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Volk und Wirtschaft

Der Mensch und sein Eigentum – auf dem Weg zur Egalität?

Thomas Wahl
Dr. Phil, Dipl. Ing.
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Thomas WahlMittwoch, 11.05.2022

Der Essay ist eine kritische Analyse der alten Idee, dass Gesellschaften vor der Landwirtschaft von Natur aus egalitär und vollständig auf die Gemeinschaft orientiert waren. Dabei ist Marxens Idee, vom ursprünglichen, primitiven Kommunismus, wohl die einflussreichste, aber wahrscheinlich auch falsche Erzählung. Sie geht so:

Es war einmal, dass Privateigentum unbekannt war. Das Essen ging an die Bedürftigen. Alle wurden umsorgt. Dann entstand die Landwirtschaft und damit das Eigentum an Land, Arbeit und natürlichen Ressourcen. Die Bio-Gemeinschaft zerbrach dann unter dem Gewicht des Wettbewerbs. Diese Geschichte geht auf Marx und Engels zurück. Auch der Schutzpatron des Kapitalismus, Adam Smith, schlug etwas Ähnliches vor, ebenso wie der amerikanische Anthropologe Lewis Henry Morgan aus dem 19. Jahrhundert. Sogar alte buddhistische Texte beschrieben eine vorstaatliche Gesellschaft ohne Eigentum. 

Aber die wichtigste Kodifizierung des Grundnarratives stammt von Marx und Engels, die sie mit vielen marxistischen Prinzipien zu einer großen (linken) Theorie verschmolzen und über die Welt verbreiteten. 

Heute gilt die Idee, dass die Menschheit lange Zeit ohne Privateigentum gelebt hat und sich Eigentumsrechte erst mit der Landwirtschaft herausbildeten vielen Intellektuellen als historische Tatsache. In einem wichtigen Lehrbuch für Anthropologie heißt es dann auch: "Das Konzept des Privateigentums ist alles andere als universell und tritt tendenziell nur in komplexen Gesellschaften mit sozialer Ungleichheit auf." Aber stimmt die Geschichte vom ursprünglichen Kommunismus? Der Autor Manvir Singh, selbst Anthropologe, ist skeptisch und fragt:
Der primitive Kommunismus ist ansprechend. Es befürwortet ein paradisisches Bild der Menschheit, in dem die Moderne unsere natürliche Güte korrumpiert hat. Aber genau deshalb sollten wir es in Frage stellen. Wenn uns anderthalb Jahrhunderte Forschung über die Menschheit etwas gelehrt haben, dann ist es, dem Verführerischen skeptisch gegenüberzustehen. Von der Rassenwissenschaft bis zum edlen Wilden ist die Geschichte der Anthropologie überfüllt mit den Leichen praktischer Geschichten, von Erzählungen, die die menschliche Vielfalt falsch darstellen, um ideologische Ziele voranzutreiben. Ist der primitive Kommunismus anders?

Wie kann man das besser verifizieren, als empirisch die noch lebenden Gesellschaften zu untersuchen, die noch in vorlandwirtschaftlichen Gemeinschaften leben. So vergleicht der Autor mehrere Erfahrungsberichte verschiedener Anthropologen. Und es zeigt sich, das es differenzierte und sehr unterschiedliche Verfahren von Umverteilung sowie von Eigentumskonzepten gab. Offensichtlich haben unsere Urahnen vieles ausprobiert. So berichtete der Anthropologe Kim Hill von den Aché, dort herrsche "fast reiner wirtschaftlicher Kommunalismus". Was er so nicht erwartet hatte. 

Andere Erfahrungen macht er bei den Hiwi in Venezuela. Auch da gab es Food-Sharing, aber während im primitiven Kommunismus der Aché die Jäger bei der Verteilung wenig Mitsprache hatten, ihre Familien nicht bevorzugen konnten, galt das bei den Hiwi nicht. 
Wenn Fleisch in ein Hiwi-Dorf kam, behielt die Familie des Jägers eine größere Charge für sich und verteilte Anteile an mickrige drei von 36 anderen Familien. Mit anderen Worten, wie Hill und seine Kollegen im Jahr 2000 in der Zeitschrift Human Ecology schrieben, "erhalten die meisten Hiwi-Familien nichts, wenn eine Nahrungsressource in das Dorf gebracht wird".

Die meisten untersuchten Gruppen aus Jägern und Sammlern waren weniger egalitär als die Aché. Jäger etwa genossen in vielen Gemeinden besondere Rechte. Sie behielten die schmackhaftesten Teile, exklusive Organe oder das Mark der Knochen, bevor geteilt wurde. Auch ausschließliche Rechte an den Nachkommen eines getöteten Tieres waren üblich.

Das wichtigste Privileg aber, das Jäger genossen, war die Entscheidung, wer Fleisch bekommt:

Selektives Teilen ist mächtig. Es erweitert eine Bindung zwischen Geber und Empfänger, die der Geber ziehen kann, wenn er in Not ist. Die Weigerung, zu teilen, ist unterdessen eine Ablehnung der Freundschaft, ein Ausdruck des schlechten Willens. ... Durch die Kontrolle über Verteilungen verwandeln Jäger Fleisch in Beziehungen.

Eine interessante Form der Elitenbildung aus erfolgreichen Jägern und ihren Familien. Wenn man andere davon ausschließen kann, etwas zu benutzen oder zu essen, dann bedeutet dies, man besitzt es. Man kann also sagen, die

Privilegien der Jäger verlagerten die Eigentumsrechte entlang eines Kontinuums von vollständig öffentlich auf vollständig privat. Je mehr Vorteile sie monopolisieren könnten – von Trophäen über Organe bis hin zu Sozialkapital – desto mehr könnte man sagen, dass sie ihr Fleisch besitzen.

Aber es sind nicht nur die Privilegien der Jäger, die gegen die These der egalitären Gesellschaft sprechen. Erwiesen ist, so Manvir Singh, alle Jäger und Sammler hatten Privateigentum, sogar die Aché.

Einzelne Aché besaß Bögen, Pfeile, Äxte und Kochgeräte. Frauen besaßen die Früchte, die sie sammelten. Sogar Fleisch wurde zu Privateigentum, nachdem es verteilt war. Hill erklärte: "Wenn ich mein Gürteltierbein auf [ein Farnblatt] setzte und für eine Minute hinausging, um im Wald zu pinkeln, und zurückkam und jemand es nahm? Ja, das war Diebstahl".

Auch gab es Eigentum an natürlichen Ressourcen, wie etwa Adlernester. Biberhöhlen oder Angelplätzen. Besonders häufig ist der Besitz von Bäumen. Nach Schätzungen eines Ökonomen kannten demnach mehr als 70 Prozent der Jäger-Sammler-Gesellschaften Privateigentum an Land oder Bäumen. Und so bestraften diese Gesellschaften auch die Verletzung solcher Eigentumsrechte. 

Für den Autor geht die eingangs beschriebene egalitäre "Sharing Economy", etwa der Aché auf die wechselseitige Abhängigkeit der Gruppenmitglieder beim Überleben zurück und weniger auf paradiesische Gemeinschaftsbeziehungen der Menschen. Daher kann dieses Teilen und Helfen auf Gegenseitigkeit auch eine Grausamkeit erzeugen,  die in Diskussionen über den primitiven Kommunismus oft verschwiegen wird. 
Wenn eine Person an der Rettungsleine zu einer langfristigen Belastung wird, können Gründe, sie am Leben zu erhalten, verschwinden. In ihrem Buch "Aché Life History" (1996) listeten Hill und die Anthropologin Ana Magdalena Hurtado viele Aché-Menschen auf, die getötet, verlassen oder lebendig begraben wurden: Witwen, kranke Menschen, eine blinde Frau, ein zu früh geborenes Kind, einen Jungen mit einer gelähmten Hand, ….. Ein solcher Opportunismus erstickt alle sozialen Interaktionen. …. Sobald sich das Bedürfnis zum Überleben aufgelöst hat, könnten sogar Freunde wegwerfbar werden.

Aus all dem schließt der Autor, dass die Erzählungen von einem 'paradiesischen'  Urkommunismus eher seiner intuitiven Einfachheit und der politischen Zweckmäßigkeit geschuldet ist, als der realen Geschichte. Man kann vor diesem Hintergrund wunderbar alle nichtidealen Zustände unserer Gesellschaft als "Perversion einer an sich prosozialen menschlichen Natur" darstellen. Aber wir müssen nun mal mit den Menschen agieren, wie sie sind – aus krummen Holz.

Der Mensch und sein Eigentum – auf dem Weg zur Egalität?

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Kommentare 2
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor fast 2 Jahre

    ähnliches zeigt sich ja auch bei unseren nächsten Verwandten wie den Schimpansen. aber auch bei Krähen etc. Und wer würde dem Eichhörnchen ansprechen wollen dass es Eigentum empfindet bei seinen vergrabenen nüssen?

    was uns aber 'primitive' Kulturen ob historisch oder gegenwärtig (inkl. unserer eigenen Vorläufer) zeigen können, dass es andere Eigentums- und Wirtschaftssysteme gab und geben kann.
    Kapitalismus in der heutigen Form ist nicht alternativlos.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor fast 2 Jahre

      Ja, die ganze Geschichte besteht ja aus Evolution,Test und Wettbewerb verschiedener Gesellschafts-/Wirtschaftssysteme. Das Problem der Alternativen, man weiß meist erst hinterher, ob sie besser oder schlechter sind. Bei Alternativen zu mörderischen Diktaturen kann man sicher besseres erwarten. Aber bei den theoretisch entworfenen Alternativscenarios kam meist was völlig anderes raus als erwartet. Also Alternativen entstehen eher nicht am Reißbrett sondern durch Evolution.

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