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Volk und Wirtschaft

Die neoliberale Wende – Realität oder ideologischer Kampfbegriff?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlDienstag, 04.10.2022

Hat es die neoliberale Wende tatsächlich gegeben – fragt Noah Smith in seinem wieder empirisch starken Blog. Und antwortet:

Ja, irgendwie schon, aber es ist viel komplizierter, als Sie denken.

Stark vereinfacht charakterisiert Smith den Neoliberalismus wie folgt:

  • Niedrigere Steuern
  • Kürzungen der Sozialfürsorge
  • Deregulierung
  • Freihandel
  • Privatisierung
  • gewerkschaftsfeindliche Politik (Anti-union policy changes)

Grob ist es das, was von Ökonomen der University of Chicago wie Milton Friedman und George Stigler in der zweiten Hälfte des 20. Jh. propagiert wurde. Und für das republikanische Politiker in den 80er- und 90er-Jahren kämpften. 

Aber es zeigt sich auch in den von Smith gesammelten vielfältigen Daten, dass die Realität der Politik der "neoliberalen Wende" und ihre Auswirkungen sehr viel mehrdeutiger waren, eben nicht dieser einfachen Erzählung entsprechen. 

Fast keiner der oben genannten Aufzählungspunkte bietet eine gute einfache Beschreibung dessen, was tatsächlich in den USA implementiert wurde. Selbst als einige Formen staatlicher Interventionen in die Wirtschaft gekürzt wurden, wurden andere Eingriffe aufgebaut. Das Ergebnis war eine Wirtschaft, in der die Regierung etwas anderes tut, aber nicht unbedingt weniger.

Mit anderen Worten, die medial und politisch kommunizierte große Erzählung, die immer wieder mit Beispielen versucht wurde zu untermauern, entspricht nicht der Wirklichkeit.

So zeigt Smith, dass die Steuersenkungen der neoliberalen Ära die Steuern in den USA eigentlich überhaupt nicht stark senkten. Die Senkungen der Spitzengrenzsteuersätze verlagerten die Steuerlast eben nicht stärker in die Mittel- und Arbeiterklasse und weg von den Reichen. Der tatsächliche Prozentsatz ihres Einkommens, das die Top 1 % an die Bundesregierung zahlten, blieb unter Reagan und Clinton ziemlich stabil, während das niedrigste Quintil etwas weniger zahlte.

Das Gleiche gilt für den Anteil der Steuereinnahmen, die von den verschiedenen Einkommensgruppen gezahlt werden. Und das Muster sieht genauso aus, wenn man staatliche und lokale Steuern einbezieht.

Also die Spitzensteuersätze wurden stark gesenkt, aber die Bundessteuereinnahmen als Anteil des BIP, die von den Reichen gezahlt wurden, blieben ziemlich gleich. Ein Faktor dabei ist die Ungleichheit der Einkommensentwicklung. 

Die Steuersätze wurden unter Reagan weniger progressiv, aber sie waren immer noch progressiv, und die Einkommen der Reichen stiegen während der neoliberalen Ära um viel mehr als die Einkommen der Mittel- und Arbeiterklasse. Also zahlten die Reichen mehr, weil sie mehr verdienten. 

Eine zweite Ursache ist die "Basisverbreiterung" bei den Steuern. Als die Steuersätze wirklich hoch waren, gab es viele Schlupflöcher, um Steuern zu vermeiden. Als Reagan die Steuern senkte, schloss er gleichzeitig eine Reihe dieser Schlupflöcher. Und drittens gelang es den Progressiven auch oft, der neoliberalen Politik zu widerstehen oder sie umzukehren.

Die nächste Frage ist die nach dem Wohlfahrtsstaat in der neoliberalen Ära. Dazu Smith:

Bill Clinton verabschiedete 1996 eine große Wohlfahrtsreform und erklärte bekanntlich, dass “the age of big government is over”. Aber die öffentlichen Sozialausgaben als Anteil am BIP blieben unter Reagan etwa gleich und stiegen unter Clinton leicht an, bevor sie unter Bush und Obama erheblich stiegen.

Während der ganzen Zeit stiegen z. B. die Staatsausgaben für das Gesundheitswesen ohne Unterbrechung an. Ebenso die privaten Ausgaben, weil die Kosten stiegen. Die Neoliberalen versuchten nicht einmal, den Anstieg zu beschneiden.

Noah Smith analysiert auch die Frage von Deregulierung vs. Regulierung und kommt zum Schluss, es sei

sehr schwierig, die Reagan- und Clinton-Ära, geschweige denn den Gesamtzeitraum 1980–2016, als eine Ära der einheitlichen Deregulierung zu beschreiben. Einige Teile der Wirtschaft wurden stärker reguliert, und andere Teile wurden dereguliert, und es ist nicht klar, welcher Teil davon letztendlich wichtiger war. 

Hat etwa der Freihandel in der neoliberalen Ära zugenommen? Während der neoliberalen Ära wurde unter Führung der USA die Welthandelsorganisation gegründet. Auch dadurch konnte China in das Welthandelssystem einbezogen werden. 

Insgesamt hat die neoliberale Ära die USA weiter für den Handel geöffnet, aber wir waren bis dahin schon ziemlich offen. Und Reagan war im Grunde überhaupt kein Freihändler – die wirkliche Ankurbelung des Handels kam erst in den 90er Jahren, und das Internet und Chinas eigene merkantilistische Politik spielten eine wichtige Rolle.

Privatisierung und der Kampf gegen die Gewerkschaften sind die beiden Politiken, die meist am stärksten mit dem Neoliberalismus identifiziert werden. Dazu Smith:

Privatisierung ist hauptsächlich eine Sache des Vereinigten Königreichs, bei der viele Branchen von der sozialistischen Regierung nach dem Zweiten Weltkrieg verstaatlicht wurden. In den USA gab es einfach nicht viel zu privatisieren. Es gab verstreute Pseudoprivatisierungen in Gefängnissen, Schulen und im Gesundheitswesen, bei denen die Regierung im Grunde Verträge an private Unternehmen abschließt, aber dies unterscheidet sich sehr vom Verkauf von Staatsvermögen, und letztendlich bezahlt die Regierung immer noch die Rechnung.

Was den "Krieg" gegen die Gewerkschaften betrifft, 

so war der im privaten Sektor sehr real, aber es begann auch Ende der 50er Jahre. Die Gewerkschaften des öffentlichen Sektors wurden unterdessen in den späten 70er Jahren viel häufiger und blieben in der neoliberalen Ära etwa genauso verbreitet, bis die Große Rezession einen kleinen Niedergang erzwang

Es zeigt sich also: Der in den Medien oft fast alles erklärende Neoliberalismus ist nicht so klar nachweisbar. Die gesellschaftliche Kommunikation erzeugt (nicht nur diesen) einen Bias. Gleichzeitig meine ich, je komplexer eine Gesellschaft bzw. die Welt, um so wichtiger ist es, mit unseren Kommunikationsprozessen der Wirklichkeit nahezukommen. Auch um solche Politfallen wie dem Verhältnis zu Russland, der Energiewende oder auch der Entwicklung der EU möglichst zu vermeiden. Kommunikation ohne Schaum vorm Mund, möglichst empirisch hinterlegt und möglichst ohne Vorurteile, sparsam mit Werturteilen. Können wir das?

Die neoliberale Wende – Realität oder ideologischer Kampfbegriff?

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