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Solidarische Klassenpolitik: Eine Zukunftsaufgabe der Linken

Michael Hirsch
Philosoph und Politikwissenschaftler, freier Autor und Dozent
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Michael HirschSamstag, 10.04.2021

In jüngerer Zeit sind CDU- und CSU-Bundestagsabgeordnete vor allem durch üppige Nebeneinkünfte und eine unappetitliche Nähe zur Wirtschaft aufgefallen. Dass man den Beruf der Politik, oder, wie der große Gelehrte Max Weber einst sagte, Politik als Beruf, auch ganz anders interpretieren kann, sieht man an diesem tollen Aufsatz der Münchner Bundestagsabgeordneten und wissenschafts- und hochschulpolitischen Sprecherin der Fraktion der Linkspartei Nicole Gohlke.

Der Text mit dem Titel Klassenpolitik in Zeiten von Akademisierung und neuer Unsicherheit ist in der Märzausgabe der Zeitschrift "LuXemburg", dem Publikationsorgan der Rosa-Luxemburg-Stiftung erschienen. Er behandelt ein Thema, das nicht nur für die Linkspartei, sondern für das Schicksal der Demokratie insgesamt von entscheidender Bedeutung ist: die Frage, wie im Zuge wirtschaftlichen Strukturwandels und darauf reagierender politischer Reformen des Sozialstaats und des Bildungssystems sich die gesellschaftlichen Klassenkonflikte entwickeln, und mit welchen Projekten und Antworten die fortschrittlichen gesellschaftlichen Kräfte, Parteien und Bewegungen darauf antworten könnten.

Die aktuelle Schwäche der SPD, aber auch der Linkspartei, deutet darauf hin, dass hier ein fundamentales Problem existiert: Offensichtlich ist es der politischen Sprache und der politischen Programmatik immer noch nicht gelungen, die Realität gesellschaftlicher Veränderungen abzubilden. Diese führen dazu, dass die eingeübte Differenz von sogenannten Arbeitern auf der einen Seite, Angestellten und sogenannten Akademikern auf der anderen Seite, immer mehr verschwimmt. Das Phänomen des Populismus und seiner ganzen Ausbeutung von uralten Affekten der vermeintlich normalen Arbeiter und einfachen Leute hier, den Akademikern und Eliten dort, hat hier seinen Ursprung und seine immer noch unausgetrocknete Brutstätte.

Gohlke kann mit vielen Beispielen und empirischen Belegen zeigen, dass die gleichzeitige Akademisierung und Prekarisierung des Arbeitsmarktes dazu geführt hat, dass die Differenz von "Arbeitern" und "Angestellten" immer mehr zu einer eher symbolischen, zeichenhaften Differenz wird, die materiell keine Grundlage mehr hat: So sind zum Beispiel in vielen Dienstleistungs- und akademischen Berufen die Gehälter deutlich geringer und die Beschäftigungsverhältnisse deutlich unsicherer als beispielsweise in der Metall- und Automobilindustrie. Die Zahl der Selbständigen sinkt immer mehr, und de facto sind immer größere Teile der Hochschulabgängerinnen und Hochschulabgänger Lohnabhängige. Dass einige von  ihnen mehr als der Durchschnitt verdienen, ändert nichts daran, dass sie von ihrer materiellen Situation her viel mehr mit den "normalen" Lohnabhängigen gemeinsamen haben als angenommen. Das Schicksal der Unsicherheit erfasst virtuell alle:

Unter den Bedingungen einer neoliberalen Arbeitswelt schützt akademische Bildung nicht mehr selbstverständlich vor der sich ausbreitenden Prekarisierung, also unsicheren Beschäftigungsverhältnissen und einem sozialen Abstieg.

Die soziale Spaltung der Gesellschaft hat viel damit zu tun (und sie hatte es schon immer, angefangen von den faschistischen Massenbewegungen der 1920er Jahre!), dass populistische Bewegungen Geschäfte machen mit der Abstiegsangst der Mittelschichten, und ihren Missbrauch treiben mit den ererbten kulturellen Unterschieden zwischen Arbeitern und Angestellten. Dass die politische Mitte (und hier insbesondere die "Grünen" als Partei des "Neuen Bürgertums") weiterhin so tut, als ob man dieses Problem ignorieren könnte, und als ob sich in unserer Gesellschaft eben Leistung immer und für jeden lohnt, ist Wasser auf die Mühlen dieser Konstellation. Eine fortschrittliche, solidarische Klassenpolitik setzt hier an.

Soll eine linke Klassenpolitik für das 21. Jahrhundert entwickelt werden, hat es wenig Sinn, sehnsuchtsvoll in die Vergangenheit zu schauen und den klassischen Industriearbeiter zu verklären, wie es in manchen linken Diskursen geschieht.

Daher ist es Zeit für eine neue sozial- und arbeitspolitische Offensive des progressiven politischen Lagers. Es geht um die Formulierung eines neuen gemeinsamen Interesses der meisten. Denn immer mehr sind betroffen von wachsender sozialer Ungleichheit und Senkung des Lebensstandards im Zangengriff von befristeten Arbeitsverhältnissen, Arbeitsverdichtung, Lohndepression und Mietkostensteigerung. Wann beginnen SPD und Grüne diese Sorgen einer wachsenden Zahl gerade Jüngerer anzusprechen?

Solidarische Klassenpolitik: Eine Zukunftsaufgabe der Linken

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Kommentare 4
  1. Cornelia Gliem
    Cornelia Gliem · vor fast 3 Jahre

    "insbesondere die "Grünen" als Partei des "Neuen Bürgertums") weiterhin so tut, als ob man dieses Problem ignorieren könnte" - inwiefern tun die Grünen das? wird nicht gerade ihnen oft vorgeworfen sie würden die Unterschiede zwischen Akademikern und Arbeitern ignorieren? :-)
    aber ok. was sicher stimmt ist dass die Linken häufig zu sehr nostalgisch-ideologisch auf die marxistisch analysierte Arbeitswelt ala 19. Jahrhundert schaut. (Neben ihren traditionellen problematischen Russlandliebe und USA-Hasserei).

  2. Der Barde Ralph
    Der Barde Ralph · vor fast 3 Jahre

    Die Situation ist sehr gut beschrieben.
    Wenn nur die gesamte Linke es nur begreifen würde.
    So zerfleischt sie sich, zur Freude des politischen Gegners, selbst.

    1. Cornelia Gliem
      Cornelia Gliem · vor fast 3 Jahre

      Ach. Deren Gegner zerfleischen sich auch, gerade jetzt...

  3. Der Barde Ralph
    Der Barde Ralph · vor fast 3 Jahre

    Ich kann einfach nur : danke sagen, für ihren Kommentar.
    Auch " die Linke" liegt, wie der Rest der Gesellschaft, irgendwie im Koma und bewegt sich nicht und wenn, dann nur in einem sich selbstzerfleischenden Hickhack.
    Sie hat die Chance etwas zu bewegen und sollte sie nutzen, gegen alle medialen Versuche, sie intrigierend zu entzweien

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