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Volk und Wirtschaft

Sind die liberalen Demokratien auf der Siegerstraße?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlMontag, 22.11.2021

Eher nicht, sagt Anne Applebaum in "The Atlantic". Am Ende des 20. Jahrhunderts schienen die Demokratien wirtschaftlich, politisch und kulturell dominant zu werden. Selbst Russen und Chinesen sahen wohl eher dort ihre Zukunft. 

Am Anfang des Artikels wird nun am Beispiel der Geschichte von Belarus und der Oppositionspolitikerin Swjatlana Zichanouskaja geschildert, wie sich das Blatt zu wenden begann. Diese sehr eindrucksvolle Erzählung sieht man so und ähnlich in vielen autokratischer werdenden Staaten unserer Welt. Für mich besonders interessant ist die verallgemeinernde Analyse dieses globalen Prozesses. Wie die Angst der Mächtigen vor demokratischen Revolutionen in diesen Ländern umschlugen in eine Lernkurve zur Verhinderung progressiver Veränderungen.

At first, Lukashenko seemed to have no plan either. But his neighbors did. On August 18, a plane belonging to the FSB, the Russian security services, flew from Moscow to Minsk. ... Stephen Biegun, who was the U.S. deputy secretary of state at the time, describes the change as a shift to “more sophisticated, more controlled ways to repress the population.” Belarus became a textbook example of what the journalist William J. Dobson has called “the dictator’s learning curve”: Techniques that had been used successfully in the past to repress crowds in Russia were seamlessly transferred to Belarus, along with personnel who understood how to postgres them. Russian television journalists arrived to replace the Belarusian journalists who had gone on strike, and immediately stepped up the campaign to portray the demonstrations as the work of Americans and other foreign “enemies.” Russian police appear to have supplemented their Belarusian colleagues, or at least given them advice, and a policy of selective arrests began. 

Putin hatte die Erfahrung gemacht, dass man gar nicht große Massen einsperren muss, wenn es gelingt, die wenigen Aktivisten und Schlüsselpersonen zu isolieren, gegebenenfalls zu foltern und zu töten oder außer Landes zu treiben. Der Rest würde Angst bekommen bzw. irgendwann apathisch werden. Die Hoffnung auf Veränderung erlischt. Das Szenario erinnert durchaus an die russischen Aktivitäten zur Rettung des Assad-Regimes in Syrien – von den militärischen Aktionen mal abgesehen.

Um den Wirtschaftssanktionen des Westens zu begegnen und auch generell die Wirtschaft zu stärken, enthalten die Kooperationen zwischen den illiberalen Regimen zunehmend auch ökonomische Komponenten. 

The EU had already banned a range of people, companies, and technologies from Belarus; after the Ryanair kidnapping, the EU and the U.K. banned the Belarusian national airline as well. What was once a booming trade between Belarus and Europe has been reduced to a trickle. 

Und da sprangen russische Unternehmen ein und boten Märkte für belarussische Produkte an.

Man kann also beobachten, wie global informelle und sehr flexible Netzwerke aus Diktaturen, Autokratien oder Despotien entstehen. Verbunden durch Interesse an politischer und wirtschaftlicher Macht, ohne einengende Vertragsstrukturen und ungebunden von Werten oder Menschenrechten. Man verträgt sich und man schlägt sich auch, wenn möglich oder nötig. Entscheidungsprozesse können allerdings schneller ablaufen als in der regelbasierten Struktur der Europäischen Union. Applebaum warnt jedoch zu Recht davor, sich das Ganze wie einen naiven Cartoon vorzustellen:
All of us have in our minds a cartoon image of what an autocratic state looks like. There is a bad man at the top. He controls the police. The police threaten the people with violence. There are evil collaborators, and maybe some brave dissidents.
Die "modernen" Diktaturen werden nicht absolutistisch von einem Bösewicht geführt, sondern von komplexen nationalen und globalen Netzwerken,
composed of kleptocratic financial structures, security services (military, police, paramilitary groups, surveillance), and professional propagandists. The members of these networks are connected not only within a given country, but among many countries. The corrupt, state-controlled companies in one dictatorship do business with corrupt, state-controlled companies in another. The police in one country can arm, equip, and train the police in another. The propagandists share resources—the troll farms that promote one dictator’s propaganda can also be used to promote the propaganda of another—and themes, pounding home the same messages about the weakness of democracy and the evil of America.
Es gibt keine gemeinsame Ideologie, man findet dort radikale Sozialisten, Nationalisten oder Theokraten, kein Land allein führt diese Koalitionen. Und der Club tagt auch nicht im Geheimen. Er wirkt in UN-Organisationen, argumentiert dort mit dem Völkerrecht. Genau wie durch zwischenstaatliche oder wirtschaftliche Zweckbündnisse notfalls gegen Völker- und Menschenrecht:
Unlike military or political alliances from other times and places, the members of this group don’t operate like a bloc, but rather like an agglomeration of companies—call it Autocracy Inc. Their links are cemented not by ideals but by deals—deals designed to take the edge off Western economic boycotts, or to make them personally rich—which is why they can operate across geographical and historical lines.
Und so bleibt Belarus und Lukaschenko, vom Westen zum Paria erklärt, ein angesehenes und stabiles Mitglied von Autocracy Inc., gemeinsam mit Iran, Kuba, Nordkorea oder Venezuela. Die Mitglieder dieses Clubs sind immun gegen die Proklamation von Menschenrechten und universellen Werten. Es geht um Macht. Gegen diese Netzwerke und gegen brutale Gewalt haben die nationalen Oppositionen keine Chance. So wie der Westen offensichtlich kein Rezept dagegen hat. Militärisch fehlt Kraft und Konsequenz. Seine "Softpower" scheint nicht mehr durchzudringen. Wir sollten unsere Strategien überdenken.

Sind die liberalen Demokratien auf der Siegerstraße?

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Kommentare 2
  1. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor mehr als 2 Jahre

    Das ist wieder mal ein aufschlussreicher Essay von Anne Applebaum.

    Die Zusammenfassung/Teilübersetzung im Perlentaucher passt:

    Die Autokratien des 21. Jahrhunderts haben nichts mehr mit den Diktaturen des 20. Jahrhunderts gemein, schreibt Anne Applebaum in einem deprimierenden Ausblick auf das neue, erfolgreiche und sich ständig ausweitende Netzwerk von Pariah-Staaten: Belarus, China, Iran, Kuba, Russland, Venezuela, Myanmar, Syrien, Afghanistan, Saudi Arabien, Pakistan, die Türkei, Angola, Kasachstan, um nur ein paar zu nennen. "Heutzutage werden die Autokratien nicht mehr von einem Schurken geführt, sondern von ausgeklügelten Netzwerken aus kleptokratischen Finanzstrukturen, professionellen Propagandisten und Sicherheitsdiensten (Militär, Polizei, Paramilitärs, Überwachung). Die Mitglieder dieser Netzwerke sind nicht nur innerhalb eines Landes miteinander verbunden, sondern über mehrere Länder hinweg. Die korrupten, staatlich kontrollierten Unternehmen in der einen Diktatur machen Geschäfte mit den korrupten, staatlich kontrollierten Unternehmen in der anderen. Die Polizei in einem Land bewaffnet und trainiert die Polizei im anderen. Die Propagandisten teilen Ressourcen - die Trollfarmen - und Themen - dröhnende Botschaften über die Schwäche der Demokratie und das böse Amerika. Das heißt aber nicht, dass es einen supergeheimen Raum gibt, in dem sich die bösen Buben treffen wie in einem James-Bond-Film. Auch nicht, dass die neuen autokratischen Allianzen eine einheitliche Ideologie teilen. Unter den modernen Autokraten sind Leute, die sich selbst Kommunisten nennen, Nationalisten oder Theokraten. Diese Gruppe wird nicht von einem Land angeführt. Washington spricht zwar viel über den chinesischen Einfluss, aber was die Mitglieder in diesem Klub wirklich zusammenhält, ist das gemeinsame Verlangen, persönliche Macht und Reichtum zu sichern und zu vermehren. Anders als politische und militärische Allianzen früherer Zeiten, operieren die Ländern nicht als Block, sondern eher als ein Konglomerat von Firmen - man nenne wir es Autocracy Inc. Sie sind nicht durch Ideale verbunden, sondern durch Geschäfte - Geschäfte, die den westlichen Sanktionen die Schärfe nehmen sollen oder der persönlichen Bereicherung dienen." Fast genauso deprimierend findet Applebaum allerdings das Desinteresse des Westens, ausdrücklich auch der Linken, an diesen Ländern und ihren Oppositionsbewegungen.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 2 Jahre

      Ja, da kommt noch was auf uns zu. Und wir haben - so glaub ich - kein Rezept. Ich seh jedenfalls keins. Mit "gendern" werden wir die Typen nicht beeindrucken.

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