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Volk und Wirtschaft

Gewinnt China Lateinamerika für sich?

Project Syndicate
The World's Opinion Page
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Project SyndicateSonntag, 14.08.2022

Wir veröffentlichen regelmäßig Übersetzungen ausgewählter Meinungsstücke von Project Syndicate.

Während der Westen Lateinamerika weitgehend ignorierte oder versuchte, die Region zu zwingen, sich seinem Willen zu beugen, hat China den regionalen Akteuren enorme Vorteile angeboten, ohne Bedingungen zu stellen (zumindest nicht im Voraus). Wenn die USA und Europa ihren Kurs nicht ändern, könnten sie am Ende eine wichtige Region verlieren – und den neuen Kalten Krieg.

Ana Palacio, ehemalige spanische Außenministerin sowie ehemalige Vizepräsidentin und Beraterin der Weltbank, ist Gastdozentin an der Georgetown University.

MADRID – Verliert der Westen Lateinamerika? Bereits während des Kalten Krieges wurde diese Frage in Washington und anderswo fieberhaft diskutiert. Und heute, wo der Wettbewerb und die Einflusssphären der Großmächte zurückkehren, gewinnt dieses Thema erneut an Bedeutung. Dazu trägt auch die jüngste Welle linker Wahlsiege in der Region bei.

Die bedrohliche Aussicht auf heiße Konflikte mit autoritären Regimes wie Russland oder China zeigt dem Westen heute erneut, wie wichtig Lateinamerika als Partnerregion ist. Unterdessen sind die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten mit dem Krieg in der Ukraine beschäftigt – und nicht zuletzt mit den Folgen für die Energiemärkte und den wirtschaftlichen Wohlstand.

Zusätzlich erschwert wird ein effektives Engagement in Lateinamerika durch die unruhige politische Lage dort. Obwohl die Region bereits seit langem von Korruption, Ungleichheit und Vertrauenskrisen geplagt wird, hatte sie in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte gemacht. Zur politischen Stabilisierung trug auch die verringerte Armut bei – was häufig durch rohstofffinanzierte sozialpolitische Experimente erreicht wurde.

Aber die Pandemie hat diesen Prozess unterbrochen und zu wirtschaftlichen Problemen und politischer Instabilität geführt. Das traditionelle Parteisystem Lateinamerikas ist jetzt kollabiert, und die Region scheint sich fest im Griff von Populismus und Polarisierung zu befinden.

Fünf der sechs bevölkerungsreichsten südamerikanischen Staaten werden nun von linksgerichteten Regierungen angeführt, die aber aus einem völlig anderen Holz geschnitzt sind als die Regimes in Kuba oder Venezuela. Pedro Castillo, der peruanische Staatschef, bezeichnet sich selbst als Marxist. In Chile – das einst die Bastion liberaler Marktpolitik in der Region war – ist nun der Linksaktivist Gabriel Boric an der Macht. Kolumbien, das seit langem als Frühindikator politischer Strömungen in der Region gilt, hat kürzlich den ehemaligen Guerillero Gustavo Petro zum Präsidenten gewählt. Und Brasilien, das bevölkerungsreichste Land und die größte Volkswirtschaft der Region, könnte nach der Präsidentschaftswahl im Oktober durchaus dem Beispiel seiner Nachbarn folgen.

Unterdessen häufen sich die Anzeichen dafür, dass der Einfluss des Westens in Lateinamerika weiter schwindet: Auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen im letzten Februar haben sich fünf lateinamerikanische Länder geweigert, Russlands Invasion in der Ukraine zu verurteilen (Bolivien, Kuba, El Salvador und Nicaragua enthielten sich, und Venezuela hat nicht an der Wahl teilgenommen). Und viele Regierungen dort haben sich auch nicht den westlichen Sanktionen gegen Russland angeschlossen. Dies hat zu Spekulationen darüber geführt, dass die Region erneut eine Blockfreiheit im Stil des Kalten Krieges anstreben könnte.

Darüber hinaus hatten einige lateinamerikanische Staatschefs – wie der mexikanische Präsident Andrés Manuel López Obrador und der bolivianische Präsident Luis Arce – geschworen, den Amerika-Gipfel im letzten Monat zu boykottieren, wenn ihre kubanischen, venezolanischen und nicaraguanischen Kollegen ausgeschlossen würden. Ein gescheiterter Gipfel – und damit eine große Blamage für die Regierung von US-Präsident Joe Biden – schien durchaus möglich.

Das Treffen wurde letztlich gerettet. Aber sein Ergebnis – eine Pro-Forma-Erklärung über Migration und eine ziemlich zahnlose Amerikanische Partnerschaft für wirtschaftlichen Wohlstand – war nicht sehr beeindruckend. Darüber hinaus machte Obrador seine Drohung wahr, nicht zu erscheinen, und Bolivien, El Salvador, Guatemala und Honduras schickten nicht ihre Staats- oder Regierungschefs, sondern lediglich Minister. Das Treffen mag zwar kein Debakel gewesen sein, aber es wird in der Region auch keine dauerhaften Eindrücke hinterlassen.

Dies spiegelt nicht nur die politischen Entwicklungen in Lateinamerika wider, sondern auch das Scheitern des Westens. Obwohl Biden die Region nicht so stark ablehnt wie sein Vorgänger Donald Trump, konnte seine Regierung ihr gegenüber keine effektive Politik entwickeln. Die lateinamerikanischen Länder sind über Bidens offensichtliche Gleichgültigkeit frustriert, ebenso wie über seine Bereitschaft, seine Politik von innenpolitischen Erwägungen leiten zu lassen – darunter den bevorstehenden Zwischenwahlen und der Politik von Bundesstaaten mit großen lateinamerikanischen Wählergruppen wie Florida.

Auch Europa hat es nicht besser gemacht. Seit die Europäische Union „im Prinzip“ einem Freihandelsabkommen mit den Mercosur-Ländern – das noch ratifiziert werden muss – zugestimmt hat, ist ihr Ansatz gegenüber Lateinamerika von Gleichgültigkeit geprägt. Der EU ist es nicht gelungen, eine effektive Pandemiediplomatie zu führen, und nun konzentriert sie sich völlig auf den Krieg in der Ukraine und darauf, ihre Sicherheit zu verbessern und sich von russischer Energie unabhängig zu machen.

China weitet seinen Einfluss in Lateinamerika unterdessen aus: Zwischen 2002 und 2021 ging der Gesamthandel des Landes mit der Region durch die Decke – von 18 Milliarden auf fast 449 Milliarden Dollar. Geht das so weiter, werden 2035 die 700 Milliarden überschritten. Diese Steigerung geht teilweise auf das Konto von Freihandelsabkommen mit Chile, Costa Rica und Peru. Außerdem arbeitet China an einem Abkommen mit Ecuador und hat 21 lateinamerikanische Länder an seiner Neuen Seidenstraße beteiligt.

Dies hat China erreicht, indem es im Handels- und Investitionsbereich viele Vergünstigungen bot, ohne Bedingungen zu stellen. Laut einem Kommentar ist Amerikas Umgang mit Lateinamerika durch eine Art Vatikanstil bestimmt – mit vielen Regeln und Bedingungen von Anfang an – während China andere Länder auf die leichte Art der mormonischen Missionare willkommen heißt. Dies bedeutet nicht, dass China keine Forderungen stellt, aber dies stellt sich erst später heraus, häufig in Form versteckter Klauseln. Wenn diese ans Licht kommen, hat China dann bereits eine solide Präsenz in der Region – einschließlich einer wachsenden Militärpräsenz.

Wie schon während des Kalten Kriegs kann es sich der Westen auch heute nicht leisten, Lateinamerika zu verlieren. Als wichtiger Produzent von Treibstoff und Nahrungsmitteln kann die Region bedeutende Lücken in den Angebotsketten schließen. Darüber hinaus muss der Westen, wenn er die regelbasierte internationale Ordnung revitalisieren will, gemeinsam mit seinen Partnern und Verbündeten eine Art kritische Masse erreichen – einschließlich Lateinamerika.

Deshalb muss der Westen dringend daran arbeiten, sein verlorenes Vertrauen in der Region wieder aufzubauen. Dies benötigt Zeit, Engagement und diplomatische Bemühungen. Zuerst sollten die USA und Europa bei gemeinsamen Interessengebieten wie Klimawandel, Gesundheit und Migration eine Zusammenarbeit aufbauen. Die bevorstehende spanische Präsidentschaft im EU-Rat bietet dafür eine wichtige Gelegenheit. Auf jeden Fall müssen in den kommenden Monaten Schritte unternommen werden.

Im polarisierten politischen Klima, das in großen Teilen des Westens vorherrscht, wird es nicht leicht sein, die Beziehungen mit Lateinamerika wiederzubeleben. Aber wenn der Einsatz so hoch ist wie heute, können wir es uns nicht leisten, die Hände in den Schoß zu legen.

Aus dem Englischen von Harald Eckhoff

Gewinnt China Lateinamerika für sich?

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Kommentare 3
  1. Dominik Lenné
    Dominik Lenné · vor mehr als ein Jahr

    Wegen ihres imperialistischen Gebarens in der Vergangenheit werden es die USA noch lange schwer haben in der Region. "Schuld eigene", kann man da nur sagen. Dass diese Länder linke Regierungen gewählt haben, bedeutet noch nicht, dass sie auf die Seite Chinas wechseln werden, sondern kann tatsächlich auch ein Zeichen von Stabilisierung statt Destabilisierung sein. Die Handelsbeziehungen zu China sehen aus wie typische neokoloniale Handelsbeziehungen:
    "Latin American exports to China are mainly soybeans, copper, petroleum, oil, and other raw materials that the country needs to drive its industrial development. In return, the region mostly imports higher-value-added manufactured products, a trade some experts say has undercut local industries with cheaper Chinese goods."
    (Als Anmerkung: Sowohl der Soja-, als auch der Fleischimport Chinas sind bedeutende Treiber der Entwaldung in Brasilien.)
    Das wäre eine natürliche Entwicklung, insofern der industrielle "Drive" Chinas wesentlich ausgeprägter ist als der Lateinamerikas. Probleme entstehen dadurch, dass es eine Verschränkung von geopolitischem Einfluss und wirtschaftlicher Verflechtung gibt - die ja auch für die USA nichts Unbekanntes ist.
    Der Einfluss der EU wird immer begrenzt bleiben, schätze ich. Teilweise liegt das daran, dass unsere Umweltanforderungen gegen starke Interessen in den LA-Ländern laufen, wie beim Mercosur-Abkommen. China scheint da umweltmäßig skrupelloser zu sein.
    (https://www.cfr.org/ba....)

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als ein Jahr

      Ja, und wenn ich an Venezuela oder Nicaragua denke, dann frage ich mich, bleibt es dabei, dass die Linken heute aus anderm Holz sind? Immer wieder sind Linke an der Macht in Richtung Autoritarismus abgetriftet - leider? Fast zwangsläufig, wenn sich die versprochenen Verbesserungen nicht einstellten.

  2. Achim Engelberg
    Achim Engelberg · vor mehr als ein Jahr

    Das ist sehr überzeugend. Ähnliches - nicht Gleiches! - gilt für und in den Ländern Aftikas.
    Wie die USA sich abschotten, kann man hier lesen, hören und sehen: https://www.piqd.de/us...
    Eine schreckliche Variation stellt das Mittelmeer als gefährlichste Grenzregion der Welt dar.

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