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Fundstücke

Entführt in Syrien – packender Erfahrungsbericht eines Deutschen

Susanne Franzmeyer
Piqer für Radio Features
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Susanne FranzmeyerMontag, 17.10.2022

In seinem Feature "Entführt in Syrien – über den Umgang mit Extremsituationen" lässt der Autor Patrick Batarilo einen Deutschen über seine Erfahrungen in einem syrischen Foltergefängnis und sein Leben danach sprechen. Martin ist seit jeher ein Liebhaber von Punkrock und reiste als Techniker in Krisengebiete, vor allem aus Abenteuerlust. Er reiste in den Irak und später nach Nordost-Syrien, um zu helfen, wird dort aber mit seinem Kollegen von syrischen Militärs verhaftet und in eines der furchtbaren Foltergefängnisse des Assad-Regimes gebracht. Von seiner Zelle aus muss er mit anhören, wie Mithäftlinge gefoltert wurden.

"Da muss man sich halt vorstellen, dass da ein Meter oder zwei dazwischen sind, Luftlinie, da fängt da Stühlerücken an und Gespräche fangen an und so was. Und von jetzt auf gleich tatsächlich eskalieren die Gespräche. Aus normalen Befragungen werden Schreie, dann ist es auf einmal nicht mehr nur der Befrager, der schreit, sondern auch der Befragte, der schreit, weil er geschlagen wird. Du hörst die Schläge, es wird immer lauter, du hörst Hiebe mit Gürteln oder mit Peitsche. Es ist ne unfassbare Geräuschatmosphäre, vor allem, es ist ja nicht nur einer, es sind ja sieben, acht gleichzeitig."

Martin nimmt die Hörerschaft regelrecht mit auf seinen Trip, der als Abenteuer begann und mit einem Selbstmordversuch endete, als er keinen Ausweg mehr sah, der Folter oder dem Verrat anderer zu entgehen. Er spricht kontinuierlich im Präsens, sodass die Schilderungen besonders lebhaft wirken.

"Realistisch gesehen sagst du dir: Ok, ich sterb hier. Ich werd das hier nicht überleben. (...) Und dann kommt der Punkt: Ja, jetzt kommen die morgen wieder und sagen, die wollen dann Antworten haben. Und dann sagst du, ok, du hast zwei Optionen: Option A - du packst morgen komplett aus und verrätst alles und verrätst auch Leute, die landen dann auch hier. Und dann bringen die dich um. Und Option zwei ist - du sagst nichts und die foltern dich, bis du was sagst und dann bringen die dich um. Und dann bist du natürlich in der Situation, wo du dir sagst, ok, gut, das einzige, was du noch kannst, ist andere schützen - aber für dich ist das Ding hier gelaufen. Ich ziehe dann mein Hemd aus und wickel das um den Heizkörper und mach so ne Schlinge und häng mich dann da rein und tatsächlich auch, bis mir schwarz vor Augen wird."

Die Kameraüberwachung in der Zelle rettet ihm das Leben. Neben der Stimme des Überlebenden sind kaum andere Sprecher*innen zu hören, nur ab und zu hört man den Autor eine Frage stellen oder es werden O-Töne aus Nachrichtensendungen und dezent einige wenige Zusatzinformationen eingeworfen. Ansonsten bettet sich die Erzählung überwiegend auf einem unterstützenden Teppich aus dezent eingesetzten Geräuschkulissen und zurückhaltend eingesetzten Klangflächen.

"Für mich geht's dann runter in den Keller in Isolationshaft. (...) Der Keller ist ne riesen unterirdische Halle. (...) Deine Zelle ist einfach nur so ne Kiste. Die ist so 2,30m vielleicht mal 1,80m - also nicht sonderlich groß. Du hast da drin auch wieder nichts. Du hast da ne Wolldecke da drin. Es ist ne schwere Stahltür mit nem Gitterband, wo so ein bisschen Licht durchkommt und auch das Essen durchgegeben wird. (...) kein Bett, keine Toilette, kein gar nichts. Das einzige was außer dir noch mit da drin ist, sind Hunderte von Kakerlaken, wirklich die ganzen Ecken sind voll mit Kakerlaken, also es ist unfassbar ekelhaft, in diesen Zellen zu sein. Aber was mache ich denn, wenn ich fünf Wochen, sechs Wochen, sieben Wochen, acht Wochen, drei Monate alleine in einem Raum sitze, so einfach alleine mit mir selber? Es gibt ja, immer wenn wir uns Hollywood angucken, dann kommt dann immer der Typ am Ende zu seiner Familie zurück, und sagt, ja alles, was mich am Leben gehalten hat, war der Gedanke an euch und dass ich euch irgendwann wiedersehe. Also das Schlimmste für mich in meiner Situation ist tatsächlich dort Gedanken an meine Familie, das ist das Schlimmste. Dann ist der Tag gelaufen. Weil dann kommen die Gedanken, werde ich die noch mal wiedersehen, wie geht es denen jetzt. (...) Das ist ne ganz schwierige Sache, weil wir können unsere Gedanken nicht wirklich kontrollieren."

Der Erfahrungsbericht ist vielleicht deshalb so bewegend, weil er von einem kommt, der wie aus dem Nichts in eine fremde Realität hineingezogen wird, der eigentlich ein unspektakuläres Leben in Berlin lebte und dessen Entscheidung für seine abenteuerlichen Reise- und Arbeitsprojekte ihn plötzlich und persönlich mit den harten Fakten in einem vom Krieg gezeichneten Krisengebiet konfrontierte. Auch, wenn er es überlebte und er am Ende wieder in Berlin ankommt – es hat ihn für alle Zeiten verändert.

"Und du stehst da und weißt gar nicht, mit wem du reden sollst. Mit wem willst du dich unterhalten? (...) Du guckst dir Gruppen an, wie die im Park sitzen oder auch in deinem Freundeskreis, auch in deiner Familie und die Leute, die du liebst und was auch immer. Und du kannst es einfach nicht. Das ist auch ganz schlimm, wie schnell du das verlernen kannst, mit Menschen zu interagieren. (...) Gleichzeitig kommt dazu, dass es ja deine Familie auch sehr mitgenommen hat, und dass deine Familie das am Liebsten mit dir besprechen würde, aber du bist ja nicht selber der, der deine Familie therapieren kann."

Martin ist in gewisser Weise ein nahbarer Antiheld, der seine Bewunderung für diejenigen teilt, die unter schwierigsten Bedingungen Menschlichkeit bewiesen – eine Haltung, die er sich selbst nicht zutrauen würde. Fast spöttisch schaut er bereits am Anfang des Features auf seine rebellische Jugendzeit im sicheren Deutschland zurück und äußert sich voller Achtung gegenüber den Jugendlichen, die vielleicht im selben Alter waren wie er damals, und die ihm in Gefangenschaft offen zulächelten – unter dem Risiko, es mit Folter oder dem Leben zu bezahlen.

Entführt in Syrien – packender Erfahrungsbericht eines Deutschen

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