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Literatur

VERLANGEN NACH WIRKLICHKEIT

VERLANGEN NACH WIRKLICHKEIT

SABINE SCHOLL
Autorin
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SABINE SCHOLLMontag, 10.08.2020

Familienforschung gerät meist rasch zu einer Konfrontation über das Verhalten der Vorfahren zu Zeiten des Nationalsozialismus, ob man das nun will oder nicht. Autorin Susanne Fritz will und recherchiert mit ihrem Buch Wie kommt der Krieg ins Kind ausführlich und unermüdlich. Ausgangspunkt ist die Geschichte ihrer Mutter, die als 14-jährige für drei Jahre in ein Arbeitslager musste. Die Familie befand sich zwischen den Fronten: Angesiedelt in Polen, besetzt von der deutschen Kriegsmacht und schließlich nach der Niederlage den strafenden Aktionen der Sowjets ausgeliefert.

Neben den spärlichen, von der Familie übermittelten Dokumenten, bemüht die Autorin sich in zahlreichen Archiven um Material. Sie macht dies jedoch nicht, um nach Durchsicht ihrer Unterlagen eine glatte historische Erzählung zu entwerfen, sondern belässt das Material meist als solches, beschreibt es genau, prüft, welche subjektive Auswirkung dieses oder jenes Papier auf sie selbst hat. Zentrales Stück bildet dabei der in einer Akte über die Mutter aufgefundene Fingerabdruck, den das Mädchen zur Identifizierung dort hinterlassen musste:

„Ist ein Fingerabdruck das weitaus stärkere, lebendigere Zeichen gegenüber Buchstaben, gegenüber den Worten, die an dem, was sie zu erzählen versuchen, haargenau vorbeizielen, wie W.G. Sebald das einmal formulierte? Körpersprache im unmittelbaren Wortsinn. (...) Ihr Fingerabdruck ist ein präziserer Ausdruck ihrer Geschichte, als mein noch so akribisch recherchierter Bericht es sein könnte.“

Deshalb verzichtet Fritz darauf, nur eine Nacherzählung zu verfassen, weil sie überzeugt ist, dass darin etwas verlorengehen würde. Neben der Faktizität des Dokumentierten zieht sich als roter Faden die Tätigkeit der suchenden Autorin, die all ihre sensorischen, emotionalen und rationalen Fähigkeiten aufbietet, um dem Material gerecht zu werden. Gerade weil der Stoff nicht neutral, sondern mit ihr selbst als Mensch verbunden ist, bringt sie sich fragend und einfühlend mit ins Spiel. Nur manchmal gestattet sie sich fiktionale Einschübe, beginnt z. B. aus dem Leben ihres Großvaters im Präsens zu erzählen, bricht dann aber wieder ab, geht über in ein Nacherzählen historischer Fakten. Denn größer als das Verlangen nach einer geschlossenen Geschichte ist das „Verlangen nach Wirklichkeit“, wie Fritz bemerkt.

Doch weil diese Wirklichkeit sich nun mal im Nachhinein nicht mehr völlig herstellen lässt, hält die Autorin mit ihrem Buch auch die Suche danach transparent, den Prozess der Wissensvermehrung, sein Scheitern in Bezug auf Vollständigkeit inbegriffen. Das ist ziemlich ehrlich und riskant. Denn wir sind es nun mal gewohnt, fertige Stories über die Vergangenheit geliefert zu bekommen, ohne Zweifel und Widersprüche. Fritz lässt sich in ihrem Vorgehen auch nicht durch die Einschätzung eines anerkannten Historikers aus dem Konzept bringen, der befindet, dass die Faktenlage ihres Sujets unzureichend wäre, die Beweiskraft bezüglich einer Täterschaft des Großvaters nur mäßig, sondern folgt ganz ihrem Gefühl. Denn im Grunde möchte die Autorin, indem sie mehr über Mutter und Großeltern wissen will, mehr über sich selbst heute erfahren, nicht nur als Individuum, sondern als in Deutschland lebende und arbeitende Künstlerin.

Wenn Fritz also anhand ihrer Familie über das vergangene Jahrhundert forscht, ihre Emotionen dabei nicht hintenan lässt, spiegelt das möglicherweise eine allgemein gültige Gefühlslage Deutschlands gegenüber der Zeit des Nationalsozialismus wider: Ein Gemenge aus Schuldeingeständnis, Unsicherheit, Zweifel, sozusagen die andere Seite des Leugnens einer Täterschaft. Und das ist allemal spannend.

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