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Fundstücke

Über den Tod des politischen Interviews

Lars Hauch
Researcher. Schwerpunkte: Mittlerer Osten, insbesondere Syrien.
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Lars HauchDienstag, 29.11.2022

„Der Tod des politischen Interviews“ lautet der Titel des hier gepiqden Artikels. Ganz schön drastisch, andererseits erwische ich mich regelmäßig dabei, wie ich bei Formaten wie Berlin Direkt die Interviews vorspule, weil ich das choreografierte Aufeinandertreffen von JournalistIn und InterviewpartnerIn als ermüdend empfinde. Dabei geht es nicht bloß um die chatbotartigen Antworten von PolitikerInnen, sondern auch um die teils aggressiv formulierten Fragen, die beim Gegenüber wahrscheinlich selbst dann archaische Verteidigungsreflexe auslösen würden, wenn ihm oder ihr keine PR-Abteilung im Nacken säße.

Ein Kollege des Channel 4 Journalisten Ian Katz, dem Autor,  beschreibt die Sackgasse, in der sich JournalistInnen und PolitikerInnen befinden, folgendermaßen:

I think the worst of you. You play it as defensively as you can. Your strategy of being defensive is justified by me being aggressive and, worst of all, me being aggressive is justified by the obfuscation and nonsense of you being defensive. We’re now locked into the low road. Your strategy justifies mine. My strategy justifies yours.

Ian Katz hatte 2013 mit einem Freund über ein Interview mit der britischen Labour-Politikerin Rachel Reeves gechattet. Versehentlich twitterte er eine Antwort öffentlich, statt sie als DM zu verschicken. Darin beschrieb er Reeves, als „boring snoring“. Diesen dezent unglücklichen Vorfall nutzt Katz als Anlass, um sich grundlegend mit der Interviewkultur im Fernsehen auseinanderzusetzen. Dabei blickt er einige Jahrzehnte zurück und stellt fest, dass bereits in den 1980ern der Niedergang des Interviews beschworen wurde. Psychologen der York Universität hatten damals analysiert, dass PolitikerInnen im Wahlkampf auf 31 verschiedene Arten Fragen von JournalistInnen auswichen. Margaret Thatcher habe beispielsweise gut funktionierende Techniken entwickelt, um Journalisten zu frustrieren, schrieb der britische Journalist Robin Day im Jahr 1989 in seiner Autobiographie:

Interviews have tended to become a series of statements, planned for delivery irrespective of the question which had been put. This technique has gradually brought about the decline of the major television interview. It is now rarely a dialogue which could be helpful to the viewer.

Es lohnt sich, Katz’ Rückblick zu lesen. Zusammengefasst läuft es darauf hinaus, dass die Anzahl an gehaltvollen Interviews tendenziell stark zurückgegangen sei. Das liege an PolitikerInnen, die in immer extremer durchorganisierten PR- und Medienstrukturen agierten. Gleichzeitig aber auch an JournalistInnen, die zunehmend als Medienstars aufträten:

Journalism that puts the journalist centre stage. It judges itself by how many hits it can rack up against the subject. Any communication by the politician on his or her terms is regarded as a failure.

Wie lässt sich das politische Interview retten? Katz schlägt vier Maßnahmen vor. Letztlich geht es bei allen Vorschlägen darum, dass JournalistInnen und PolitikerInnen die ungeschriebenen Regeln ihres Zusammentreffens neu und konstruktiv(er) definieren. Erst mal klingt das gut, bleibt allerdings so lange unrealistisch, wie sich an den Ursachen für derzeit vorherrschende Regeln nichts ändert. Stichwort Aufmerksamkeitsökonomie.

Katz’ Text ist von 2014, also bald eine Dekade alt. Verbessert hat sich die Kultur des politischen Interviews für meinen Eindruck seither nicht. Übereifrige Tweets von PolitikerInnen, aber auch JournalistInnen, die zunehmend ihren inhärenten Bias zur Tugend machen, zählen wahrscheinlich nicht. Abseits vom Fernsehen gibt es im Internet und Podcast-Bereich diverse Experimente, Gesprächsführung neu zu gestalten. Jung&Naiv, ein prominentes Beispiel, hat früh angefangen, die etablierten Leitplanken von Interviews mehr oder weniger einzureißen. Die Resultate können sich absolut sehen lassen — andererseits hat natürlich nicht jede/r Zeit und Lust sich 3,5 Stunden Konversation mit Horst Seehofer anzusehen.

Wenn ich an meine frühere journalistische Arbeit denke, trifft Katz’ Analyse ins Schwarze. Beim Erstkontakt haben Interviewte oft die Grundannahme, man wolle ihnen ans Leder. Entsprechend vorsichtig (und boring snoring) fallen Antworten aus. Mittlerweile arbeite ich in einem anderen Bereich, wo ich aber auch viele Gespräche/Interviews mit PolitikerInnen und DiplomatInnen führe. Die Gespräche sind praktisch immer off the record und damit nicht journalistischen Mustern unterworfen. Eine Sache hat sich dennoch nicht geändert: Die gehaltvollsten Gespräche entstehen, wenn es gelingt, sowohl den Gegenstand des Gesprächs als auch den Menschen dahinter zu begreifen. Mauern die GesprächspartnerInnen aus unterschiedlichen Gründen, kommt man damit natürlich nicht unbedingt weiter. Den Versuch ist es aber (fast) immer wert. Denn wenn beide Seiten von Beginn an mauern, bekommt man sich garantiert nicht zu Gesicht.

Über den Tod des politischen Interviews

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