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Zeit und Geschichte

Unpiqd: Eine Hochschule entscheidet sich für die Kunst

Achim Engelberg
Dr. phil.
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Achim EngelbergMittwoch, 24.01.2018
Die Sprache bringt es an den Tag: Die Verlogenheit und Dummheit der Mehrheit des akademischen Senats der Alice Salomon Hochschule. In Wahrheit heißt das: Ein Gedicht von Eugen Gomringer soll im Herbst dieses Jahres übermalt werden.

Nahezu alle Medien kritisierten den Beschluss. Die Kulturstaatsministerin Monika Grütters nannte die Entscheidung treffend

einen erschreckender Akt der Kulturbarbarei.

Was bei den mir bekannten Beiträgen vergessen wurde, brachte der Ehrenpräsident des deutschen PEN, Christoph Hein, bei einer Presseerklärung vor einigen Monaten auf den Punkt:

Wirklich skandalös an diesem barbarischen Schwachsinn eines AStA ist: Die Alice-Salomon-Hochschule Berlin ist eine Fachhochschule mit den Schwerpunkten Erziehung und Bildung, d.h. diese Kulturstürmer werden einst den Nachwuchs ausbilden. Uwe Bettig, der Rektor der Alice-Salomon-Hochschule Berlin, hält das Gedicht und die Anbringung auf der Fassade zwar für ein gelungenes Kunstwerk, will aber ‚die kritischen Stimmen der Studierenden ernst nehmen und diesen Rechnung tragen‘. Herr Bettig hat als Rektor einer Hochschule für Erziehung und Bildung einen gesellschaftlichen Auftrag: Er hat den Studierenden etwas von Erziehung und Bildung zu vermitteln und nicht deren unerzogene Unbildung zu respektieren. Er hat die Erzieher von morgen auszubilden und nicht deren Kultur- und Bildungsferne ernst zu nehmen und gar ihr zu folgen.“

Hier liegt tatsächlich der weiterreichende Skandal: Dieser Fehler, den die AStA als ihren Erfolg werten kann, ermöglicht Langzeitfolgen. Die Erzieher von morgen können es den Schüler von morgen als Beispiel weiter vermitteln. Gleichzeitig sind Nachfolgeschandtaten wahrscheinlich.

Wie weiter? Es wird schwierig, die Hochschule so umzusteuern, dass sie ihrem gesellschaftlichen Auftrag wieder gerecht wird.

Gleichzeitig könnte dieser Akt als Einfallstor rechter Politiker genutzt werden. Die Dichterin Nora Gomringer, Tochter des diskriminierten Dichters Eugen Gomringer, schrieb dazu:

Auf einmal klopfen mir, der Feministin Gomringer, AfD-Fraktionsmitglieder auf die Schulter, augenzwinkernd quasi, mir ein „diesen Feministinnen muss man doch einen Strich durch die Rechnung machen“ mitgebend.

https://www.welt.de/kultur/literarischewelt/article172804585/Nora-Gomringer-ueber-das-Entfernen-von-Avenidas.html

Und wer den Link zu ihrem Artikel geöffnet hat, weiß, was sie jetzt macht. Das könnte bei Studenten ankommen. Oder?

Nachtrag vom 25. Januar:

Dieser Blick von außen ist nicht erfreulich, aber erhellend:

Die Deutschen sind Meister in der Erinnerungskultur, das kommt auch bei der Avenidas-Fassade gut zum Ausdruck. Das Vergangene wird gelöscht, um dann mit einer Tafel darauf hinzuweisen. Dieser Vorgang entspricht der deutschen Hauptstadt: Berlin ist eine Stadt ohne Tradition, es ist eine Stadt der Erinnerung.

Hier gibt es den ganzen Artikel, der auch das Gedicht in Deutsch und Spanisch enthält:

https://www.nzz.ch/feuilleton/adios-avenidas-oder-weshalb-sich-berliner-durch-poesie-sexuell-belaestigt-fuehlen-ld.1350865

Unpiqd: Eine Hochschule entscheidet sich für die Kunst

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Kommentare 6
  1. Moritz Hoffmann
    Moritz Hoffmann · vor 6 Jahren

    Ich finde es frappierend, dass die Entrüstung jetzt kommt, wo eine Hochschule in demokratischer Willensentscheidung beschließt, ihre Fassade zu verändern. Eine Empörung, ein Austausch mit Argumente, als der AStA erstmals auf das (seiner Meinung nach) Problem aufmerksam machte, wäre da deutlich glaubwürdiger gewesen.

    Ganz davon abgesehen, dass dieses Gedicht natürlich nicht Geschichte ist, sondern schlicht ein ziemlich neuer Aufdruck auf einer Wand. Es hat dort natürlich keine Tradition, es wird auch nichts zensiert. Eine Hochschule darf mit ihrer Wand hoffentlich tun was sie will.

    Ich kenne ja auch niemanden, der das Gedicht verbrennen will. Aber dass man auf seiner eigenen Schule keine Aufzählung der Art "Kühe, Schweine, Piqer" haben möchte, kann ich zumindest grob nachvollziehen.

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 6 Jahren

      Gleich am Anfang gab es Versuche, unter anderem vom PEN-Zentrum und vom Haus der Poesie, die aber nicht das große Medienecho erhielten. Offensichtlich dachte man, das kommt nicht durch. So ungebildet kann kein akademischer Senat sein.

      Als ich die Presseerklärung der Hochschule bekam, dachte ich zuerst, dass das Gedicht bleibt. Wahrscheinlich hat diese Verlogenheit auch andere aufgebracht - und das sogar international.

      Dass die Kulturstaatsministerin von "Kulturbarbarei" spricht, was ich in Bezug auf eine deutsche Hochschule noch nie von ihr oder einem ihrer Vorgänger hörte, kann ich mir nur durch dieses Erschrecken erklären.

      Oder siehst Du eine andere Möglichkeit?

  2. Nils Pickert
    Nils Pickert · vor 6 Jahren

    Lieber Achim,
    danke für den piq, ich finde das in der Tat auch hochproblematisch. Allerdings finde ich es bei all dem Ärger und der Absurdität dieser Posse doch auch bemerkenswert, dass niemand die Meinungs- und Handlungsfreiheit der Hochschule anspricht. Nora Gomringer schreibt:
    "Ein Gedicht ist vor sechs Jahren auf einer Wand aufgetaucht, weil es sich jemand dahingewünscht hatte."
    Jetzt wünscht sich die Mehrheit des verantwortlichen Gremiums das weg. Mir persönlich passt das nicht, ich finde die Begründung überzogen und deplaziert, aber ist das nicht genauso legitim wie sich dieses Gedicht dorthin zu wünschen?
    LG
    Nils

    1. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 6 Jahren

      Lieber Nils,
      natürlich ist es eine Posse. Allerdings verdeutlicht die absurde Erklärung, dass der jetzige akademische Senat diese Meinungs- und Handlungsfreiheit nicht nutzen kann. Allein die Überschrift ist erhellend. Es begann mit einer Lüge und soll mit einer Lüge enden.
      Deshalb verrät die Posse einiges - über die Studierenden wie die Lehrenden.
      In der Vergangenheit gab es Studentenproteste gegen alte Kunst, in der man sich Neues wünschte. Das gibt es hier nicht, sondern man will irgend was weg. Es begann mit einer Verleumdung und soll nun in einem bürokratischer Vorgang enden, der einen literarischen Wanderzirkus für Kunst ohne Stachel einrichten soll. Das erinnert mich an den Witz: Was ist ein Kamel? Ein von einem Gremium entworfenes Pferd.
      Die von der gesamten Hochschule demonstrierte Kunstferne kann jedenfalls Auswirkungen haben. Deshalb gab es ja die vielen Äußerungen aus der ich die von Christoph Hein auswählte, der die gesellschaftliche Dimension verdeutlicht. In der Tat, kann es Nachahmer geben und wir haben es mit Lehrern von morgen zu tun. Gleichzeitig geschieht es in einer Zeit, in der Personen aus Filmen herausgeschnitten werden oder das gefordert wird. LG Achim

    2. Nils Pickert
      Nils Pickert · vor 6 Jahren

      @Achim Engelberg nochmal: Du musst mich wirklich nicht davon überzeugen, diese Vorgehensweise abzulehnen. In vielen zentralen Punkten teile ich die Einschätzung der Kritiker*innen. Ich finde es trotzdem darüber hinaus befremdlich, mit welcher Selbstverständlichkeit eine bislang eher indifferente Öffentlichkeit Anspruch auf den Verbleib dieses Gedichts erhebt. Du und ich, wir haben also ein Recht darauf, dass es dort stehen bleibt? Der Dichter hat es? Das Gedicht? Die Tatsache, dass das Axel Springer Gebäude gestern mit Gomringers Gedicht angestrahlt wurde, zeigt doch, dass umfassende Zensur diesbezüglich nicht existiert. Mir ist immer noch nicht klar, wieso die Hochschule nicht das Recht haben sollte, das Gedicht zu kritisieren, es zu entfernen und zu ersetzen. Niemand sagt oder sorgt dafür, dass es aus der Welt geschafft gehört. Die wollen es nur nicht auf ihrer Wand haben.

      Warum genau sollten die Verantwortlichen verpflichtet sein, das dort stehen zu lassen? Inwiefern wird der Meinungs- und Kunstfreiheit nur dann Genüge getan, wenn es dort verbleibt?
      LG
      Nils

    3. Achim Engelberg
      Achim Engelberg · vor 6 Jahren

      @Nils Pickert Der Grund für meinen Piq war, dass mir zu viel von Meinungs- und Kunstfreiheit geredet wurde und zu wenig über die gesellschaftliche Dimension. Die gab es - soweit ich es überblicken kann - nur am Rande, etwa in der zitierten Presseerklärung des PEN-Zentrums mit dem Text von Christoph Hein.
      Wenn die Lehrer von morgen nicht mehr befähigt werden, ein Kunstwerk wahrzunehmen und einordnen zu können, ist das gravierend.
      Das meine Einschätzung nicht ganz abwegig ist, sieht man darin, dass sich aus diesem Grund Thomas Wohlfahrt, Leiter des renommierten Hauses der Poesie, aus den Gremien der Hochschule zurückzog.

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