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Volk und Wirtschaft

Mehr Home-Office ermöglichen: Mit Ermahnungen oder Rechtspflichten?

Michael Hirsch
Philosoph und Politikwissenschaftler, freier Autor und Dozent
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Michael HirschMontag, 18.01.2021

Das Home-Office steht seit einiger Zeit im Mittelpunkt der Debatten über Arbeitsgesundheit und Infektionsschutz. Gab es über Monate eine fast groteske Fokussierung auf private Ansteckungen und eine Unterbelichtung des Infektionsherdes Arbeitsplatz (mitsamt des Fahrtwegs zum Arbeitsplatz), so steht er nun im Zentrum der öffentlichen Aufmerksamkeit. Letzte Woche forderten prominente Grünen-Politiker eine Homeoffice-Pflicht, und vor ein paar Tagen ermahnte nun auch der Bundespräsident alle Arbeitgeber dazu, wo immer möglich den Beschäftigten das Arbeiten zu Hause zu ermöglichen.

Der Leitartikel im Wirtschaftsteil der Süddeutschen Zeitung vom vergangenen Mittwoch steht stellvertretend für die liberale Position in der Debatte: "Bitte ohne Zwang!" Wie auch bei anderen kontroversen Themen wie der Frauenquote lautet das liberale Credo: Freiwillige Vereinbarungen im Einzelfall anstatt allgemeine gesetzliche Regelungen mit Sanktionsmöglichkeiten. Das klingt so:

Eine gesetzlich verordnete Pflicht zum Home-Office wäre ein Affront, weil der Staat die bisherigen Bemühungen von Arbeitgebern und Arbeitnehmern nicht zur Kenntnis nehmen würde. Und es wäre ein massiver Eingriff in die Selbstbestimmungsrechte von Firmen und Beschäftigten. Nicht jeder Arbeitnehmer, nicht jede Arbeitnehmerin hat die Möglichkeit, von daheim aus zu arbeiten.

Bemerkenswert an dieser Argumentation ist, dass sie zwar auf der einen Seite die Eigenart gesetzlicher Eingriffe, das scharfe Schwert von Zwang und Verbot beleuchtet - auf der anderen Seite aber die Machtkonstellation im Dreieck von Staat, Kapital und Arbeit völlig unterbelichtet. Denn es wird verkannt, dass die entscheidende Frage bei allen tarif- und arbeitsrechtlichen Regelungen immer die ist:

Wessen Rechte werden hier jeweils gegen wessen andere Rechte beschränkt, geschützt und ermächtigt? Geht es darum, dass diejenigen, die von zu Hause aus arbeiten wollen, dies auch tun können (das heißt diesen Wunsch im konkreten Fall also gegen die Wünsche von Kollegen, Chefs und Arbeitgebern durchsetzen können)? Oder um ihr Recht, sich gegen die Anordnung von Home-Office durch Chefs zu wehren und weiter am Arbeitsplatz tätig zu sein? Oder geht es um das Recht der Arbeitgeber, Beschäftigte gegen deren Willen zum Home-Office zu zwingen? Auf diesen Konflikt verengt der Artikel die Kontroverse, und postuliert im Namen der individuellen Freiheit:

Wer nicht zu Hause arbeiten will, hat das Recht auf einen Arbeitsplatz in der Firma.

Diese Argumentation ist typisch für den liberalen Missbrauch der Begriffe Freiheit und Selbstbestimmung, die im Zweifelsfall immer die unternehmerische Freiheit schützen (welche eben ohne gesetzliche Regelungen gerade in kleineren Betrieben ziemlich unbegrenzt ist und oftmals die Beschäftigten erpresst).

Nur aber wenn die Frage nach dem Home-Office in einen größeren Zusammenhang gestellt wird, und sowohl die Machtkonstellation "am Arbeitsplatz", zwischen Kapital (oder staatlichem Arbeitgeber) und Arbeit, als auch diejenige "zu Hause", zwischen Männern und Frauen einbezieht, werden wir das Recht auf Home-Office auf eine fortschrittliche Weise forcieren können. - Auf eine Weise, die den Einzelnen tatsächliche Freiheiten in ihrem konkreten Lebensalltag ermöglicht, anstatt ihnen im Zeitalter von Multi-Tasking und pandemiebedingtem Home-Schooling noch weitere Arbeiten aufzuhalsen. 

Ohne die Perspektive der Geschlechtergerechtigkeit kann diese Debatte nicht geführt werden, wie auch im Interview mit Jutta Allmendinger in der letzten Ausgabe des Freitag deutlich wird.


Mehr Home-Office ermöglichen: Mit Ermahnungen oder Rechtspflichten?

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Kommentare 9
  1. Georg Wallwitz
    Georg Wallwitz · vor mehr als 3 Jahre

    Leider habe ich das Anliegen des Piqs nicht verstanden. Das liegt vielleicht daran, dass ich das "Kapital" (warum kann man nicht sagen: Arbeitgeber? Klingt wahrscheinlich zu nett für so etwas Unappetitliches) in einem kleinen Unternehmen bin, und damit vermutlich meine Angestellten "erpresse".
    Also: Wie soll es denn nun gehandhabt werden mit dem Homeoffice?

    1. Frank Schmidtsdorff
      Frank Schmidtsdorff · vor mehr als 3 Jahre

      Wenn ich es richtig verstehe, wird hier die Freiheit des Einzelnen gegen die Entscheidungen von Unternehmensleitungen verteidigt bzw. die Entwicklung von Rechtsgrundsätzen angeregt, die die Freiheit des Einzelnen als Arbeitnehmer in den Vordergrund stellen. Wenn ich es so aufschreibe, wird es natürlich kompliziert, denn was ist mit der Freiheit derer, die gar keine Wahl haben, können sie ihre Arbeit doch nur "vor Ort" ausüben. Aber diese Frage stellt sich aktuell wiederum anders, denn es geht um die massive Reduktion von Kontakten (auf 5-6 am Tag) und den Beitrag, den Unternehmen hierbei leisten. Was ich vermisse, sind die Vorschläge der Unternehmen hierzu: Ich höre immer nur Ablehnung und den Wunsch nach finanzieller Unterstützung. Während ich den zweiten Teil verstehe, verstehe ich den ersten allerdings überhaupt nicht. Was ist der wirksame Beitrag der bzw. sehr vieler Unternehmen und Verwaltungen im Gesundheitsschutz (jetzt habe ich mich vom Artikel vollkommen entfernt, Pardon...).

    2. Georg Wallwitz
      Georg Wallwitz · vor mehr als 3 Jahre

      @Frank Schmidtsdorff ... also als Arbeitgeber hat man ja grundsätzlich ein Interesse daran, dass die Gesundheit der Mitarbeiter gut ist. Ich kenne auch keine Betriebe (im wesentlichen aus der Tech- und Finanzbranche, wo Home Office am einfachsten umzusetzen ist - also keine repräsentative Stichprobe), wo die Mitarbeiter gezwungen werden, ins Büro zu kommen, obwohl Home Office möglich ist. Allerdings kenne ich Arbeitnehmer, die ins Büro kommen wollen, weil ihnen Home Office auf den Geist geht. Das lässt dann der Arbeitgeber aber nur zu, wenn die Bedingungen es hergeben, wenn also nicht die ganze Belegschaft sich ansteckt. Das ist, denke ich, die Praxis.
      Was ist in den Betrieben, wo Anwesenheit unvermeidlich ist (Handwerk, Teile des Produzierenden Gewerbes)? Soll der Staat diese Betriebe schließen? Und soll er den Mitarbeitern, die nicht ins Home Office gehen, obwohl sie könnten, das Home Office vorschreiben? Das sind wohl die beiden Fälle, um die es geht.
      Kann man machen. Aber was bringt es? Wir können uns nicht abschotten wie China. Das Virus wird, selbst wenn wir es in einem heroischen Quarantäne-Akt ausrotten, bald wieder über die Grenzen zu uns kommen. Und da wohl die meisten Ansteckungen im privaten Bereich geschehen, müsste man, damit die Maßnahme etwas bringt (und nicht nur viele Existenzen kostet), auch dort radikal durchgreifen: In den Wohnungen kontrollieren, Wohnbezirke mit Infizierten abriegeln etc.
      Diesen Eingriff in die Freiheit scheut der Staat (zu Recht). So lange er das tut, kann er sich aber viel Geld sparen, indem er die Entscheidung über Home Office oder, wo dies nicht möglich ist, Betriebsschließungen den Leuten vor Ort überlässt.

    3. Maximilian Rosch
      Maximilian Rosch · vor mehr als 3 Jahre

      @Georg Wallwitz DIE ZEIT hatte vor kurzem bei ihren LeserInnen ein Stimmungsbild eingefangen, das hier empfohlen wurde: https://www.piqd.de/re... In vielen Bereichen scheint es durchaus so etwas wie einen Zwang zur Präsenzarbeit zu geben, trotz der Bitten aus der Politik, Heimarbeit zu ermöglichen.

    4. Georg Wallwitz
      Georg Wallwitz · vor mehr als 3 Jahre

      @Maximilian Rosch Zunächst einmal besteht auch der Staat teilweise auf Präsenz. Etwa konnte ich mir ein Führungszeugnis in der letzten Woche nicht zuschicken lassen, sondern musste es im KVR persönlich abholen, bei einem persönlich anwesenden Mitarbeiter.
      Es scheint Funktionen zu geben, bei denen Anwesenheit unerlässlich ist.
      Was die ganze Diskussion etwas komisch macht ist der Umstand, dass bis die Juristen herausgefunden haben, wie man das reguliert und welche Ausnahmegenehmigung wann von wem vergeben werden und wie lange sie für wen gelten, die Pandemie tatsächlich unter Kontrolle und vorbei ist. Das Leben ist zu bunt und daher halte ich die Diskussion für irrelevant. Ich gehe davon aus, dass 90% des Home Office Potenzials ausgeschöpft ist (ich habe noch von niemandem im erweiterten Bekanntenkreis gehört, der ins Büro gezwungen wurde oder jemanden dorthin gezwungen hat - ich habe nur in aufgeregten Medien darüber gelesen). Daher ist die Debatte obsolet, denn die restlichen 10% werden die Juristen des Arbeitsministers auch nicht erwischen.

    5. Maximilian Rosch
      Maximilian Rosch · vor mehr als 3 Jahre

      @Georg Wallwitz Ich muss dir bzgl. der Ausschöpfung des Potenzials des Home Office tatsächlich widersprechen. Die Zahlen, die ich dazu im Hinterkopf hatte, stammen von der Hans Böckler Stifung: https://www.boeckler.d...
      Demnach waren im vergangenen Frühjahr fast 30% aus dem Home Office, im November 2020 war es nur die Hälfte.
      Aus meinem Umfeld weiß ich von einigen Menschen, die mangels Alternativen ins Büro müssen, etwa weil die technische Ausstattung, die sie benötigen würden um von zuhause zu arbeiten, nicht zur Verfügung gestellt hatte. Oder die auf Abstand, Maske&Co achten, aber dann im Team gemeinsam Mittag essen. Von einem Zwang habe ich persönlich noch nichts gehört, es scheint aber auch solche Fälle zu geben. Deshalb oben mein Verweis auf die Recherche bei ZEIT ONLINE, bei der sich über eintausend LeserInnen bei den Journalistinnen gemeldet haben. Ich bin durchaus der Ansicht, dass es ArbeitnehmerInnen leichter gemacht werden sollte, von zuhause aus zu arbeiten. Die Bürokratie für die Regelung sehe ich aber auch als Problem. Aber es bedarf offensichtlich einer Regelung, denn sonst hätten wir die Lage vermutlich besser im Griff.
      Zum Schluss noch ein Rant von Vice-Redakteur Robert Hofmann https://twitter.com/xi...

    6. Georg Wallwitz
      Georg Wallwitz · vor mehr als 3 Jahre

      @Maximilian Rosch Nix gegen die Hans Böckler Stiftung, aber das ist die Gewerkschaft. Und da ist irgendwie klar, was dabei rauskommt. Es gibt genügend Studien, die etwas anderes besagen, die aber zugegebenermaßen außerhalb der Gewerkschaftsbund-Blase entstanden sind. Also die Gewerkschaften kommen auf 14% Home Office im November, Bitcom kommt auf 25% für etwa denselben Zeitraum.
      https://www.bitkom.org...
      Im Kern haben Arbeitgeber („Kapital“) die Befürchtung, dass die Produktivität sinkt im Home Office, weil die Arbeitnehmer nebenher nicht nur die Kinder betreuen, sondern auch den Rasen mähen oder in den Baumarkt gehen. Völlig unbegründet? Und die andere Befürchtung ist, dass die Kreativität leidet, wenn die Menschen nur noch über den Bildschirm interagieren. Auch das halte ich für bedenkenswert.
      https://www.ft.com/con...
      Die Arbeitswelt ordnet sich gerade neu. Arbeitgeber, die kein Home Office anbieten, werden in Zukunft keine guten Mitarbeiter mehr finden. Es gehört einfach dazu. Und Arbeitnehmer, die, wie Deine Freunde, sich gezwungen fühlen, ins Büro zu kommen, obwohl es auch anders geht, sollten sich auf dem Arbeitsmarkt umsehen. (Und, nebenbei, wenn sie nicht in der Lage sind, beim Mittagessen Nein zu sagen, müssen sie vielleicht auch mal an der eigenen Einstellung arbeiten.)
      Für den aktuellen Fall bleibe ich dabei: Bis die Regulierung greift und vor Gericht geklärt ist, was als Begründung für Homeofficeverweigerung ausreicht, sind wir alle geimpft. Es handelt sich also eher um eine Geschichte, für die ich in meiner Eigenschaft als „Kapital“ mich nicht sehr interessiere.
      Und schließlich noch zum Rant: Sorry, nicht mein Niveau. Ich kann das weder lustig noch informativ finden. Bringt mich nicht weiter.

    7. Michael Hirsch
      Michael Hirsch · vor mehr als 3 Jahre

      @Georg Wallwitz Wenn es keine Interessenkonflikte zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern gäbe (im übrigen ganz gleich ob private, kommunlae oder staatliche!), gäbe es kein politisches Regelungsproblem. Dann bräuchten wir auch keine arbeitsrechtlichen und arbeitschutzrechtlichen Gesetze. Daher stimme ich Maximilian Rosch zu.
      Ich verstehe auch nicht, warum Georg Wallwitz derart arrogant reagiert. Genauso wie es Konflikte zwischen Kapital und Arbeit gibt, so gibt es Meinungsverschiedenheiten zwischen unternehmernahen und gewerkschafstnahen Sichtweisen und Studien. Und hier muss eben demokratische Politik entscheiden, welche Sicht der Dinge wir für die richtige halten, und einen Kompromiss finden. Das Diffamieren des Gewerkschafststandpunkts stammt hier doch eher aus der Mottenkiste der wirschafts- und sozialpolitischen Rechten.

    8. Georg Wallwitz
      Georg Wallwitz · vor 3 Jahren · bearbeitet vor 3 Jahren

      @Michael Hirsch Klar, persönliche Angriffe helfen da sehr viel besser und weiter.
      Mir ging es um die Sache, aber da bekomme ich keine Antwort, außer der abstrakten Überlegung, es müsse einen Konflikt geben, also gebe es ihn auch.
      Ich habe gesagt, es gibt ihn, aber er ist zu unbedeutend, um sich darüber viele Gedanken zu machen.
      Klar, das ist total arrogant, so etwas zu sagen. Scheusslich!
      Und auf den Rant bin ich nicht eingegangen, weil da dann tatsächlich der Oberlehrer herauskommt. Denn die Behauptung, 1% mehr Homeoffice würde eine Reduktion der Ansteckungen um 8% bedeuten, kann so nicht stimmen. Das geht mathematisch nicht auf.

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