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Die umstrittene Karriere und Zukunft des Benjamin Netanjahu

Theresa Bäuerlein
Journalistin. Autorin. Seit (gefühlt) schon immer.
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Theresa BäuerleinMittwoch, 17.01.2024

Der israelische Premier gibt sich gerne als Beschützer Israels, hat aber de facto sein Land zuletzt im Inneren geschwächt und konnte die Massaker des 7. Oktobers nicht verhindern. Vielleicht auch deswegen geht er jetzt in Gaza mit größter Härte vor.

 Dieser Artikel im New Yorker zeichnet die Karriere des Mannes nach, der jetzt schon länger als jeder andere Premier im Land die Macht hatte. Der Autor versucht zu verstehen, was Netanjahu motiviert und bewegt. Darüber hinaus beschreibt er umfassend aktuelle und historische Hintergründe. 


Die familiären Einflüsse, die der Autor umreißt, sind der Vater, Benzion Netanjahu, ein Historiker und Spezialist für die Spanische Inquisition, ein rechtskonservativer Zionist. Und Benjamin Netanjahus großer Bruder Jonathan, der 1976 als Held in die Geschichte Israels einging, weil er als Kommandeur einer Spezialeinheit in Entebbe, Uganda starb, die mehr als 100 Geiseln (die meisten davon Israelis) aus der Gewalt einer palästinensisch-deutschen Terrorgruppe befreite. 

Die investigative Journalistin Ilana Dayan erklärt, wie prägend dieses Ereignis war: 


Entebbe war ein Baustein des israelischen Ethos und führte zu der Überzeugung, dass Israel alles tun würde, um Geiseln zurückzubringen 

Das bestätigte sich 2011, als Benjamin Netanjahu einen Deal machte, bei dem er im Gegenzug für die Befreiung des nach Gaza entführten Soldaten Gilad Shalit mehr als 1000 palästinensische Gefangene freilassen ließ. Darunter Yahya Sinwar, der anschließend zum ranghöchsten Hamas-Politiker in Gaza wurde. Umso wütender und schockierter sind viele Menschen in Israel über das ganze politische Spektrum hinweg, wie wenig der Staat von Oktober 2023 bis heute für die Befreiung der immer noch circa 130 Geiseln in Gaza tut.

„Der Staat war nicht da!", sagte Dayan. „Das haben wir noch nie erlebt. Ein Israeli zu sein bedeutet, dass man den Sinn für den Staat verinnerlicht hat. Es ist ein Teil dessen, was man ist. Und plötzlich, wo ist der Staat?“

 Sie hat Yaffa Adar, eine fünfundachtzigjährige Bewohnerin des Kibbuz Nir Oz, interviewt, die beschrieb, wie sie am 7. Oktober von der Hamas entführt und in einem Golfwagen nach Gaza gebracht wurde. 

Adar erzählte Dayan, dass sie während der Fahrt in den Gazastreifen in den Himmel schaute, nach Flugzeugen und Hubschraubern der IDF Ausschau hielt und sich fragte, warum diese nicht kamen, um sie zu retten.

Der Autor spricht weiterhin mit Avichai Brodrutch, dessen Frau und Kinder am 7. Oktober 2023 nach Gaza entführt wurden und die mittlerweile freigelassen wurden. 

Was ihn jetzt entsetzt, ist der Mangel an Verantwortlichkeit in Netanjahus Regierung. „Niemand nimmt die Schuld dafür auf sich“, sagte er. „Jemand muss von der Regierung kommen und sagen: 'Das war unsere Schuld'. Vor allem, was die Geiseln betrifft. Das ist unsere Schuld, und wir werden alles tun, was wir können, um sie nach Hause zu bringen. Aber das sagen sie nicht. Wenn diese Geiseln getötet werden, hat dieses Land kein Recht, weiterzumachen. Israel wurde nach dem Holocaust gegründet und hatte einen Auftrag: nie wieder. Dies geschah auf israelischem Boden – und nicht nur mit Juden, sondern auch mit Muslimen, Arabern und Thailändern. Wenn ein Waffenstillstand notwendig ist, um sie nach Hause zu bringen, dann ja. Israel sollte nur an eines denken: die Geiseln zurückzubringen.“

Der Text geht auch darauf ein, wie wenig Empathie es in der israelischen Bevölkerung aktuell für die Menschen in Gaza gibt, und wie wenige Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen andererseits bereit sind, das Massaker vom 7. Oktober zu verurteilen.

Da so viele von ihnen dazu übergegangen sind, nichts zu glauben, was israelische Offizielle sagen, besteht ein Reflex, Berichte über Gräueltaten oder Aussagen von Geiseln zu ignorieren. Wie immer in diesem jahrhundertelangen Konflikt können mehrere Wahrheiten – das Massaker der Hamas und die israelische Bombardierung, die grausamen Vergewaltigungen durch Hamas-Kämpfer im Süden Israels und die Tötung Tausender Kinder im Gazastreifen, die eliminatorische Ideologie der Hamas und Israels unvereinbarer Zustand, sowohl Besatzer als auch demokratischer Staat zu sein – nicht alle auf einmal wahrgenommen werden. Sich mit jeder historischen Episode und jedem Widerspruch, mit jeder Grausamkeit zu befassen, hieße, die eigenen Loyalitäten bis zum Zerreißen zu verkomplizieren.
In seiner laut dieses Artikels ziemlich selbstherrlichen Autobiografie – die natürlich vor dem 7. Oktober 2023 geschrieben wurde – erklärt Netanjahu seine Strategie im Umgang mit Gaza nur lückenhaft.  


Was Netanjahu in seinen Memoiren kaum einräumt, ist die Sicherheitspolitik, mit der Israel Katar erlaubte, die Hamas zu finanzieren, in der Annahme, dass sie auf die Ekstase des bewaffneten Widerstands verzichten und die Lasten der Regierungsarbeit auf sich nehmen würde. In der Zwischenzeit konnte sich Netanjahu darauf konzentrieren, das unruhige Westjordanland zu unterwerfen und die Palästinensische Autonomiebehörde zu schwächen, die sich mit der Verwaltung dieses Gebiets abmühte. Diese zweigleisige Politik sollte auch dazu dienen, jegliche kohärente Forderung nach Verhandlungen zu unterdrücken.
In den folgenden Jahren wurde deutlich, dass Netanjahus große Strategie darin bestand, die Umwandlung von Israels alter, arbeitszionistischer, sozialistischer Wirtschaft in eine wohlhabende, marktwirtschaftliche Startup-Nation-Wirtschaft zu vollenden und ein neues Sicherheitsparadigma umzusetzen, bei dem Israel politische, militärische und wirtschaftliche Verbindungen mit den arabischen Golfstaaten einging, um sich der von Teheran angeführten „Achse des Widerstands“ entgegenzustellen. In diesem Plan waren die Palästinenser kaum eine Priorität. Sie konnten leicht eingedämmt oder sogar ignoriert werden. „Der Weg zu einem breiteren Nahostfrieden zwischen Israel und der arabischen Welt führte nicht durch den palästinensischen Regierungssitz in Ramallah“, schrieb er. „Er führte darum herum.“ Es bestehe keine wirkliche Notwendigkeit mehr, das Westjordanland und seine halbe Million Siedler zu annektieren. Die Siedler hatten den Staat Israel annektiert.Überhaupt scheinen die Palästinenser in Netanjahus Pläne nur eine untergeordnete Rolle gespielt zu haben. 

Nicht vergessen werden sollte auch, dass Netanjahu eine ganze Reihe von Korruptionsanklagen umherschleppte. 

Ihm wurde alles Mögliche vorgeworfen, von der Annahme illegaler Geschenke – kubanische Zigarren, Schmuck, Champagner – bis hin zu einem dubiosen Deal mit einem Medienbaron, um günstige Berichterstattung zu erhalten. (Netanjahu hat stets jegliches Fehlverhalten abgestritten.) Eine Zeit lang schien es möglich, dass er einen Vergleich akzeptieren würde, bei dem er nicht ins Gefängnis müsste, sondern eine Geldstrafe zahlen und sich aus der Politik zurückziehen würde. Ein solcher Deal hatte seine Reize. Er und seine Frau Sara waren schon lange in den Genuss der Großzügigkeit befreundeter Milliardäre gekommen. Jetzt konnte er in den Vorständen von Unternehmen sitzen, lukrative Reden in den USA halten und den Beifall derjenigen Hälfte des Landes genießen, die ihn immer noch so sahen, wie er sich selbst sah: der einzige israelische Staatsmann, der stark genug war, sich gegen mörderische Ayatollahs, verlogene Palästinenser, leichtgläubige US-Präsidenten, scheinheilige Menschenrechtsorganisationen und skrupellose liberale Medien zu behaupten.


Es kam anders. 

Ein neuer Generalstaatsanwalt trat auf den Plan und Netanjahu eroberte den einzigen Posten zurück, der ihm Schutz vor Strafverfolgung bot – seinen alten Job als Premierminister.

 Dafür schmiedete er eine Koalition mit teils rechtsradikalen Politikern und versuchte eine Justizreform umzusetzen, die nach Ansicht vieler Israelis die Demokratie in Israel stark geschwächt hätte. 

Führende Vertreter des Militärs und der Sicherheitsdienste haben öffentlich die Verantwortung für die Fehler, die zum 7. Oktober führten, anerkannt. Netanjahu hat nur gesagt, dass die Frage der Verantwortung „letztendlich untersucht werden wird.“ 

Anshel Pfeffer, ein Reporter von Haaretz und Autor einer 2018 erschienenen Biografie über Netanjahu, sagte mir, dass der Premierminister immer schnell die Lorbeeren erntet, aber nicht die Verantwortung übernimmt: „Wenn der Shin Bet morgen das Loch entdeckt, in dem Sinwar steckt, und Sayeret Matkal seinen Kopf auf einen Spieß steckt und die Geiseln befreit werden, wäre Bibi da, um die Lorbeeren zu ernten.“ Dennis Ross, ein erfahrener US-Diplomat im Nahen Osten, stimmte mir zu: „Er ist seit 2009 Premierminister, mit Ausnahme eines Jahres. Können Sie sich vorstellen, dass er jemals die Verantwortung für irgendetwas übernommen hat?“

Ist das politische Ende von Netanjahu also absehbar? Vielleicht – vielleicht aber auch nicht. 
Je länger der Krieg andauert – und laut führenden Militäranalysten verläuft er nicht annähernd so gut oder so schnell, wie das Verteidigungsministerium gehofft hatte – desto mehr Zeit wird Netanjahu haben, seine Basis wieder aufzubauen und potenzielle Herausforderer zu untergraben. „Netanjahu hat ein Interesse daran, diese Phase des Krieges nie zu beenden“, sagte Nahum Barnea. Die vom Premierminister angekündigten „Voraussetzungen für den Frieden“ lassen nicht darauf schließen, dass er nach einem Ausweg sucht: „Die Hamas muss zerstört, der Gazastreifen entmilitarisiert und die palästinensische Gesellschaft deradikalisiert werden.“ 
Doch die Hamas war schon immer sowohl ein Produkt als auch ein Verursacher von Brutalität, und der Premierminister muss kaum über die Kluft zwischen seinen politischen Interessen und den größeren Realitäten belehrt werden. Als er in seinen Memoiren von einer früheren Krise erzählte, bemühte er sich, seine Leser über dieses Thema aufzuklären. Ein ausgewachsener Krieg mit der Hamas, schrieb er, wäre ein „hohles“ Spektakel ohne befriedigendes Ende. „Die Hamas-Führer würden aus ihren Löchern kommen und inmitten der Trümmer den Sieg verkünden“. 
Die umstrittene Karriere und Zukunft des Benjamin Netanjahu

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