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Vor dem Krieg: Wie Putin an Geschichtsfälschung schraubte

Susanne Franzmeyer
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Susanne FranzmeyerMontag, 28.02.2022

Christine Hamel, Autorin des aktuell vom Bayerischen Rundfunk urgesendeten Features "Wo Putin Russlands Geschichte fälscht: Weißes Meer - Schwarzes Meer. Solowki - Krim" war noch im Herbst 2021 auf den Solowezki-Inseln im Norden Russlands und der von Russland annektierten Krim unterwegs.

In der Anmoderation zum Feature erklärt der Redakteur Till Ottlitz, dass just in dem Moment, wo die Sendung im Studio produziert wurde, Putin die Ukraine angegriffen hat. Es wurde überlegt, wie damit nun umzugehen sei, aber da das Feature viel Informatives zu Putins Denk- und Handelsweise und Hintergrundwissen zu seinen Plänen mit Russland liefert, beschlossen sie, das Feature dennoch zu senden.

"Es heißt auf der Krim im Schwarzen Meer zeige sich Russlands pathologische Sehnsucht nach imperialer Größe."

In turbulenten Zeiten wie diesen sind Features, die enorm viel Aufwand und Zeit in ihrer Entwicklung und Produktion kosten, nicht das Mittel, um schnell an aktuelle Informationen zu gelangen. Dafür sind Nachrichtensendungen oder – mit Bedacht genutzt – Social-Media-Kanäle sicher besser geeignet. Aber ein Radiofeature bietet oft die Möglichkeit, ein tiefergehendes Verständnis zu erlangen für die Dinge, die aktuell geschehen. Ich habe jedenfalls sehr interessiert zugehört und möchte die Sendung ausdrücklich empfehlen.

"Ausgerechnet zwei Inseln an der Peripherie stoßen Entwicklungen an, die Russland tiefgreifend und für immer verändern. Beide Inseln gelten als heilig. Beide Inseln sind Unrechtsinseln. Beide Inseln rahmen schwarz auf weiß die russische Gegenwart und sind trotzdem grundverschieden. Die Solowezki-Inseln im Weißen Meer, etwa 1000 km nördlich von St. Petersburg, und die von Russland annektierte Halbinsel Krim im Schwarzen Meer."

Die Autorin spricht mit Einheimischen, schildert ihre Beobachtungen und macht sich ein Bild von Putins Einflussnahme auf allen Ebenen - mit Mitteln der Überwachung, historischen Umdeutungen, Propaganda. Ein eingängiger Popsong proklamiert die Zugehörigkeit der Krim zu Russland in patriotisch-euphorischem Gesang, milliardenschwere Investitionen Putins lassen den Kurort Artek, ein Badeparadies am Schwarzen Meer, in neuem Glanz erscheinen. Die Autorin aber kommt nicht rein:

"Artek ist zu. Für Journalisten jedenfalls. Von den AfD-Abgeordneten, die 2018 die Krim besucht haben, gibt es auch ein Foto in Artek. Ich muss mich indes mit Gursuf, ukrainisch Hursuf, begnügen, dem Ort gleich neben Artek. Bei einem ersten Stadtrundgang fallen die vielen Kameras und Uniformierten auf, die einen im Dienst, die anderen im Urlaub. Der Kurort wird lückenlos überwacht. Auf einem kleinen Platz schmettern ein paar Frauen vielleicht etwas zu fröhlich russische Volkslieder. Ein Mann begleitet sie am Akkordeon. Sie haben keinen Hut aufgestellt, es geht ihnen offenbar nicht um Geld. Sollen sie für etwas Leichtigkeit sorgen in dieser kontrollierten Umgebung?"

Die Solowezki-Inseln im Weißen Meer im Norden Russlands, sind heute ein beliebtes Pilgerziel für orthodoxe Gläubige. Doch während auf der Krim Lager zur Erholung entstanden, entstand auf den Solowezki-Inseln ein erstes Arbeitslager des Schreckens - die "Mutter aller Gulags", wie es im Feature heißt.
Die Autorin fährt dorthin und spricht mit einer Art "historischem Archivar" der Inseln. Juri Brodski ist jemand, der die Geschichte des Gulags in seinen Büchern festhielt.

"Das erste Buch habe ich im Untergrund geschrieben. Man durfte über die Verbrechen der Bolschewiki nicht sprechen und das Lager noch nicht einmal erwähnen."

Heute geht man anders vor. Es scheinen sich die orthodoxen Gläubigen in einem Wettstreit mit der Erinnerungskultur des Gulags zu befinden, es wird mit allen Mitteln versucht, die Grausamkeiten, die mit dem Ort verbunden sind, zu verdrängen. Das Gulag wurde dort 1923 in einem Kloster eingerichtet, an dem die Bolschewiki nicht viel zu ändern gehabt hätten, denn "das Kloster war ein orthodoxes Alcatraz", heißt es im Feature.

"An das Lager will sich niemand mehr erinnern. Die Mönche haben hier immer auch als Gefängniswärter gearbeitet. 1927 waren 112 Mönche als Lageraufseher tätig. Sie trugen eine spezielle Uniform und haben gleichzeitig Gott und dem Geheimdienst gedient."

Riegel, Gitter, Zeichnungen an den Zellenwänden – alles, was an das Gefangenenlager erinnerte, wurde inzwischen ausgewechselt und überpinselt. Heute wird an ehemaligen Hinrichtungsstätten gebetet und Gott gepriesen.
Die Autorin sucht vergeblich nach Hinweisen vor Ort, die an die schrecklichen Ereignisse erinnern, daran, dass hier einst Intellektuelle, Wissenschaftler, Künstler, Journalisten, eine geistige Elite eingesperrt waren – zusammengepfercht auf engstem Raum mit Kriminellen. Nichts. Brodski aber weiß Bescheid. Er kennt noch den ursprünglichen Zustand, als die Wände noch voller Zeichnungen von Gefangenen waren und das Kloster noch mehr nach Gefängnis aussah.

"Hier wurden die Normen erarbeitet, die später für das ganze Land galten: Wie viele Kalorien braucht ein Gefangener, wieviel Schlafplatz braucht ein Gefangener, wieviele Wächter braucht man für 100 Gefangene, wohin zielt man am Besten bei Massenerschießungen, was tut man mit den Leichen, wie nutzt man die Arbeitskraft der Gefangenen? Das alles wird hier erarbeitet."

Geschichtsfälschung, Umdeutungskampagnen, Propaganda - Putin weiß, an welchen Schrauben er drehen muss, um sein Volk unkritisch und unwissend zu halten. Nun ist Krieg, und es heißt ja, im Krieg sterbe die Wahrheit zuerst. Unter Putin ist sie schon längst gestorben, es begann die Vorbereitung dieses Krieges im Grunde viel früher - in den Köpfen. Aber es gibt immer auch Menschen wie Brodski, der die Spuren der Vergangenheit mit eigenen Augen sah und dokumentierte und sich nicht für dumm verkaufen lässt. Ich wünsche sehr, dass dies auch für Zeugen der aktuellen Geschehnisse gilt.

Vor dem Krieg: Wie Putin an Geschichtsfälschung schraubte

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Kommentare 1
  1. Maximilian Rosch
    Maximilian Rosch · vor 2 Jahren

    Gruselig!

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