In solchen Kippbildern, in Paradoxien ("Ich bin umso individueller, je mehr ich in Zusammenhang stehe.") und Geschichten nähert sich Alexander Kluge, Filmemacher und Schriftsteller, einer Welt, die er heute für so gefährlich wie die vor 1914 deutet, mancherorts, in Syrien etwa, sogar wie die im 30-jährigen Krieg.

Denken in Geschichten, Geschichten als Denken. Kluge ist der große Monteur, der Bild und Schrift, Gedanken und Gefühl zusammenbringt, ohne alles zu verrühren.

Das ist übrigens das Interessante, dass das eigentlich Wissenschaftliche und Exakte etwas Poetisches ist, genauso wie Poesie theoriefähig ist.

 Dieses Beispiel seiner Denk-Geschichten gibt es im zweiten Teil:

Da gibt es ... einen US-Piloten im Irak, der greift ein Haus an, in dem eine Hochzeitsgesellschaft sich befindet, weil er meint, dort sitzen Rebellen. Und sein automatisches Geschoss, das ist sein Jagdflugzeug, mit Bomben versehen, fliegt darauf zu. In dem Moment löst sich bei ihm im After – und er macht in seine Flugzeugkombination. Schämt sich. Er kann sie ja nicht wechseln während des Flugs, und muss nach Hause kommen und sagen, ich hab mir in die Hose gemacht. Dieser Schrecken, dieses Schamgefühl führt dazu, dass er die Maschine verreißt, und die Hochzeitsgesellschaft ist gerettet. Da war der Darm klüger als der Kopf.

Wie öfters bezieht sich Kluge auf Walter Benjamin, der

als Mensch von 1929 gesagt hat, wir verstehen unser Jahrhundert und uns selbst nicht, wenn wir nicht das 19. Jahrhundert auf den Prüfstand stellen und darstellen. Das Eisen, die Fotografie, die Revolution und was es gibt. Und ich sage Ihnen, wenn wir davon sozusagen das 80-fache gehabt hätten, hätten wir Hitler 1933 nicht gesehen als Kanzler. Das heißt, Aufklärung muss auch eine gewisse Masse haben. ... Und wir können jetzt mit dem Blick vom 21. Jahrhundert die Erfahrung des 20. auf den Prüfstand stellen...

Einen Teil eines solchen Tests sind Kluges Chronik der Gefühle; und gerade nun wird Walter Benjamin digital.