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Volk und Wirtschaft

Überzeugungsarbeit und Überzeugungstäter – eine Annäherung

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlSonntag, 11.07.2021

Andere zu überzeugen ist eine uralte, weit verbreitete menschliche Tätigkeit. Oft aber negativ besetzt, als Manipulation, Propaganda, egoistische und falsche Werbung oder eben als reiner Machtkampf vorverurteilt. Außer natürlich wenn es um die eigene, gute Sache geht. Das Negative gibt es natürlich auch. Nur das Dilemma ist, die Scheidung ist schwierig. Unser Wissen basiert auf Informationen, "gepaart mit einer Beurteilung, die auch von der Überzeugungskraft anderer abhängt." Das ist ein Grundprinzip von Gesellschaft. 

Allerdings, der Artikel hat recht, es gibt wohl kaum Analysen, die die gesamtgesellschaftliche Gewichtung dieser Kategorie Arbeit empirisch vornehmen und einordnen. Es werden jedoch zwei Beispiele genannt. Etwa das der Ökonomen Deirdre McCloskey und Arjo Klamer die vor rund 25 Jahren eine entsprechende Rechnung vornahmen: 

Mit einer Handgelenk-mal-Pi-Methode schätzten sie, dass ein Viertel der amerikanischen Wirtschaftsleistung der Überzeugungsarbeit zuzuordnen ist. Dazu haben sie einzelne Beschäftigungskategorien in den Vereinigten Staaten herangezogen und diese mit einem Gewicht versehen, das der geschätzten Zeit entsprechen soll, die bei einer Beschäftigung mit Überzeugung verbracht wird. Dies ist offenbar ein grobes Mass. Der Ökonom Gerry Antioch hat die Rechnung 2013 nochmals angestellt und kam auf einen Wert von einem Drittel.

Diese Methode auf die Schweiz angewandt, ergäbe ein ähnliches Muster:

Im Jahr 1991 betrug der Anteil an der Gesamtbeschäftigung etwas mehr als ein Viertel der Wirtschaftsleistung und steigerte sich später auf gut ein Drittel. Die genauen Zahlen sind mit Vorsicht zu geniessen. 

Im Artikel wird dies in einer interessanten Tabelle veranschaulicht. Leider werden solche hocheffizienten Überzeugungstäter wie Umweltorganisationen etc. nicht separat aufgeführt und gewichtet. Auch die Arbeit in den sozialen Netzwerken ist sicher schwer zu erfassen. Etwas überraschend für mich war der gesamtgesellschaftliche Vergleich zwischen der Produktivitätsentwicklung von Werbebranche und Maschinenbau:

Wenn die Produktivität der Werbebranche mit derjenigen des Maschinenbaus über den Zeitraum von 1998 bis 2018 verglichen wird, ist die Angelegenheit eindeutig. Während der Maschinenbau produktiver wurde, sank bei der Werbung die Bruttowertschöpfung im Verhältnis zur Beschäftigung. Bei der Anzahl Vollzeitstellen sieht das Bild umgekehrt aus: Die Stellen in der Werbebranche stiegen in diesem Zeitraum um 12%, im Maschinenbau ging die Beschäftigung um 17% zurück.

In dem Zusammenhang nennt der Artikel auch das Vorurteil zu den wachsenden "Bullshit-Jobs" vor allem in den dienstleistenden Hierarchien und Branchen. Eine harte Kritik daran hatte der Anthropologe David Graeber (2013, 2018) vorgetragen, die sofort von vielen ungeprüft übernommen wurde.

Damit sind Jobs gemeint, deren Sinnhaftigkeit unklar ist und die man nicht vermissen würde, wenn es sie nicht gäbe. Das Konzept lässt sich sicherlich auf einige Beschäftigungen in einer reinen Überzeugungsindustrie anwenden. Graeber spricht von 20 bis 50% aller Beschäftigten, die ihren Job als sinnlos betrachten.

Wichtige Hypothesen Graebers sind u.a.: 

  • dass die Zahl der Arbeitnehmer, mit nutzlosen Jobs hoch ist (d. h. 20–50 %);
  • dass diese im Laufe der Zeit rapide zugenommen haben;
  • dass nutzlose Jobs „spirituelle Gewalt“ und schlechte psychische Gesundheit verursachen.

Eine empirische Analyse von Wissenschaftlern der Universitäten Cambridge und Birmingham kommt jedoch zu anderen Erkenntnissen. Sie halten es für wichtig, solche "Behauptungen in nicht-akademischen Publikationen wie denen von Graeber ernst zu nehmen und sie einer strengen empirischen Prüfung zu unterziehen". Und sie können mit einer Umfrage zu Arbeitsbedingungen in Europa zeigen, 

dass 2015 nur knapp 5% der Befragten meinten, ihre Arbeit sei sinnlos. Zudem ist dieser Anteil seit 2005 gesunken, was im Gegensatz zu einer Vorhersage von Graeber steht. Dieser Befund deutet darauf hin, dass vermehrte Überzeugungsarbeit in einer Volkswirtschaft zumindest aus Sicht der Beschäftigten nicht negativ sein muss. 

Man könnte sogar vermuten, dass besonders Tätigkeiten, in denen überzeugt werden soll, als besonders sinnstiftend empfunden werden. Aktivisten in NGO werden das sicher bestätigen. Aber auch Ernährungsberater, Politiker oder Gesundheitsdienstleister werden das sicher bejahen.

Fazit, glaube nie sofort einem Überzeugungstäter, sei nie ohne Skepsis und versuche zu prüfen. Aber achte die guten Absichten …

Überzeugungsarbeit und Überzeugungstäter – eine Annäherung

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Kommentare 1
  1. Silvio Andrae
    Silvio Andrae · vor fast 3 Jahre

    Angesichts eines exponentiellen Wachstums verfügbarer Informationen, eines beschleunigten technologischen Wandels, einer größeren Interdependenz und der zunehmenden Komplexität ist die Fähigkeit des "Sensemaking" wichtiger denn je. Organisationen und Unternehmen sollten daher "Sensemaking" als eine kritische Fähigkeit erkennen und sich verstärkt darum bemühen, es zu praktizieren. Es gibt gute Beispiele in der Praxis, die zeigen, dass Sensemaking funktioniert (z.B. IDEO in Palo Alto, Boehringer Ingelheim).

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