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Zeit und Geschichte

Verschwinden die Benin-Bronzen nach und nach auf dem Kunstmarkt?

Dirk Liesemer
Autor und Journalist
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Dirk LiesemerDienstag, 28.02.2023

Dieser Artikel kommt Monate zu spät, aber er hätte wohl auch nichts geändert: Kurz vor Weihnachten hat die Bundesregierung die ersten zwanzig Benin-Bronzen an Nigeria übergeben, was allgemein bejubelt wurde – und bereits zuvor waren die Eigentumsrechte von 1130 Artefakten an Nigeria übertragen worden. Damit hatte Deutschland bewiesen, dass es aus seiner kolonialen Vergangenheit lernen kann. Konnte man jedenfalls denken. Aber nun dieser Text, der die Art und Weise der Rückgabe als eine ziemlich verantwortungslos durchgeführte Sache darstellt.

Brigitta Hauser-Schäublin, von 1992 bis 2016 Ordentliche Professorin und Forschungsprofessorin für Ethnologie in Göttingen, listet eine erstaunlich lange und detaillierte Reihe an Kritikpunkten auf, bei denen ich mich gefragt habe, wie sie nur übersehen beziehungsweise missachtet werden konnten. Denn es kann natürlich nicht im Interesse Deutschlands sein, dass die zurückgegebenen Kulturgüter früher oder später gestohlen werden und auf dem internationalen Kunstmarkt verschwinden. Genau das sei in der Vergangenheit immer wieder geschehen. Und wenig stelle sicher, dass so etwas nicht auch künftig passiere.

Ich will hier mal drei Zitate als Appetizer aus dem lesenswerten Text bringen (bei dem ich mich auch gefragt habe, warum ich solche kritischen Beiträge praktisch nur in der F.A.Z. finde).

Zum Rückgabe-Vertrag schreibt sie:

Nicht einmal die vom internationalen Museumsbund (ICOM) definierten Standardaufgaben von Museen – Bewahren, Schützen, Erforschen und Zugänglichmachen – sind im Vertrag erwähnt.

Zur Verfolgung von Kunstrauben in Nigeria schreibt sie:

Der Di­rek­tor des Lagos State Record and Archives Bureau beklagte sich 2019 bei Journalisten der nigerianischen Zeitschrift „Punch“ darüber, dass in den Depots im­mer wieder Objekte gestohlen würden – und zwar von Insidern. Einen Überblick, was an Objekten vorhanden sei, gebe es nicht. Bereits früher waren fingierte Einbrüche festgestellt worden. Systematische Nachforschungen blieben aus.

Dass auch zumindest eine Reihe von Kunstgegenständen verschwunden sind, die erst in den vergangenen Jahren zurückgegeben wurden, hält sie ebenfalls fest:

Ähnliches gilt für das Museum of Fine Arts in Boston, das 2014 acht Objekte, darunter drei Benin-Artefakte, zurückgegeben hat, die offensichtlich ebenfalls postkolonial ge­stohlen worden und im Kunsthandel wiederaufgetaucht waren. Keines davon ist in der Benin-Datenbank vermerkt: Verbleib unbekannt.

Die Benin-Datenbank ist eine von der Ernst von Siemens Kunststiftung finanzierte Plattform, auf der die Artefakte katalogisiert sind (sein sollten).

Wie oben geschrieben: sehr lesenswert, auch weil die Autorin einen differenzierten Blick auf das einstige koloniale Personal wirft:

Dass es auch Kolonialbeamte gab, die Kulturgutschützer waren und als Erste begannen, für die Museen, die sie in den Kolonien errichteten, Sammlungen anzulegen und Objekte zu inventarisieren, passt nicht in das aktivistische Täter-Opfer-Schema. Dabei ha­ben manche Kolonialverwaltungen sogar versucht, mit Gesetzen die massenhafte unkontrollierte Ausfuhr von Kulturgütern zu verhindern.

Es sind insgesamt recht viele und detaillierte Vorwürfe. Ich habe beim Lesen den Eindruck gewonnen, dass die deutsche Politik die Artefakte einfach nur loswerden und damit das Thema abräumen wollte, was auch immer damit in Nigeria geschehen mag. Übrigens schreibt die Autorin mit keinem Wort, dass man die Güter nicht zurückgeben sollte. Wer kein FAZ-Abo hat: hier gibt es den Text für eine Woche lang auf Blendle.

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Kommentare 14
  1. Thomas Wahl
    Thomas Wahl · vor einem Jahr

    Wenn man immer nur auf die eigene Geschichte starrt um zu lernen, dann kreist man letztendlich um sich selbst und lernt das Falsche.

    Ich hab den Artikel auch gelesen. Wirklich überrascht war ich nicht. Jeder der Afrika etwas kennt, konnte vermuten, das es diese Probleme in einigen der Länder geben wird. Bürgerkriege, Korruption, Diktaturen sowie versagende Staaten und Institutionen sind kein guter Platz für sensible (und wertvolle) Kulturgüter ….

    1. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor einem Jahr

      Ich bin ja mal gespannt, ob in 20, 30 Jahren der Vorwurf kommt: Wie konntet ihr nur die Artefakte an Museen übergeben, die nicht für deren Sicherheit sorgen konnten – nur um euer Gewissen zu entlasten?

    2. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor einem Jahr

      @Dirk Liesemer ja. Als ehemalige Diebe bzw. deren Nachfahren (=sorry sehr überspitzt formuliert und einseitig) sind wir eben leider in der Position, es nicht gut sondern höchstens es weniger schlecht zu machen...

    3. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Jahr

      @Cornelia Gliem Eigentlich haben unsere Vorfahren dort anderen Dieben bzw. Sklavenfängern und -haltern das Diebesgut weggenommen.

    4. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor einem Jahr

      @Thomas Wahl Genau genommen waren es die Engländer, von denen die Deutschen dann einige Stücke abgekauft haben.

    5. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Jahr

      @Dirk Liesemer Eine Diebeskette sozusagen …..

    6. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor einem Jahr

      ja. ZwickMühle. Auf der anderen Seite können wir nicht einfach über das Eigentum anderer bestimmen und sie wie Kinder behandeln... Sollen sie ihre eigenen Fehler machen? schade um die Kulturgüter und die Menschen denen sie verloren gehen...

    7. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor einem Jahr

      Das Projekt der Benin-Datenbank wird mit Problemen konfrontiert wie viele andere Vorhaben der Entwicklungszusammenarbeit auch, nicht nur in Afrika. Sie sind aber wichtig für das Ansehen des Nordens in den Partnerländern und auch ein Beitrag zur Wiedergutmachung. Nach meinen Erfahrungen können Mängel in der Umsetzung reduziert werden, wenn integre Akteure stärker gefördert und einbezogen werden. Das ist aufwändiger, und Publicity lässt sich so schnell damit nicht erzeugen...

      Die Präsentation der Plattform "Digital Benin" im November in Berlin fand Widerhall in den Medien, u. a. bei DW www.dw.com/de/plattfor...

      sowie in der Berliner Zeitung www.berliner-zeitung.d... :
      "Barbara Plankensteiner, die Direktorin des Museums am Rothenbaum und Projektleiterin des Hamburger Teams, geht davon aus, dass nahezu 99 Prozent der weltweit vorhandenen Artefakte aus dem Königreich Benin in der Datenbank vertreten sind."
      D. h. weltweit, ohne das Land ihrer Schöpfer?

    8. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor einem Jahr

      @Lutz Müller Es geht doch nicht um Kritik an der Datenbank. Die ist wichtig und verdienstvoll. Und sie zeigt offensichtlich, dass (nicht nur) restituierte Kunstschätze lt. Artikel geklaut und verhökert werden.

      "Dazu ein Beispiel: Im 1980 erschienenen und von Ekpo Eyo und Frank Willett herausgegebenen Katalog, Treasures of Ancient Nigeria, ist eine Bronzeplatte mit einem Krokodil abgebildet. Sie trägt noch die Inventarnummer des British Mu­seum und befand sich im Nationalmuseum in Lagos. Sie ist heute – gemäß der Benin-Datenbank – weder im Nationalmuseum in Lagos noch in demjenigen in Benin City aufzufinden. Wo befindet sie sich – und wo sind die anderen dreihundert ehemals vorhandenen Objekte?

      Bereits 1971 hatte Ekpo Eyo als Direktor des Antiquities Department davor ge­warnt, dass über kurz oder lang die nigerianischen Sammlungen verschwunden sein würden, wenn dem Diebstahl nicht endlich ein Riegel vorgeschoben werde. In einer kriminalistischen Untersuchung von 2012 stellte Usman Adekunle Ojedokun fest, im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte seien mehrere Museen in Nigeria geplündert worden. Dafür verantwortlich seien kriminelle Syndikate, welche die Objekte dem Schwarzmarkt zulieferten.

      Ojedokun führt Korruption – Nigeria steht laut Transparency International an hundertfünfzigster Stelle von 180 Ländern – sowie mangelnde Kontroll- und Sicherheitsmaßnahmen als Gründe an. Der Di­rek­tor des Lagos State Record and Archives Bureau beklagte sich 2019 bei Journalisten der nigerianischen Zeitschrift „Punch“ darüber, dass in den Depots im­mer wieder Objekte gestohlen würden – und zwar von Insidern. Einen Überblick, was an Objekten vorhanden sei, gebe es nicht. Bereits früher waren fingierte Einbrüche festgestellt worden. Systematische Nachforschungen blieben aus.

      Ein Abgleich der in früheren Katalogen publizierten Objekte aus dem Museum in Lagos mit der Datenbank ist erschütternd. Einige der schönsten Stücke sind offensichtlich nicht mehr vor Ort."

    9. Lutz Müller
      Lutz Müller · vor einem Jahr · bearbeitet vor einem Jahr

      @Thomas Wahl Nein, die Datenbank ist überhaupt nicht zu kritisieren, sie ist ein exzellentes Tool zur weltweiten Katalogisierung und Präsentation von Kunstschätzen. Kunstraub wird sie nicht verhindern können. Vielleicht braucht Nigeria Unterstützung zur Sicherung der Objekte. Dass dies nicht trivial ist, sehen wir daran, wie in einem Land ohne korrupte Museumsführungen und Kulturfunktionäre, im Berliner Bode-Museum und Dresdner Grünen Gewölbe, spektakuläre Raubzüge passieren konnten.

      Digital Benin kann dazu beitragen, dass die Hausaufgaben - zur Befüllung der Datenbank - nach internationalen Standards erledigt werden. Der o.a. DW-Beitrag enthält einen Link auf einen weiteren interessanten Artikel zur Provenienzforschung mit Videodokumentation (43 min). Sie beleuchtet nicht nur die Bedeutung der Werke für die Nationalkultur, sondern auch die finanziellen Engpässe bei Sicherstellung ihres Erhalts.
      Nachtrag: hier der direkte Link: www.dw.com/de/benin-br...

  2. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor einem Jahr

    Die FAZ leuchtet in Grauzonen der heutigen Dekolonisierung hinein.

    Ob berechtigt, das muss noch offen bleiben.

    Nicht in der FAZ, sondern in der FR verneint Stiftungspräsident Hermann Parzinger die Gefahr:
    https://www.fr.de/kult...

    1. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor einem Jahr

      Aber zu dem Vorwurf, dass aus den Museen in Nigeria immer wieder Artefakte verschwinden, äußert er sich doch gar nicht.

    2. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor einem Jahr

      @Dirk Liesemer Parzinger bleibt stets zurückhaltend und verteidigend.

      Das Interview wird nun durch den Perlentaucher mit dem FAZ-Artikel zusammengebracht. Das ist okay, denn wie Du schreibst, solche kritische Artikel gibt es nur in wenigen Medien wie der FAZ.

      Was davon Aushandlungsprozesse sind, ist zumindest für mich noch nicht klar zu erkennen.

    3. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor einem Jahr

      @Achim Engelberg Er wird ja auch gar nicht explizit danach gefragt.

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