Mit dem lesenswerten, aber begrifflich unscharfen POSTDEMOKRATIE ist der britische Soziologe Colin Crouch international bekannt geworden. In rascher Folge werden nun seine Beiträge publiziert und übersetzt.

Historisch nähert er sich dem heutigen Nationalismus in zwei Schritten. Zuerst erläutert er die weltwirtschaftliche Vernetzung, die zuerst im späten 19. Jahrhundert die gesamte Erde umspannte. Ihre Wandlungen skizziert er in kräftigen Strichen. Er zeigt, wie in den hochentwickelten Ländern folgende Gemendelage entstand:

Die Zahl der Menschen, die in unseren friedlichen Ländern Schutz vor Gewalt und Krieg suchen, wächst stark. Und die Zahl der Terrorakte in westlichen Städten, ausgeführt von einer sehr kleinen Zahl von jungen Muslimen, die uns als ihre Todfeinde betrachten, steigt ebenfalls. Beide Phänomene haben nur wenig miteinander zu tun, aber sie konfrontieren die Bewohner der westlichen Welt mit dem Bild einer Masse von Menschen, die aus einer anderen Kultur in ihre Gesellschaft kommen – und unter ihnen könnten auch Terroristen sein.

In einer zweiten Tiefenanalyse geht er ideengeschichtlich zurück bis ins 18. Jahrhundert, in die Zeit vor und während der großen Revolution der Franzosen, in der gegeneinander stritten: die Aufklärung im Sinne Immanuel Kants, die für Rationalismus, Universalismus, Gleichberechtigung steht und der Konservatismus des Ancien Régime, der eintrat:

für Tradition, unangefochtenen Glauben, Hierarchien, Ungleichheiten, die aus der Geschichte heraus gerechtfertigt waren.

Eine neue Konfrontation dieser alten Ideen mit gewaltigen Folgen sieht Colin Crouch heute:

Den Ausdruck nationaler Inbrunst haben wir hauptsächlich auf der konservativen Seite beobachtet. Aber emotionale Wahlkämpfe in Großbritannien und den USA haben gezeigt, dass auch die Anhänger aufklärerischer Werte ihre ganz eigene Leidenschaft haben. Verlieren sie die Wahl, fühlen sie sich in ihrem Selbstverständnis als moderne Menschen zutiefst verletzt.