wirkt dann apathisch, so, als wäre sie ganz woanders. Sie antwortet zum Beispiel monoton. Dann wird gesagt: ‚Sie hat noch nicht mal geweint. Dann kann es wohl nicht so schlimm gewesen sein.‘
    ... Die Art, wie Prozesse in Deutschland geführt werden, ist für Betroffene oft eine große Belastung. Sie müssen vor Gericht explizite, intime, schwierige Fragen beantworten. Prozesse dauern in der Regel bis zu zwei Jahren, manchmal sogar länger. Und in der Zeit findet man von diesem Thema einfach keine Ruhe. Und dann enden nur 8,4 Prozent der Verfahren mit einer Verurteilung, wie der Bundesverband ‚Frauen gegen Gewalt‘ errechnet hat.“
    Hirz macht außerdem auf ein noch schwerer nachzuweisendes neues Verbrechen aufmerksam, das sog. Needle Spiking, über das vor zwei Jahren erstmals in Großbritannien berichtet wurde: Männer spritzen im Trubel der Tanzfläche Frauen K.-o.-Tropfen in den Rücken oder Arm. Auf der Tanzfläche des Berliner Berghains habe eine Frau plötzlich Atemnot bekommen, sei zusammengebrochen und habe mit Krämpfen auf dem Boden gelegen und später einen Nadeleinstich an ihrem Arm gefunden. Der Club hat daraufhin ein Awareness-Konzept aufgelegt.
    Veröffentlicht ist es auf dessen Website: www.berghain.berlin/de...
    ***
    Aus all dem lässt sich ermessen, welch schwere Last betroffene Frauen auf sich nehmen müssen, wenn sie für eine Bestrafung der Täter kämpfen, mit unklarem Ausgang. Wahrscheinlich ein Grund, dass Anzeigen im Fall der After-Show-Partys von Rammstein ausblieben und die Berliner Staatsanwaltschaft die Ermittlungen gegen Till Lindemann eingestellt hat.

    „Ein gar harmloses Vergnügen ... Das Verfahren gegen Till Lindemann ist eingestellt, aber die Diskussion hat sich nicht erledigt. Es fehlen Ideen, wie wir jenseits der juristischen Auseinandersetzung mit solchen Fällen umgehen wollen.“, schreibt Elena Witzek, Redakteurin des Feuilletons der FAZ (Paywall): www.faz.net/aktuell/fe...

    Nach Abschluss der Rammstein-Konzerte erreichte die Petitionsplattform Campact einen Erfolg gegen juristische Einschüchterungsversuche Till Lindemanns, u. A. berichtete www.tagesschau.de/inve...
    Die Strategie Lindemanns, sämtliche Kritikerinnen und Kritiker mundtot zu machen, sei letztlich gescheitert, sagte Campact-Vorstand Felix Kolb. Gegen Medienberichte von NDR und SZ hatte Lindemann gerichtlich ebenfalls Unterlassungsansprüche geltend gemacht, die zum Teil bereits zurückgewiesen wurden.

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