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Zeit und Geschichte

Langeweile statt Faschismus – zum Tod von Helmut Kohl

Hauke Friederichs
Journalist und Autor
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Hauke FriederichsSamstag, 17.06.2017

1982, die FDP fällt um, Helmut Schmidts sozialliberale Koalition platzt und unter Intellektuellen herrscht schieres Entsetzen. Helmut Kohl wird Kanzler? „Eigentlich kann ich mir nicht vorstellen, dass Helmut Kohl zum Bundeskanzler gewählt werden könnte", schrieb Günter Grass. Alexander Kluge „grauste" es beim Gedanken an eine „Regierung Kohl" und Martin Walser schickte vom Bodensee dunkle Rätselworte in die Bonner Provinz. „Ich sag halt: schade. Jetzt hätten wir endlich mal einen Bundeskanzler gehabt, und nun haben wir Aussicht auf keinen." Peter Rühmkorf ahnte den „ganz großen Rechtsschwenk", denn Kohl wolle die „Zahl der in Deutschland lebenden Ausländer um die Hälfte reduzieren".

Zwischen linken Kulturschaffenden, Intellektuellen und Schriftstellern auf der einen Seite und konservativen Politikern auf der anderen Seite herrscht damals so etwas wie ein verbaler Bürgerkrieg. Vor 40 Jahren, nach dem Deutschen Herbst 1977, fahndeten CDU und CSU nach RAF-Sympathisanten: Unter linken Schriftstellern wurden sie ebenso fündig wie in den Seminaren kritischer Professoren. CSU-Chef Franz-Josef Strauß ging soweit, in seinem Kreuzzug alle Kommunisten („Freiheit statt Sozialismus"), Schriftsteller wie Ingeborg Drewitz, Martin Walser oder Walter Jens als „Ratten und Schweißfliegen" zu beschimpfen.

Solche Wörter benutzt Kohl nicht – aber den Zeitgeist will auch er verändern und fordert eine „geistig-moralische Wende". "Der Kanzler (,Ich war immer gut in Hölderlin') glaubte allen Ernstes, er könne den Diskurs kommandieren und ,den Menschen draußen im Land' eine staatlich gelenkte Leitkultur verordnen", schreibt Thomas Assheuer in der „Zeit". Seine Kritiker wie Heinrich Böll befürchten, Kohl werde den Rundfunk weit nach rechts drehen. Und tatsächlich gerieten die vom Staat finanzierten Sender und auch die Goethe-Institute unter Druck. Als Kohl bei der Bundestagswahl 1998 gegen Gerhard Schröder verliert, jubelt das Kulturmilieu und feiert den neuen Kanzler. 

Langeweile statt Faschismus – zum Tod von Helmut Kohl

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Kommentare 6
  1. Daniel Schreiber
    Daniel Schreiber · vor fast 7 Jahre

    Ein interessanter Text. Aus der historischen Entfernung sehen solche Diskussionen immer anders aus. Für mich ist es keine Frage, dass ich damals auf der Seite jener Intellektuellen gestanden hätte. Inzwischen bin ich mir nicht so sicher. Gestern hab ich mit einer Freundin über Kohl unterhalten: Wir waren ihm beide tatsächlich extrem dankbar für die Wiedervereinigung, was uns überrascht hat, und das Interessante ist, dass es unter den Leuten, die wir gewählt hätten, anders - nicht so schnell, konsequent und großzügig - gekommen wäre...

    1. Hauke Friederichs
      Hauke Friederichs · vor fast 7 Jahre

      Die Frage ist ja, wie die Wiedervereinigung ohne Kohl ausgesehen hätte (also mit einem anderen Kanzler) – und wie die deutsch-deutsche Geschichte ohne die Vorarbeit von Willy Brandt verlaufen wäre. Aber da bewegen wir uns im Bereich von "Was wäre wenn". Und kontrafaktische Geschichte gilt in Deutschland ja leider meist als total unseriös. Spannende Gedankenspiele stecken in diesem Feld aber eben doch.... So begeistert soll Kohl ja nicht gewesen sein als plötzlich die Grenzen offen waren. So spontan. Da hatten die Bürgerrechtsbewegung Fakten geschaffen. Geordneter Übergang, von Konservativen stets geschätzt, geht ja eigentlich anders ;-)

  2. Dirk Liesemer
    Dirk Liesemer · vor fast 7 Jahre

    Über Kohl hat sich in den achtziger Jahren wirklich jeder lustig gemacht. Selbst Kohl-Fans hatten daheim Witzebücher über ihn rumliegen. Möglicherweise hat das ganze Bashing der Intellektuellen sogar seinem Machterhalt gediehnt. Denn so blieb er für jedermann sichtbar ein Mann des Volkes und der Provinz. Das hatte vielleicht sogar noch einen weiteren Vorteil, der hierzulande bis heute fortwirkt: Wenn ein Mann, der weithin als provinzell galt, mit einem solchem Verve für Europa eintrat wie Kohl es getan hat, dann konnte dessen Politik gar nicht so elitär sein.

    1. Hauke Friederichs
      Hauke Friederichs · vor fast 7 Jahre

      Interessante Idee, lieber Dirk. Gegen den Vorwurf der abgehobenen Politiker-Kaste und des Establishment könnte auch heute Humor helfen. Aber wohl nicht jedem: Über Sigmar Gabriel wurde auch ordentlich gespottet – als besonders volksnah galt er dennoch nicht, oder?

    2. Dirk Liesemer
      Dirk Liesemer · vor fast 7 Jahre

      @Hauke Friederichs Verglichen mit Kohl wird Gabriel von den Spöttern geradezu geschont, denke ich. Wahrscheinlich war eher Kurt Beck der sozialdemokratische Kohl-Nachfolger. Gemütlich, vermeintlich tumb und, nun ja, ebenfalls figürlich raumgreifend. Aber auf dem SPD-Schleudersitz hat es ihn dann auch bald aus der Kurve getragen.

    3. Hauke Friederichs
      Hauke Friederichs · vor fast 7 Jahre

      @Dirk Liesemer Stimmt. Und ein oder zwei Affären....

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