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Fundstücke

Die toten Kinder der First Nations – ein dunkles Kapitel Kanadas

Susanne Franzmeyer
Piqer für Radio Features
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Susanne FranzmeyerMontag, 20.02.2023

"Es gibt ein interessantes Video von 1955, wie toll die Kinder das in den Schulen haben, was sie dort lernen, mit welchen Freunden sie dort zusammen sind usw. Und welche Chancen sich ihnen eröffnen, wenn sie diese Schule absolvieren. Und das ist das, was die kanadische Bevölkerung auch gesehen hat. Dass das natürlich gute Schulen sind für die Kinder, die die Kinder vorbereiten für ihr späteres Leben in der kanadischen Gesellschaft."

Immer wieder wurde in den letzten Jahren über Funde von Massengräbern mit Kinderleichen auf ehemaligem Internatsgelände in Kanada berichtet. Diese seit dem Indian Act eingeführten Umerziehungsanstalten für die Kinder der indigenen Bevölkerung, in denen sie systematisch von ihrer Kultur entwurzelt werden sollten, beherbergten bis in die 90er-Jahre mehr als 150.000 Kinder, die den Familien der First Nation entrissen wurden. Die Aufarbeitung dieses schwarzen Kapitels der jüngeren Geschichte Kanadas begann spät und ist noch nicht abgeschlossen.

"Es gibt z.B. über die Kinder, deren Gräber man gefunden hat, gibt es keine Dokumente. Das heißt, man hat schon sehr früh angefangen, in diesen Schulen vieles zu vertuschen, vieles zu verheimlichen, Akten nicht anzulegen oder verschwinden zu lassen."

Bis heute haben viele Indigene Kanadas mit sozialen Problemen zu kämpfen. Sie erleben Alltagsrassismus, systemischen Rassismus. Viele Familien der First Nations haben mit Alkoholsucht, Armut und anderen Problemen zu kämpfen. Eine Ursache dafür sind die furchtbaren Erlebnisse der Vergangenheit, die Verbrechen durch Staat und Kirche, die den Kindern der First Nations angetan wurden, die ganze Familien auseinanderrissen sowie traumatisierten, und die so lange unbeachtet blieben, weil sie gezielt von staatlicher und kirchlicher Seite vertuscht wurden.

"Um diesen massiven Übergriffen zu entgehen, flüchteten viele Kinder in den Suizid, viele Kinder versuchten wegzulaufen. Nur ganz wenigen gelang es allerdings. Da gibt's ein ganz bekanntes Beispiel von 1966, als der 12-jährige Anishinabe-Junge Chanie Wenjack weglaufen wollte. (...) Der Junge rannte fort aus der Cecilia Jeffrey Indian Residential School in Kenora und machte sich zu Fuß auf den 600 km langen Weg nach Hause. Chanie starb bei Temperaturen unter dem Gefrierpunkt an Erschöpfung - nur ungefähr 50 km von seinem Ausgangspunkt entfernt."

Das Schicksal des Anishabe-Jungen verarbeitete der Musiker Gord Downie 2016 in seinem Song "Secret Path", zu dem auch eine Graphic Novel von Jeff Lemire entstand.

Seit das Thema eine breitere Öffentlichkeit erlangte und immer mehr Betroffene ihre Stimme erhoben, wurden auch vermehrt Klagen eingereicht. Die Überlebenden begannen, für die Anerkennung der Verbrechen durch Staat und Kirche und auch für Entschädigungszahlungen zu kämpfen. Aber für viele wirkte es retraumatisierend, über die Gewalt, den sexuellen Missbrauch, die entsetzlichen Umstände zu sprechen. Auch im Feature kommen Überlebende zu Wort, die sich erinnern:

"Ich hatte auch einen Freund. Er wurde krank und kam auf die Krankenstation. Dort wollten wir ihn immer besuchen, aber sie ließen uns einfach nicht zu ihm. Er ist gestorben. Seine Eltern fragten später: Warum hat man ihn nicht in ein Krankenhaus gebracht? Aber da versuchte natürlich jeder, alles zu vertuschen. Wir wissen also nicht, wer verantwortlich ist."

Zahlreiche Funde von anonymen Gräbern auf indigenen Internatsschulen und vor allem unzählige Zeugenaussagen Überlebender zeichnen ein Bild davon, wie weit verbreitet und wie unvorstellbar entsetzlich der systematische Missbrauch und die Quälereien gewesen sein müssen, die die Kinder in diesen Einrichtungen erleiden mussten. Doch ein Netzwerk des Schweigens und Vertuschens hielt die Informationen lange von der breiten Öffentlichkeit fern – und das bis in die 90er-Jahre.

"Es gibt eine Liste von vielen, vielen Übergriffen, präzise Namen, die genannt werden von Personal in diesen Schulen, die die Kinder missbraucht haben, geschlagen haben, misshandelt haben usw., die niemals angeklagt worden sind, wo die Eltern zwar zur Polizei gegangen sind und das angezeigt haben, aber was niemals irgendwie verfolgt worden ist. Fälle, die also vertuscht worden sind. Da wurde über viele Jahrzehnte vieles einfach unter den Teppich gekehrt."

Ende der 90er-Jahre begann sich Kelly Bannister, damals Doktorandin und Ethno-Biologin an der University of Victoria auf Vancouver Island, für die Schicksale der Überlebenden zu interessieren, mit denen sie regelmäßig im Warteraum der Fähre zur Nachbarinsel ins Gespräch kam.

" 'Sie waren sehr stark alkoholabhängig und aufgrund dessen sehr offen und sprachen sehr detailliert. Und sie weinten und wollten einfach mit jemandem reden. (...) Und ich versuchte einfach nur zuzuhören. Diese Menschen erzählten traumatische und unglaubliche Dinge, die ihnen als Kinder widerfahren waren. (...)' Daraufhin habe sie angefangen zu recherchieren, was auf Kuper Island, wie Penelakut damals noch hieß, geschah. (...) 'Ich wusste wirklich nicht viel über die Kuper Island, über die Internatsschulen im Allgemeinen, aber sobald ich mir dessen bewusst wurde, konnte ich es nicht mehr ignorieren. Diese Berichte der Überlebenden beeinflussten all meine Entscheidungen. Für mich war es offensichtlich, dass eine unglaubliche Ungerechtigkeit nicht versöhnt worden war. Und für mich war das ein großes, wirklich fortwährendes Rätsel, wie dies so lange unbeachtet weitergehen konnte.' "


Die toten Kinder der First Nations – ein dunkles Kapitel Kanadas

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