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Flucht und Einwanderung

"17 Tage Scheitern" – ein Hilfsnetzwerk zur Flucht aus Afghanistan

Susanne Franzmeyer
Piqer für Radio Features
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Susanne FranzmeyerMontag, 05.09.2022

"Wie priorisiert man Menschenleben?" Dem freiwilligen Helfer bricht die Stimme weg, als er diese Worte ausspricht. Er ist Mitglied eines freiwilligen Hilfsnetzwerks, deren Mitstreiter sich bis zum Rande der Erschöpfung hinter die Ausreise hochgradig gefährdeter Afghaninnen und Afghanen nach der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan geklemmt hatten. Mohamed Amjahid, der Autor dieser ungemein packenden und toll produzierten Feature-Serie, der hier ja auch als piqer tätig ist, hatte dem Helfer die Frage gestellt, wie er die Sache persönlich verarbeitet habe. Er habe es bislang weggedrückt, heißt es, aber in diesem Moment, wo er direkt nach seinem Empfinden gefragt wird, ist der ganze angestaute Frust, die Erschöpfung, die Hilflosigkeit, Überforderung und die Enttäuschung der engagierten Helferinnen und Helfer spürbar, die 17 Tage lang alles Menschenmögliche unternahmen, um so vielen gefährdeten Menschen wie möglich zur Flucht zu verhelfen.

"17 Tage Scheitern – wie Freiwillige in Afghanistan aushalfen", so heißt die vierteilige Serie des WDR. Sie ist so gut aufgebaut und so voller Spannung, dass ich alle Teile am Stück durchgehört habe. Dabei fliegt dem Autor der Recherche-Auftrag regelrecht in den Schoß, als er selbst von dem Netzwerk angeschrieben wird, um mitzuhelfen:

"Während ich tagelang die Bilder aus Afghanistan im Fernsehen verfolge, erreicht mich am 21. August plötzlich eine Anfrage über facebook: 'Lieber Mohamed, gemeinsam mit etwa fünf bis zehn anderen Leuten schreibe ich seit vergangenen Freitag Listen für Leute aus Afghanistan mit mehr als Journalist*innen, Aktivist*innen, Künstler*innen, Anwält*innen usw. Wir arbeiten dem Auswärtigen Amt zu. Ehrenamtlich, Tag und Nacht. (...) Inzwischen sind wir bei weit über tausend Fällen. Die allermeisten werden nicht rauskommen."

Aber das schnell anwachsende Netzwerk stürzt sich in die Arbeit, sammelt Namen und Daten gefährdeter Personen, wohl wissend, dass kaum Zeit bleibt, schnelle Hilfe für so viele gefährdete Menschen zu organisieren. Die Nachricht des Hilfsangebots verbreitet sich indessen wie ein Lauffeuer:

"Während sich die Freiwilligen herantasten, wie sie die Informationen überhaupt für das Auswärtige Amt vorsortieren wollen, prasseln immer mehr verzweifelte – wenn man so will – 'Rettungsbewerbungen' von Afghaninnen und Afghanen ein, warum sie aus dem Land fliehen müssen. Schilderungen, die ihre Angst vor der Rache der Taliban widerspiegeln. Allein über die Stichworte in den Tabellen wird mir klar, welche Todesangst diese Menschen durchmachen mussten: 'Wird von den Taliban aktiv gesucht', 'hat schon Todesdrohungen bekommen', 'Bruder ermordet'. Über mehrere Ecken, Kontakte und Messengerdienste wie Whatsapp, Signal oder Telegram erreichen diese 'Bewerbungen' die Freiwilligen in Berlin."

Amjahid dokumentiert die Arbeit der Freiwilligen, die unter Hochdruck arbeiten, und verfolgt, ob ihre Tätigkeit Früchte trägt. Schon bald stellt sich heraus, dass vonseiten der Behörden Sand ins Getriebe gestreut wird.

"Den Freiwilligen wird schnell klar, dass die Evakuierungen der Menschen aus Afghanistan nach drei Kategorien erfolgen. Kategorie eins besteht aus allen ausländischen Staatsbürgern, vor allem mit EU oder US-Staatsbürgerschaft. Kategorie zwei vereint alle afghanischen Ortskräfte, die direkt mit den Armeen der westlichen Allianz zusammengearbeitet haben. Das sind Ingenieure, Übersetzer, Polizisten oder auch afghanische Soldaten. In Kategorie drei werden alle sonstigen bedrohten afghanischen Staatsbürger gepackt: Wissenschaftler, Anwälte, Frauenrechtler und Frauenrechtlerinnen. Vor allem in dieser Kategorie befinden sich viele Frauen, auf die es die Taliban abgesehen haben. Die Freiwilligen in Berlin ahnen aber auch, dass es viel zu wenig Plätze in den Flugzeugen geben wird, und dass die Menschen der Kategorie drei auf der Strecke bleiben könnten. Das Auswärtige Amt bestreitet auf Nachfrage eine Kategorisierung."

Im krassen Gegensatz zum Einsatz der Freiwilligen steht das Verhalten der Mitarbeitenden der deutschen Behörden, beispielsweise wenn von dort darauf verwiesen wird, übers Wochenende sei jetzt erst einmal niemand erreichbar – während sich die Freiwilligen die Nächte um die Ohren schlagen, um ihre Listen zu vervollständigen, in der Hoffnung, damit Menschenleben zu retten. Oder wenn klar wird, wie im Auswärtigen Amt auf groteske Art und Weise lapidar mit hochsensiblen Daten umgegangen wird:

"Und dann kommen diese Word-Dateien – und was wird für ne E-Mail-Adresse benutzt? Ne gmx-Adresse! Und da waren wir schon seit Dienstagnacht im Gespräch mit drei Hackerinnen, mit nem IT-Typen, der in den USA Amnesty International betreut, 24 Stunden haben wir uns darüber Gedanken gemacht, weil das von der ersten Sekunde an klar war, dass das ein Problem sein könnte, je nachdem, wie gut die Taliban ausgestattet sind (...) dass wir die ganze Zeit Todeslisten schreiben! (...) Und dann kommen die und machen ne gmx-Adresse – die dann die 'verlässlichste' Adresse wird, um mit dem Auswärtigen Amt die Listen zu schicken! Ne gmx-Adresse! – Also ich meine, da muss man ja wirklich GAR nichts wissen!"

Besonders packend und aufwühlend ist die Geschichte einer jungen afghanischen Polizistin, deren Spur der Autor nachverfolgt, deren Leben unmittelbar gefährdet ist und deren Fluchtgeschichte hier als roter Faden durch die Feature-Serie führt. Was für eine Aufregung, als er mit einem Mal persönlich mit ihr in Kontakt kommt!

Eine absolute Hörempfehlung!!!

"17 Tage Scheitern" – ein Hilfsnetzwerk zur Flucht aus Afghanistan

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Kommentare 1
  1. Mohamed Amjahid
    Mohamed Amjahid · vor mehr als ein Jahr

    🙏🏼

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