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Klima und Wandel

Konstruktiver Pessimismus: das 1,5 °C-Ziel ist unrealistisch

Gabriel Koraus

•Ausbildung als Sinologe und Religionswissenschaftler
•Arbeit in der Outdoorbranche mit Fokus auf soziale Nachhaltigkeit und ökologische Verantwortung in globalen Lieferketten

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Gabriel KorausSonntag, 25.07.2021

Der vorliegende piq ist eine kurz und knapp gehaltene Rezension über Peter D. Ward's "Die Große Flut". 

An und für sich ist das Buch empfehlenswert, der Artikel selbst aber nicht der Rede wert. Allerdings hat er bei mir eine Erkenntnis ausreifen lassen, die vermutlich schon länger in mir schlummert: 

"wir" (also die Menschheit insgesamt) werden das Pariser 1,5 °C-Ziel für die Klimaerwärmung nicht erreichen. 

Jede divergierende Annahme ist fundamental naiv und faktenavers. In seinem Buch beschreibt Peter D. Ward verschiedene Szenarien für die Jahre 2050, 2100 und 2300. Seine Hochrechnungen basieren dabei nicht nur auf temporären Extrapolationen, sondern greifen auf umfassende Daten und Modelle erdgeschichtlich nachvollziehbarer Entwicklungsprozesse sowie geologische Befunde zurück. 

Sprich: letzten Endes dennoch  Prognosen, aber aufgrund zahlreich berücksichtigter Variablen und Interdependenzbeziehungen eben weniger spekulativ und mehr fundiert. 

Und? 

Naja, sieht nicht unbedingt gut aus. Keine Überraschung. 

"Anhaltende Dürren, tobende Stürme, brennende Wälder – wer glaubt, damit seien die Auswirkungen des Klimawandels aufgezählt, irrt: Für Millionen Menschen wird das Meer zur unmittelbarsten und schwerwiegendsten aller Bedrohungen werden. (...) 

Der Meeresspiegel ist nicht konstant; er hat sich in der Vergangenheit verändert und wird das auch in Zukunft tun. Der beunruhigende Aspekt dieses natürlichen Vorgangs liegt darin, dass der aktuelle, menschengemachte Anstieg so schnell erfolgt wie noch nie zuvor in der Geschichte unseres Planeten – und dass die aktuellen Vorhersagen wohl deutlich unterschätzen, was auf uns zukommt."

Und hier kommen wir zu meinen 5 Cent: das wird passieren. Keine Chance, die Temperatur wird weiter steigen und das Leben auf diesem Planeten wird ungemütlicher. 

Sorry #fridaysforfuture, #extinctionrebellion und #greta. 

Es ist völlig unrealistisch anzunehmen, daß die öffentlichkeitswirksame Darstellung dystopischer Entwicklungsszenarien und klimatisch bedeutsamer  Pfadabhängigkeiten zu einem Umdenken der Menschen in Indien, den Philippinen, Nigeria und Guatemala führen wird, wenn dies einschließt, auf eine entscheidende Portion unmittelbaren Wohlstand zu verzichten. 

Im Jahr 2100 wird Amsterdam überflutet, wenn Ihr jetzt nicht Eure Kohlekraftwerke in Qinghai abstellt? 

Who dares to care? 

Ganz ehrlich: wer?

Dass soll nun mitnichten bedeuten, Umwelt- und Klimaschutz auf lokaler Ebene seien ineffizient, wenn nicht alle mitmachen. Ganz im Gegentum! Schadstoffbelastungen in Boden, Luft und Wasser, Feinstaub- und Mikroklimaprobleme, Rohstoffmangel, Antibiotikaresistenz, Insektensterben, Bodenversiegelung, etc. pp.: es gibt unzählige Gründe für aktiven und sofortigen Klima- und Umweltschutz auf lokaler Ebene. Es ist DAS Thema dieser Zeit. Energiewende, Biolandwirtschaft, Kreislaufökonomie - alles extrem relevant, wichtig und konkret effektiv. 

Nur die Sache mit dem 1,5 °C-Ziel ist ein seltsames goldenes Kalb. Das werden wir tatsächlich nicht allein in Deutschland oder Westeuropa realisieren. Und der Rest der Welt möchte nun mal auch warmes fließendes Wasser im Bad, nicht zu reden von smart TV und eigenem PKW. 

Ich denke, es wäre nur anständig und konsequent, wenn man sich dies endlich eingestehen könnte und stattdessen vielmehr auf Basis der Katastrophenszenarien zu planen beginnt, also anfängt, weiterzudenken, anstatt beim entscheidenden Stadium stehenbleiben, weil es dies ja zu verhindern gälte. 

Es braucht vielmehr Planungen MIT den Extremen, statt gegen diese, sonst ist man irgendwann nur noch wehrlos. Das mag motivationspsychologisch nicht besonders opportun erscheinen, aber es rettet meinen Enkelkindern vielleicht irgendwann mal den Arsch. 

Vor allem aber entschärft dies einen Teilbereich der aktuellen Debatten, weil nicht mehr über fiktive zukünftige planetare Zustände und deren Eintrittswahrscheinlichkeiten gestritten würde, sondern über konkrete und spezifische Maßnahmen und Wirkungszusammenhänge.

Konstruktiver Pessimismus: das 1,5 °C-Ziel ist unrealistisch

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Kommentare 8
  1. Dominik Lenné
    Dominik Lenné · vor mehr als 2 Jahre

    Wir können die ganze Energie, die wir brauchen, vermindern und den Rest regenerativ gewinnen - und das können Afrika, Südamerika und Asien auch. Wir - als Menschheit - werden diesen Zustand auch erreichen. Die entscheidende Frage ist wann. Wir können eine Menge dazu beitragen, dass dies eher früher geschieht als später.
    Ein Mittel dazu ist, eine begeisternde Erzählung wachsen zu lassen. Stell dir vor wir haben's geschafft! "Bullerbü" ist Realität geworden. Einige Männer und auch Frauen werden wegen SUV-Mangels verstimmt sein, aber unser System ist wieder frei, sich mit den wichtigen Fragen von Sex, Partnersuche, Liebe, Gemeinschaft zu befassen.

    1. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 2 Jahre · bearbeitet vor mehr als 2 Jahre

      In Südamerika, Afrika und Asien wird der Energieverbrauch erst mal wohl weiter steigen. Der "Nachholbedarf" ist riesig ….

      Wann war unsere Gesellschaft frei sich vorrangig mit "Fragen von Sex, Partnersuche, Liebe, Gemeinschaft zu befassen"? Eigentlich haben wir doch eine Geschichte der strengen Regulierung hinter uns. Bis dann die 60er Jahre kamen. Seit dem passiert ja sehr viel - bis dahin, dass immer weniger Kinder geboren werden.

    2. Gabriel Koraus
      Gabriel Koraus · vor mehr als 2 Jahre

      Stimmt schon, die Bedeutung großer Erzählungen darf nicht unterschätzt werden, aber eben in "beide Richtungen". Die Frage bleibt, ob mit solchen Masternarrativen nun Engagement erzeugt wird, oder Distanzierung ...

    3. Silke Jäger
      Silke Jäger · vor mehr als 2 Jahre

      @Gabriel Koraus Kurzfristig wird auch mit Klimaanpassungsmaßnahmen mehr Geld zu verdienen sein. Mauern, die nicht hoch genug waren, lassen sich immer noch mal höher bauen, bevor man das dahinterliegende Land aufgeben muss. Der Erfolg solcher Maßnahmen ist direkt spürbar, auch im Auftragsbuch der beauftragten Firmen. Der Erfolg von langfristig wirkenden Klimaschutzmaßnahmen ist es meist nicht in diesem Maße. Klimaanpassung entspricht eher unserer Wirtschaftslogik.

      Ich sehe eine große Gefahr, dass wir in eine dychotome Debatte kommen, bei der Klimaanpassung und Klimaschutz gegeneinander ausgespielt werden. Analog zur Pandemie: Ausspielung von Gesundheitsschutz und Wirtschaft. Dass diese Dinge zusammenhängen lässt sich schlecht in politische Positionen übersetzen. Deshalb werden einige Parteien Klimaanpassung als politisches Programm ausrufen, andere mehr auf Klimaschutz setzen. Und mit diesen vorhersehbaren Grabenkämpfen kommen wir leider nur sehr torkelnd irgendwelchen Gradzielen näher.

      Ich bin auch sehr pessimistisch, was die Erreichung von Gradzielen betrifft. Ich glaube, wir brauchen eher Empowerment, auch Utopien vielleicht. Aber vor allem die Erkenntnis, dass wir unsichereren Zeiten entgegengehen, Vorhersagen weiterhin schwer bleiben und man der Natur und ihren Gesetzen gegenüber demütiger werden muss.

      Schön finde ich den Gedanken, dass klimafreundlicher zu leben das gleiche ist wie gesünder zu leben. Und damit hat man eine Chance, konkrete Alltagsentscheidungen zu Feelgood(Feelbetter)-Entscheidungen zu machen. Das reduziert das Ohnmachtsgefühl. Gegenüber den großen Stürmen, Hitzewellen, Dürren, Überschwemmungen etc. hilft das wenig. Aber demgegenüber sind wahrscheinlich Ohnmachtsgefühle angebracht.

      Politik wird sich überlegen müssen, wie viel Ohnmachtsgefühle sie sich in Gesellschaften leisten kann. Das kann schnell zum Hexenkessel werden. Vielleicht verstehen Politiker auch erst dann, dass sie es vergeigt haben. Auch sie sind Menschen, die offenbar erst ins Spüren kommen müssen, bevor sie bereit sind, für Veränderungen zu kämpfen.

    4. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 2 Jahre

      @Silke Jäger Ja, vieles sehe ich auch so. Würde nur konkretisieren. Klimafreundlich leben kann gesünder Leben bedeuten, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Die Gesundheitssysteme sollten schon leistungsfähig bleiben, Hunger verhindert werden und die Kommunen auch in Extremsituationen bewohnbar sein. Und in Demokratien wird die Lösung wohl nicht vorrangig von der Politik/den Politikern zu erwarten sein. Die Faktoren sind zu vielfältig. Man muß die Kreativität gerichtet entfesseln. In unseren alternden Gesellschaften schwierig …..

    5. Gabriele Feile
      Gabriele Feile · vor mehr als 2 Jahre

      @Thomas Wahl Ein Tipp, um die Hände frei zu haben für kreative Lösungen ist: LOSlassen. Schon alleine dadurch löst sich vieles. Es könnte so einfach sein, wenn wir wollten.

    6. Thomas Wahl
      Thomas Wahl · vor mehr als 2 Jahre

      @Gabriele Feile Da kommen wir nicht zusammen. Wir können unsere Infrastrukturen nicht einfach "loslassen". Und die Entwicklung neuer ist alles andere als einfach. Aber manche unserer Besitzstände können wir vielleicht abstoßen …… 😏

    7. Gabriele Feile
      Gabriele Feile · vor mehr als 2 Jahre

      @Thomas Wahl Genau das habe ich gemeint: Besitzstände, Erwartungen, scheinbare Notwendigkeiten, Routinen, Meinungen, Strukturen, etc. können wir loslassen, wenn wir wollen. Nur, wer sich bewegt, bewegt etwas.

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