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Bürger:innenräte: Alles muss man selber machen

transform Magazin
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transform MagazinDienstag, 08.03.2022

Bürger:innenräte erfreuen sich bei den unterschiedlichsten Menschen großer Beliebtheit. Was können sie, was nicht? transform hat bei Ilan Siebert, Mitgründer von ›Es geht los‹, nachgehakt.

Die westlichen Demokratien stehen zur Zeit massiv unter Druck. Das liegt an der Beförderung von Populismus durch unser mediales System und an Wahlen, als wichtigstes demokratisches Verfahren«, so Ilan Siebert, Mitgründer des Vereins ›Es geht los‹. Demokratien eine Krise zu bescheinigen und diese auf Populismus und Echokammern zurückzuführen, das machen viele. Wahlen allerdings als eine Wurzel des Problems zu beschreiben, das machen sonst im progressiven Spektrum höchstens Anarchist:innen. Siebert ist kein Anarchist, sagt aber: »Es gibt keine Orte, wo wir als Gesellschaft zusammenkommen und grundlegende Fragen oder Probleme diskutieren, so etwas wie Abtreibung, Tempolimits oder Klimaschutz-maßnahmen.« Diese Themen werden durchaus intensiv im Bundestag und an Küchentischen diskutiert, doch das reicht ihm nicht. »Wir brauchen Diskussionen, die informiert ablaufen, wo Menschen miteinander sprechen, die sonst nicht aufeinander treffen und vor allem auch solche, die von selber nicht am politischen Diskurs teilnehmen.«...

Ilan Siebert und die acht weiteren aktiven Vereinsmitglieder sehen eine Lösung, um Vertrauen zurückzugewinnen, im Losverfahren: »Das Los ist der Ursprung der Demokratie. Regulär wählen konnten oft nur Vermögende. Dass Bürger:innen via Los ein politisches Amt angeboten bekommen oder in einem Forum Themen diskutieren können, belebt die Demokratie und macht sie erfahrbar.« Dazu wird Aristoteles seit jeher von Befürworter:innen des Losverfahrens zitiert: »So gilt es, wie ich sage, für demokratisch, dass die Besetzung der Ämter durch das Los geschieht, und für oligarchisch, dass sie durch Wahl erfolgt.« Historische Beispiele finden sich nicht nur in der Antike. In Ostbelgien stellt seit 2019 ein institutionalisierter Bürger:innenrat eine Art zweite gesetzgebende Kammer dar, die konkrete Gesetzesvorschläge erarbeitet und dem Parlament vorlegt. Das Parlament muss die Vorschläge prüfen und im Falle einer Ablehnung seine Entscheidung begründen. Auch Frankreich, Österreich und Großbritannien setzen Bürger:innenräte ein. Große Wellen schlug der Prozess in Irland. Dort ging der Volksabstimmung zur ›Ehe für alle‹ eine Bürger:innenversammlung voraus. Gerade bei solchen emotionalen Themen und verhärteten Fronten können geloste Räte entschärfen. Verschiedenste Menschen bekamen in den Räten die Möglichkeit, miteinander zu diskutieren, und fanden häufig den Ansporn, gemeinsam Lösungen zu entwickeln...

Dass von beratenden Bürger:innenräten selten etwas Schlechtes ausgeht, ist auch ihr Nachteil. Ihr Einfluss auf politische Entscheidungen ist schwer messbar oder nicht existent. Die Entscheidungen von Bürger:innenräten sind in den meisten Fällen nicht bindend und zudem einer breiten Öffentlichkeit kaum bekannt. Ilan Siebert schwört dennoch auf deliberative Bürger:innenräte: »Solche Räte sind weniger anfällig für populistische Dynamiken. Durch den Fokus auf Austausch und Beratung wird wirklich miteinander geredet. Das ist dringend notwendig, wenn man beobachtet, wie sich das Gesprächsklima im Bundestag und in den Kneipen verändert hat.« Sollen komplexe Sachverhalte bei einer Volksabstimmung mit ›Ja‹ oder ›Nein‹ eingeordnet werden, bleibt bei den Räten Zeit für Austausch und Raum für Kompromisse.

Eine Möglichkeit, Bürger:innenräte vielerorts zu initiieren und zu institutionalisieren, könnten Wahlkreisräte sein: »Bundestagsabgeordnete schlagen Themen vor, zu denen sie sich Empfehlungen von ausgelosten Menschen ihres Wahlkreise einholen wollen. Das läuft dann aber nicht über eine bloße Umfrage, sondern basiert auf einer eintägigen, gut moderierten Diskussion«, so Ilan Siebert. ›Es geht los‹ hilft dabei, diese Wahlkreisräte zu initiieren und durchzuführen. Die Abgeordneten Thomas Heilmann (CDU), Canan Bayram (Bündnis 90/Die Grünen) und Helge Lindh (SPD) machen 2021 den Anfang mit diesem Format. »Diese ersten Wahlkreisräte werden uns zeigen, was funktioniert und was nicht. Klar ist schon jetzt: Wer klingelt und zu einem Austausch einlädt und nicht für eine einzelne Partei oder Stimmabgabe wirbt, hat bessere Chancen durchzudringen und macht sichtbar, dass Demokratie keine Frage von Parteien ist«, ergänzt Siebert..."

Bürger:innenräte: Alles muss man selber machen

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Kommentare 3
  1. Jürgen Klute
    Jürgen Klute · vor 2 Jahren

    @transform Magazin: Danke für den Hinweise. Hier aber auch meinerseits noch einen Hinweis. Ihr schreibt oben: "Wahlen allerdings als eine Wurzel des Problems zu beschreiben, das machen sonst im progressiven Spektrum höchstens Anarchist:innen." Das finde ich etwas zu zugespitzt. David van Reybrouck, einer der prominentesten Intellektuellen Belgiens, hat vor ein paar Jahren das Buch "Gegen Wahlen" geschrieben (die deutschsprachige Übersetzung erschien 2016 im Verlag Wallstein). Es ist eine historisch und systematisch sehr fundierte Analyse von Wahlen als zentrales Demokratie-Problem.

    Nicht so zugespitzt wie Reybrouck problematisieren aber auch Claus Leggewie und Patrizia Nanz in ihrem ebenfalls 2016 erschienen Band "Die Konsultative" die Defizite von Wahlen. Und ebenso arbeitet Tamara Ehs an der Uni Wien schon seit länger an dem Thema. Leggewie, Nanz und Ehs gehen zwar nicht so weit wie von Reyboruck, arbeiten aber gut heraus, dass Wahlen strukturell zu Repräsentationsdefiziten in Parlamenten führen.

    Allerdings halte ich Populismus nicht für die Ursache der Krise der Demokratie, sondern für eine Folge der Krise der Demokratie. Die heutig Form der Demokratie ist im Rahmen der Industriealisierung entstanden. Einigermaßen funktioniert haben Demokratien eigentlich nur in entwickelten Industriegesellschaften, in denen sich Gewerkschaften und linke von der Arbeiterschaft gestützte oder getragene Parteien entwickelt haben. Mit dem Niedergang der Industrie sind auch diese politischen Strukturen, die zentrale Säulen der Demokratie in den westlichen entwickelten Industriegesellschaften waren, ausgehöhlt worden. Das wird m.E. viel zu wenig in den Blick genommen, wenn über die Krise der Demokratie und Wege aus dieser Krise diskutiert wird. Wobei ich den Ausführungen von David van Reybrouck sehr zugeneigt bin. Er zeigt nicht nur auf, weshalb Wahlen aus seiner Sicht das zentrale Demokratieproblem sind, sondern er präsentiert auch Alternativen, die prepräsentaiver sind als Wahlen und die auf einem qualifizierten Losverfahren basieren. Hier könnte die Zukunft der Demokratie in einer digitalisierten Wissens- und Dienstleistungsgesellschaft liegen.

    1. transform Magazin
      transform Magazin · vor 2 Jahren

      Danke dir für deine Ergänzung!
      Ja, wir sind mit diesem Artikel sicher noch nicht am Ende des Themas angelangt...

      Bis bald!

    2. Jürgen Klute
      Jürgen Klute · vor 2 Jahren

      @transform Magazin @transform Magazin: Hier noch ein Hinweis auf einen aktuellen Atikel von mir zum Thema: "Bürgerdialog Ostbelgien: erster Praxistest bestanden" – https://www.belgieninf...

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