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Flucht und Einwanderung

Eine Familiengeschichte "jüdischer Kontingentflüchtlinge"

Mohamed Amjahid
Buchautor und Journalist

Reporter, Kurator, Autor für deutsche und internationale Medien. Studium der Politikwissenschaft/Anthropologie. Themen: Weiße Mehrheitsgesellschaft, MENA, Autokratien, Kapitalismuskritik, Feminismus und kritische Theorie.

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Mohamed AmjahidSonntag, 22.11.2020

In den Neunziger Jahren und bis 2005 brachte die damalige Bundesregierung unter Helmut Kohl sogenannte "jüdische Kontingentflüchtlinge" aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland.

Die Journalistin Erica Zingher stammt aus einer entsprechenden jüdischen Familie, die vor 25 Jahren von Moldau nach Deutschland migrierte. In einem sehr persönlichen Text erzählt Zingher, was ihr Opa, ihre Oma, ihre Eltern, Geschwister und sie selbst seitdem in Deutschland erlebt haben: 

Oma sagt: Gena, also mein Opa, habe es ja versucht mit dem Arbeiten. Er fing als Müllmann an, den Job hatte das Arbeitsamt ihm kurz nach der Einreise zugeteilt. Eines Tages saß er mit seinen deutschen Kollegen zusammen, sie machten Pause und aßen, als sie ihn beschimpften: Du scheißrussisches Schwein, hau ab mit deinem nach Knoblauch stinkenden Essen, hätten sie gesagt. Kotlety hatte er gegessen, Frikadellen. Danach ging Gena nicht mehr hin. Er wollte sich von niemandem beschimpfen lassen.

Der Text spricht für sich und gleichzeitig eröffnet er eine Perspektive auf eine Minderheit, die längst vergessen wurde: 

So wie meine Familie und ich kamen zwischen 1995 und 2005 mehr als 200.000 Jüdinnen und Juden aus der ehemaligen Sowjetunion nach Deutschland. Menschen, die man später als „jüdische Kontingentflüchtlinge“ bezeichnete. Lange galt ihre Einwanderung als Erfolgsgeschichte. Sie, wir, waren die guten Migrant:innen. An unsere Ankunft war Hoffnung geknüpft: Wir sollten das jüdische Leben in Deutschland wieder aufblühen lassen. Bald darauf, Mitte der 1990er Jahre, wurden Migrant:innen aus dem ehemaligen Ostblock als Problem wahrgenommen – und dann gar nicht mehr. Man hat diese Menschen, uns, ­vergessen.

Es folgt hier noch eine kurze Episode, die vielsagend ist. Das will man gar nicht mehr groß kommentieren. Die Erzählung steht wie gesagt für sich, der ganze Text und die persönlichen Bilder aus dem Familienalbum lohnen sich wirklich sehr, um zu verstehen wie es heute vielleicht auch vielen anderen Jüdinnen*Juden in Deutschland geht

Es gibt zwei Möglichkeiten für dich als Migrant:in in Deutschland, das merkten wir schnell: Pass dich an oder verkriech dich unter deinesgleichen. Als ich vier Jahre alt war, ließen sich meine Eltern scheiden. Von da an lebte ich in zwei Welten: Meine Mutter wählte die Anpassung, mein Vater das Vertraute.
In der Welt meiner Mutter erinnerte nichts mehr an unsere Herkunft. Sie suchte sich deutsche Freund:innen, bald darauf einen deutschen Partner. Sie sprach kein Russisch mehr mit mir. Meine Mutter suchte Stabilität und Sicherheit, indem sie ihre Vergangenheit verleugnete. Und sie entschied für mich mit: Wir werden deutsch. Ich will eine bessere Deutsche sein als die Deutschen selbst, sagte meine Mutter oft. In ihrer neuen Rolle als Deutsche war sie großartig.
In der Welt meines Vaters wurden wir als Russen beschimpft. Wir spuckten zurück: dumme Deutsche. Mein Vater wurde unsichtbar in Deutschland, schweigsam. Sicherheit fand er dort, wo es einen russischen Supermarkt gab. Je nach Laune entschied mein Vater, wer er sein wollte. Einmal standen wir im Kino an, die Schlange war unendlich lang, mein Vater drängelte sich unbemerkt vor und kaufte uns Tickets. Als er zurückkam, fragte ich: Wie hast du das gemacht? Mit einem Grinsen sagte er: Ich bin doch Russe, Erica. In anderen Momenten war Papa Jude, er wollte sich nicht auf eine bestimmte Identität festlegen lassen.


Eine Familiengeschichte "jüdischer Kontingentflüchtlinge"

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