Ab dem Januar 1972 sollte der sogenannte "Radikalenerlass" dafür sorgen, dass echte oder vermeintliche Verfassungsfeinde aus dem Staatsdienst ferngehalten werden. 3,5 Millionen Anwärter:innen für den Staatsdienst wurden zwischen 1972 und Anfang der 1990er-Jahre überprüft, 1.500 abgewiesen oder entlassen – Lokführer:innen, Bademeister:innen, Postbot:innen oder Lehrer:innen. Der Journalist Heribert Prantl stellt fest, dass eine ganze Generation dem Staat entfremdet wurde.

Erzählt wird etwa die Geschichte des Lehrers Klaus Lipps, der wegen seiner Mitgliedschaft in der Kommunistischen Partei zweimal entlassen wird. Ähnlich ging es der Lehrerin Silvia Gingold. Die Tochter jüdischer Widerstandskämpfer und Kommunisten erhielt ebenfalls ein Berufsverbot. Die wahren Verfassungsfeinde seien anderswo, sagt Gingold. Und auch Winfried Kretschmann, heute Ministerpräsident Baden-Württembergs, konnte wegen Mitgliedschaften, die vom Verfassungsschutz als extremistisch eingestuft worden waren, nicht als Lehrer für Biologie, Chemie und Ethik arbeiten, sondern unterrichtete zunächst stattdessen an einer privaten Kosmetikschule in Stuttgart.

1995 stellt der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg fest, dass dieser Erlass ein Verstoß gegen die Meinungs- und Versammlungsfreiheit feststellte; Betroffene fordern noch immer Rehabilitierung und Entschädigungen.

Dass der "Radikalenerlass" aber noch immer nicht Geschichte ist, musste 2016 der Kommunikationswissenschaftler und Aktivist Kerem Schamberger feststellen. In Bayern soll seit 1991 stattdessen unter anderem mit dem Fragebogen zur "Prüfung der Verfassungstreue" ermittelt werden, ob eine Einstellung infrage kommt. Seine Mitgliedschaft bei der Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes und seine aktivistische Tätigkeit führten dazu, dass er zunächst eine Stelle an der Ludwig-Maximilians-Universität nicht antreten konnte.