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Europa

Ein ehemaliger Verschwörungstheoretiker berichtet

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlSonntag, 06.09.2020

Verschwörungstheoretiker sind eine Gefahr für unsere Demokratie, hört man überall. Die aktuellen Bilder vom „Sturm auf den Reichstag" scheinen das zu bestätigen. Verschwörungstheorien sind wieder einmal in der großen Politik angekommen. Man muss diese "Irren" bekämpfen, sie bloßstellen, ihnen klar machen, dass sie irren. Wird nicht funktionieren, sagt Alexander Eydlin, gewesener Verschwörungstheoretiker. Er sollte es wissen.

So haben mich am Ende nicht die verbissenen Argumente derer überzeugt, die mir beweisen wollten, dass ich irre. Sondern die beständigen Freundschaften mit Menschen, die meine seltsamen Ideen nicht teilten und in mir dennoch mehr sahen als einen Spinner. Sie stritten mit mir, aber erst nachdem sie sich die Zeit genommen hatten, meine kruden Ideen zu verstehen. Diese Zeit und der Respekt, der dahinterstand, die Zuneigung zu mir als Person, waren wertvolle Ressourcen, die für mich Sinn jenseits moderner Mythen erschufen.

Wie gelingt es eigentlich Verschwörungstheoretikern immer wieder, die Entwicklung unserer Welt durch Konspirationen zu erklären? Warum glaubt man an das strategische, konspirative Agieren kleiner Gruppen (inklusive Außerirdischer) zum illegalen Umbau ganzer Staaten und Gesellschaften, ja der Weltordnung? An eine Welt ohne jeden Zufall und voller finsterer Mächte?

Eine schöne Metapher dafür, zu welcher Art von Wahrnehmung dieses Denken in der Praxis führt, liefert die erste Folge der BBC-Detektivserie Sherlock. Dr. Watson trifft Sherlocks älteren Bruder, der ihm verrät: "Die meisten Menschen tappen durch diese Stadt und sehen nichts als Straßen, Geschäfte und Autos. Mit Sherlock Holmes aber sehen Sie das Schlachtfeld. Sie haben es schon gesehen, nicht wahr?" 

Es geht also um Erleuchtung, um das glauben Wollen, um das Eingeweiht sein in Spezial- oder Sonderwissen. Für mich neu: Ich glaubte auch, Verschwörungstheorien seien dazu da, die Komplexität der Welt zu reduzieren und bequeme Erklärungen liefern. Doch das ist ein Irrtum, sagt Eydlin. Solches Denken kann sehr komplex sein, sehr anstrengend und ist wohl nicht die Suche nach einfachen Erklärungen:

Konspirationsgläubigen geht es nämlich nicht darum, Komplexität zu reduzieren – sondern darum, sie zu integrieren. Sie gehen Widersprüchen nicht aus dem Weg, sie nehmen sie in Kauf. Schließlich können die geheimen Eliten nicht gleichzeitig in Besitz von Alien-Raumfahrttechnologie sein und die Mondlandung gefälscht haben müssen. Und Corona kann nicht zugleich nur ein Vorwand sein, um mit einem völlig ungefährlichen Erreger eine weltweite Impfpflicht durchzusetzen, und nebenbei genau das Virus, das die Weltbevölkerung reduzieren soll. 

Sicher, jeder von uns hat Glaubenssätze und Annahmen, mit denen er sein tägliches Handeln begründet. Oft ist dieses Handeln falsch und/oder nachteilig für uns Handelnde:
Auch liberale Demokratie ist kein Naturgesetz und auf den Glauben an ihre Vorzüge angewiesen. Nicht der Wille zum Glauben ist das Problem, sondern die Intensität, mit der die Glaubenden vorgeben, mehr als alle anderen zu wissen. ... Das Einzige, wovor Verschwörungstheoretiker sich noch mehr fürchten als vor der Verwirklichung ihrer Ängste, ist der Rückfall in die Zeit vor ihrer "Erleuchtung", als die Welt noch keinen Sinn ergab.
Identität und Selbstwertgefühl sind also an das "Sonderwissen" um globale und politische Probleme geknüpft. Das ist in hohem Maße identitätsstiftend für (alle) Gläubigen. Woraus folgt,die
komplette Nichtakzeptanz eines Glaubens wird völlig verständlicherweise als repressiv empfunden und führt zu Abwehrreflexen. 
So werden wir unsere verschwörungsgläubigen Mitmenschen nicht überzeugen. Der Wille zum Glauben des Unwahrscheinlichen und Mythischen, zur Spiritualisierung von Politik ist zu stark. Man kann auch sagen, "wer Paranoia heilen will, sollte das nicht im Angriffsmodus tun. Wir sollten daher die Achtung vor den Anderen nicht von der Weltanschauung abhängig machen. Jedenfalls solange diese nicht mit Gewalt agieren. Zumal es manchmal schwer ist, Verschwörungstheorien trennscharf abzugrenzen. 
Fangen wir also damit an zu fragen, warum Menschen glauben, was sie glauben – anstatt uns darüber den Kopf zu zerbrechen, wie man ihnen den Glauben austreiben kann. Diese Arroganz ist die größte Angriffsfläche der Wissensgesellschaft und der wirksamste Trumpf ihrer Feinde, die sich ihrerseits im Besitz von Wissen wähnen.
Ein ehemaliger Verschwörungstheoretiker berichtet
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Kommentare 3
  1. Gabriel Koraus
    Gabriel Koraus · vor mehr als 3 Jahre

    Danke für den Piq und die gut gewählten Zitate!

  2. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor mehr als 3 Jahre

    Stimme den Ansatz insofern zu dass das eine Methode ist die im privaten und ggfs. therapeutischen Bereichen funktioniert. Und angebracht ist.
    Aber gesellschaftlich und politisch sehe ich das anders.
    Es ist nicht arrogant wenn ich als (mit)Bürgerin derartige Theorien und vorallem deren politische Folgerungen und Handlungen ablehne. und ehrlich gesagt habe ich die Schnauze (Verzeihung) voll davon, dass von so vielen Seiten bei diesen "besorgten" Bürgern die doch ach so berechtigte sorgen haben, so viel Verständnis und Berücksichtigung erwartet gefordert wird.
    (Eigentlich auch etwas paternalistisch).
    Wer nimmt meine Sorgen ernst? Wer hört mir zu? Nur weil ich nicht laut frech aggressiv rüberkomme?
    Umfragen zeigen dass die Mehrheit der Deutschen mit den corona-regeln einverstanden sind sogar zt stärkere wollen, dass sie diese corona-Demos mit dieser Art und Weise ablehnen.
    Wie gesagt privat bin ich gern bereit mit jedem weiterhin zu reden und niemand auszuschließen. Aber gesellschaftlich reicht es mir.
    Der Staat (also auch wir alle) steht vor einem Dilemma: man muss alle Gruppen berücksichtigen gerade die krawallmacher. Aber demokratie heißt schon: die Mehrheit entscheidet. und Minderheitensonderrechte gelten nur für bestimmte Gruppen (Religion "Rasse" etc.). Andere kleinere Gruppen haben die rechte die alle Bürger haben - bei der nächsten Wahl zur Mehrheit zu werden. Mehr nicht!

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 3 Jahre · bearbeitet vor mehr als 3 Jahre

      Aber auch eine Gesellschaft bzw. die Mehrheiten sollten genau überlegen, wann etwas eine (gar gefährliche) Verschwörungstheorie ist und wann nicht. Es wäre nicht das erste mal, das Völker (bzw. große Teile davon) einer solchen hinterher rennen. Bei Corona sehe ich das eigentlich nicht. Aber bei der Angst vor den ach so gefährlichen Demonstranten und Verschwörungstheoretikern, da frage ich mich schon ob die Medien etc. aus dieser Angst nicht selbst eine Art Verschwörungstheorie basteln. Wenn sich Mehrheiten im Brustton der moralischen Selbstsicherheit so empören, da werd ich immer unruhig. Alles böse Covidioten, Nazis und Aluhutträger um uns herum - na ja ....

      Ja, es ist gut, dass es Wahlen gibt und darauf sollten wir vertrauen. Jedenfalls weitgehend. Und wir sollten miteinander reden. 😏

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