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Literatur

WAS MEINST DU MIT EINHEIMISCH?

Quelle: PR

WAS MEINST DU MIT EINHEIMISCH?

SABINE SCHOLL
Autorin
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SABINE SCHOLLMontag, 26.10.2020

Wer jemals die grünen Hügel und abgelegenen Dörfer der deutschen Minderheit im rumänischen Banat bereist hat, wird Vertrautes in Iris Wolffs Roman „Die Unschärfe der Welt“ wiederfinden. Sie schildert diesen in sich geschlossenen Lebensraum und seine Bewohner bestimmt von den Rhythmen der Natur und uralten Traditionen. Es ist eine Welt aus Pfarrhäusern, Apfelbäumen, Weinstöcken, Gemüsegärten, Sommerküchen, Nutz- und Haustieren. In allen Dörfern gibt es eine Kirchenburg, in der Speckvorräte gelagert werden. Von Schafhirten ist zu lesen, sprachlosen Kleinkindern, die sich lieber mit Tieren verbünden, von einem Land, in dem mehr Schafe als Menschen leben:

„Schafe waren in Rumänien heilige Tiere. Pferde, Büffel und Rinder gab es auch viele, aber nur über Schafe existierten Lieder und Gedichte.“

Wir lesen von einem Vater, der nach dem Tod seines Kindes nur Trost in der Umarmung einer Jungkuh findet, die aus allen heraussticht, weil sie träumt; wir erfahren, dass in dieser Region bereits seit Jahrhunderten Menschen verschiedener Herkunft und Sprachen zusammenleben, wenn die Schwiegermutter sagt:

„Dass hier niemand eine einheimische Suppe zu kochen imstande ist.“

Und die Schwiegertochter darauf antwortet:

„Was meinst du mit einheimisch? Schwäbisch, slowakisch, ungarisch, rumänisch, tschechisch, jüdisch oder vielleicht serbisch?“

Wolff schildert die Liebesgeschichte zwischen Stana und Samuel, die sich bereits als Kinder kennen und dann bemerken, dass sich ihr Verhältnis zu verändern beginnt, als ihre Körper heranwachsen.

„Samuel hatte, ohne es zu wissen, die Landkarte ihres Körpers für sich eingenommen.“

Das alles wird in klarer, poetischer Sprache und sinnlichen Bildern vorgebracht.

Sobald aber die Kinderperspektive verlassen wird, fühlt sich das Leben als Angehörige einer Minderheit in der kommunistischen Diktatur Rumäniens nicht mehr so traumwandlerisch schön an. Weil der Pfarrer gastfreundlich Besucher aus der DDR aufgenommen hat, gerät er in Verdacht, wird festgenommen, verhört. Samuels Freund, der sich nach jahrelangem Militärdienst über Ausreisemöglichkeiten informiert, wird überwacht. Wir lesen Sentenzen über den Führer Ceausescu, ohne dass sein Name je genannt wird. Nur seine Bezeichnungen, wie „das Genie der Karpaten“, „Schusterlehrling“, „der große Navigator“, werden aufgezählt. Wir erfahren von seinem Plan der Systematisierung, sein Vorhaben die alten Dörfer der Minderheiten zu zerstören und die Bewohner in Neubauten umzusiedeln, das glücklicherweise nie durchgeführt wurde. Wir hören von der königstreuen Karline und ihrem Abstieg aus bürgerlichem Reichtum durch Enteignung und Kollektivierung im kommunistischen Regime. Wir hören von der Deportation der deutschen Bevölkerung zur Zwangsarbeit, eine Strafmaßnahme, weil sie mit den Nationalsozialisten sympathisierten.

Dem schönen Samuel und seinem Freund gelingt es schließlich, mit einer Propellermaschine über die Grenze zu fliehen. Die schwangere Stana lässt er zurück. Einmal in Deutschland werden die Geflüchteten als Ausländer wahrgenommen. Sie sprechen zwar deutsch, aber mit Akzent, werden gefragt, woher sie kommen.

„Sie sagten Banat... Sie sagten Rumänien. Und wurden für Rumänen gehalten, als gäbe es eine Übereinstimmung zwischen einem Land und den Nationalitäten, die darin lebten.“

Sie leiden an Heimweh, haben Sehnsucht nach den Menschen, die sie zurückließen, erinnern sich, immer wieder anders:

„Die Erinnerung ist ein Raum mit wandernden Türen.“

Der Roman endet mit Liv, der Tochter, die Stana von Samuel empfangen hatte, bevor er flüchtete. Nun, nach dem Sturz des Conducators sind fast alle Angehörige der Minderheit in Deutschland vereint. Stana, Samuel und Liv eine Familie. Bei Besuchen im Banat erzählt man sich gegenseitig Anekdoten. Karline ist Trägerin des Wissens um die Vergangenheit, sie berichtet Geschichten von früher „auf hundert mögliche Weisen“. Nach ihrem Tod reiht sich Liv in diese Tradition:

„Ihre Eltern waren das Gedächtnis ihrer Großeltern, ihre Großeltern waren das Gedächtnis ihrer Urgroßeltern. So konnte es funktionieren.“

Iris Wolff bewahrt diese Epoche und diese vergangene Lebensform mit ihrem Roman vor dem Vergessen.

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