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Zeit und Geschichte

Wie der Kreml sich die russische Geschichte zurechtbiegt

Dirk Liesemer
Autor und Journalist
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Dirk LiesemerDienstag, 17.05.2022

Schon vor gut einer Woche, also am 9. Mai, hat die F.A.Z. diesen ausführlichen und sehr lesenwerten Beitrag von Dietmar Neutatz gedruckt. Darin geht der Freiburger Osteuropahistoriker der Frage nach, wie der Kreml in den vergangenen zehn Jahren die Erinnerung an die Geschichte Russlands geformt hat, wobei man präziser von einer Verformung oder Überformung schreiben sollte.

Seit der Gründung der Russischen Militärhistorischen Gesellschaft durch einen Erlass des Präsidenten Putin im Dezember 2012 ist rein gar nichts dem Zufall überlassen worden. Seither wird in Museen, Ausstellungen und Schulen die Geschichte so erzählt, wie man sich das im Kreml vorstellt: als eine patriotische Erfolgsstory eines Volkes, das sich in großen wie kleinen Fragen einig ist. Geradezu strategisch und oft nicht ungeschickt lässt man dazu in Filmen und Publikationen eingängige Geschichtsbilder produzieren.

Dietmar Neutatz zeigt, wie das Land sich in seinen Mythen und seiner geschichtspolitischen Ideologie einbunkert. So gesehen war das Verbot von Memorial früh absehbar. Mit Widersprüchen, Zwischentönen oder auch nur leisen kritischen Anmerkungen zur eigenen Geschichte kann das Regime um Putin nichts anfangen. Man fragt sich erschüttert: Wie wird Russland da wieder rauskommen? Auch im besten Falle dürfte es Jahrzehnte dauern. Denn Legenden verselbständigen sich und lassen sich nicht mal eben wieder einfangen. Ein nüchterner Text mit Gruselfaktor.

Wie der Kreml sich die russische Geschichte zurechtbiegt

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Kommentare 7
  1. Lutz Müller
    Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr

    Eine gute Empfehlung, habe den FAZ-Artikel erst heute gelesen.
    Die militärischen Erfolge aus der Geschichte werden beliebig uminterpretiert, in guten wie in schlechten Zeiten. So, wie wir es jetzt im Krieg sehen.

    Ein weiterer Punkt mit völkerrechtlichem Bezug, der im Artikel nicht erwähnt ist, aber die Geschichtspropaganda stark beeinflusst:
    Die UdSSR-Rechtsnachfolge wurde auf internationaler Ebene nie sauber geklärt. Hierzu habe ich gepiqt: www.piqd.de/users/nnn.... , da diese Frage mittlerweile auch das Gedenken an die Toten des Zweiten Weltkriegs betrifft. Zudem wird die Wahrnehmung historischer Ereignisse in Deutschland häufig durch vereinfachende Darstellung in den Medien verzerrt, wie an Beispielen gezeigt wird.

    Ein im Artikel zitierter Spruch Putins sagt, dass der Sieg durch die Einigkeit und ehrliche Brüderschaft aller Völker der UdSSR erreicht wurde. Das ist tatsächlich korrekt.
    Mein Diplomvater und ein weiterer Mentor waren ukrainische Juden, die als Offiziere der Sowjetarmee bis nach Deutschland gingen.
    Allein schon aus diesen Gründen hätte die Ukraine niemals überfallen werden dürfen. Das ist außerdem eklatant verfassungswidrig, denn Artikel 67 besagt: „Die Russländische Föderation ehrt die Erinnerung an die Verteidiger des Vaterlandes …“. Die Ukraine verlor einen wesentlich größeren Teil ihrer Menschen als Russland, die Partisanenbewegung war sehr viel ausgeprägter.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      Das der Sieg durch die Einigkeit und ehrliche Brüderschaft aller Völker der UdSSR erreicht wurde, ist m.E. eine ziemliche Verzerrung. Was ist mit den Deportationen ganzer Völker nach Sibirien, mit den Krimtataren, dem Aufstand und der Deportation der Tschetschenen, was ist mit der Wlassow-Armee, mit dem ukrainischen Widerstand, mit dem Baltikum? Der Sieg über die Nazis war eine große Leistung, aber wir sollten sie nicht zu einer widerspruchsfreien Verbrüderung verklären. Auch wenn das viele so empfunden haben. Mich erinnert das mit der Brüderlichkeit immer an den alten DDR-Witz: "Wie wollen wir teilen? Brüderlich oder halbe/halbe.

    2. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl Der Witz war in der Sowjetunion ebenfalls verbreitet, und wie ich stark vermute, kam er auch von dort.

      Diskussionen dieser Art hatten wir schon. Putins Spruch stammt ebenfalls aus Sowjetzeiten und ist natürlich propagandistisch gefärbt. Dass er nach Belieben ge- und missbraucht werden kann, sagte ich schon. Es gibt kein klares Schwarz oder Weiß. Nach dem Überfall traten Zwistigkeiten zwischen Nationalitäten überwiegend vor dem gemeinsamen Anliegen der Verteidigung der Heimat zurück. Dass es eine fünfte Kolonne von Abweichlern gab, war Hoffnungen auf Erfüllung von Unabhängigkeitsbestrebungen geschuldet, die schnell enttäuscht wurden (Beispiel: Stepan Bandera). Das Terrorregime verhängte Kollektivstrafen. Erst mit der Unabhängigkeit der Ukraine erhielten bspw. die Krimtataren die vollen Rückkehrrechte in ihre alte Heimat.
      Interessant ist hier auch die Rolle des Jüdischen Antifaschistischen Komitees, über die der Hörfunkbeitrag zu Solomon Michoels u. a. berichtet: www.piqd.de/zeitgeschi... .

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      @Lutz Müller Das die Zwistigkeiten vor der Verteidigung der Heimat zurücktraten, das hat man dann so erzählt. Es wird diesen Effekt auch gegeben haben. Aber eigentlich hatte es ja vorher angeblich.gar keine Zwistigkeiten gegeben. Es war immer die fünfte Kolonne oder die Kulaken. Oder eine jüdische Ärzteverschwörung oder, oder …..

    4. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor mehr als ein Jahr · bearbeitet vor mehr als ein Jahr

      @Thomas Wahl Welcher Nationalität waren denn die Kulaken, und mit welchen anderen Nationalitäten standen sie im Konflikt? Davon sprach ich, nicht von Zwistigkeiten mit der Staatsmacht.

      Die angebliche jüdische Ärzteverschwörung wurde im Zuge der Repressalien Stalins nach Ende des Krieges verfolgt. Dass den Verurteilten Sabotage des Verteidigungskriegs vorgeworfen worden wäre, ist mir nicht bekannt. Ihr Schicksal ist mit dem von Michoels vergleichbar, siehe den von Achim Engelberg im o. a. PIQ empfohlenen Beitrag. Nur dass Michoels wegen seiner Popularität nicht vor Gericht gezerrt werden konnte und einem fingierten Autounfall zum Opfer fiel. Ich sehe überhaupt keinen Anlass, die Authentizität der Schilderung von Michoels‘ Nachfahren, die in Israel leben, anzuzweifeln. Der Antisemitismus staatlicherseits bedeutet nicht, dass es ihn in der Bevölkerung nicht gegeben hätte.

      Also so kommen wir nicht weiter.

      „Für das Vaterland, für Stalin“ war ein propagandistischer Aufruf. Die Völker zogen in den Kampf zur Verteidigung ihrer Heimat, nicht der ungeliebten Staatsmacht. Abseits des glorreichen Sieges gibt es einige Meisterwerke ultimativer Antikriegsfilme.
      - In deutscher Sprache zu sehen ist auf www.youtube.com/watch?... „Der Vater des Soldaten“
      (1964-1965, ჯარისკაცის მამა გერმანულად) von Rezo Chkheidze.
      - Weitere Beispiele sind „Die Kraniche ziehen“ (1957, Летят журавли) von Michail Kalatosow,
      „Im Morgengrauen ist es noch still“ (1972, А зори здесь тихие) von Stanislaw Rostozki
      u. A. m.

    5. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      @Lutz Müller Ich sprach übrigens davon, dass es laut Propaganda und Theorie eigentlich keine Zwistigkeiten zw. den Völkern gab, sondern dass es immer die fünfte Kolonne oder die Kulaken waren, die den sozialistischen Aufbau sabotierten.
      Nun, zur Brüderlichkeit gehören auch die Kulaken. Man kann nicht die Einheit und Brüderlichkeit der Völker ausrufen, wenn man große Teile unterdrückt und ausrottet. Das ganze Gerede war mehr oder weniger immer ein Fake. Und bei vielen sicher auch ein echter Wunsch.

  2. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor fast 2 Jahre

    Ja erschütternd. Allerdings zeigt die deutsche Nachkriegszeit wie es anders geht wie man rauskommen kann. auch wenn sie vielleicht gerade auch zeigt wie einige Mythen sich tatsächlich lange halten?

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